Dokumentarfilmwoche : Renaissance des Dokumentarfilms

Der ambitionierte Dokumentarfilm hat in den vergangenen Jahren eine Renaissance erfahren. Höhenpunkt des Jahres: die Hamburger Dokumentarfilmwoche, die am Mittwoch startete. 45 Dokumentarfilme aus mehr als zwölf Ländern werden gezeigt.

Wir empfehlen pro Abend einen besonderen Streifen. Die Regisseure oder Regisseurinnen sind jeweils anwesend und sprechen über ihre Arbeit.

Eröffnungsfilm: „Flotel Europa“ von Vladimir Tomic: Mittwoch, 8. April, 20 Uhr, Metropolis

1992, ein fünfstöckiges Wohnschiff liegt im Hafen von Kopenhagen. An Bord: Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, geflohen vor dem dortigen Bürgerkrieg. Also Serben und Bosniaken und Kroaten; Christen und Muslime, Liberale und Nationalisten, aufgeteilt auf die kleinen Kabinen. Sie müssen miteinander klarkommen und sie haben ihre Konflikte nach Dänemark mitgebracht, die sich nicht so einfach aus der Welt schaffen lassen. Immer wieder geht die Kamera daher in den Fernsehraum, wo die Geflüchteten scheinbar lethargisch stundenlang Nachrichten per Satellit aus den verschiedenen Ländern schauen – vielleicht entdecken sie doch plötzlich irgendwo auf einem der flüchtigen Bildern einen Angehörigen, einen Bekannten. Was noch gefilmt wird: der ganz normale, unaufregende, aber nötige Alltag. Kochen, Wäschewaschen, Sprachunterricht; die Morgengymnastik oder Tanzaufführungen am Wochenende und immer wieder der Hafen, in dem das Schiff nun mal festliegt. Festgehalten all das auf heute verrauschtem und antiquiert wirkendem VHS-Videomaterial – eine Dokumentation der Hilflosigkeit, aber auch immer wieder des Versuchs sich einzufinden in ein neues, in ein anderes Leben.

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„Grund und Boden“ von Markus Fiedler und Maren Grimm: Donnerstag, 9. April, 18.30 Uhr, Lichtmess

Irgendwo im Hamburger Hafen. Ein Ensemble aus Hallen, Schienen und Straßen und Verwaltungsgebäuden wird nicht mehr benötigt. Steht leer, soll abgebrochen werden. Investoren kündigen sich an und kommen dann doch nicht. Egal – der Abriss geht weiter. Bäume werden gefällt, Lagerhallen entmietet, Gebäude abgerissen. Der Kampfmittelräumdienst rückt an, Bagger schieben Trümmer zusammen. Dazu: einige, wenige Sätze über die Geschichte des Areals, das mal eine Elbinsel war. Ansonsten: Geräusche, Klänge, Sound. Eine exzellent fotografierte Meditation über das Verschwinden einer kleinen Welt. Ohne hektische Schnitte und rasante Kameraschwenks – so kann man auch erzählen.

Umrahmt wird der Film von einer Dokumentation über Wartungsarbeiten an der Autobahnhochbrücke bei Brunsbüttel („Hochbrücke Brunsbüttel“) und eigensinnigen Beobachtungen über das Leben einer kleinen, scheinbar unscheinbaren Gemeinde bei Osnabrück („Wallenhorst“) – ein cineastischer Dreierpack, der zeigt, dass kurze Dokumentarfilme noch mal einen ganz besonderen Reiz haben.

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„Striche ziehen“ von Gerd Kroske: Freitag, 10. April, 19 Uhr, Metropolis

„Was ist Glück?“ – will die Lehrerin von ihren Schülern wissen. „Lebend über die Mauer zu kommen“ – schreibt einer von ihnen. Das gibt Ärger, da steht am nächsten Tag die Staatssicherheit vor der Tür. Überhaupt hat die Stasi viel zu tun – Anfang der Achtziger Jahre in der Kleinstadt Jena. Jugendliche und junge Erwachsene haben sich zusammengetan und bilden eine lockere Oppositionsgruppe: Angeregt von der Punkmusik aus dem Westen, aber auch vom Dadaismus und der Graffiti-Kunst versuchen sie ein eigenes, freies Leben zu erproben. „Macht aus dem Staat Gurkensalat!“, lautet eine ihrer Parolen. Dafür hat man im spießig-durchgeplanten DDR-Staat nicht das geringste Verständnis. Mehr als 30 Jahre später erzählen die jungen Leute von damals von Repression und Widerstand; erinnern sich an demütigende Verhöre und wilde Partys. Und daran, dass einer von ihnen ein Spitzel war, dem sie ihre späteren Haftstrafen mit zu verdanken haben. „Striche ziehen“ ist so ein ergreifend genauer und nahegehender Dokumentarfilm geworden, der zeigt: Was Menschen seinerzeit im Unrechtsstaat DDR erlebt haben, lässt sich nicht so einfach abschütteln – sondern wirkt bis heute.

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„Der Prinz“ von Mahmoud Behraznia: Samstag, 11. April, 20.30 Uhr. Lichtmess

Hat man es geschafft, wenn man die Hauptrolle in einem Spielfilm bekommen hat? In einem Film, der zudem auf dem Festival in Cannes ausgezeichnet wird und der auch sonst allerhand Preise erhält? Mitnichten! Das muss der 16jährige Jalil Nazari erfahren: ein jugendlicher Flüchtling aus Afghanistan, der im Nachbarland Iran Held eines Spielfilmes wird. Als er nach Hamburg zum „Filmfest Hamburg“ kommt, um seinen Film vorzustellen, fällt hinter ihm die Tür zu: Er darf nicht zurück in den Iran. Um nicht ins kriegsgeschüttelte Afghanistan abgeschoben zu werden, beantragt er in Deutschland Asyl. Und landet in einem Containerdorf in Sachsen. Mitten im Wald! Wo nichts ist. Kein Geschäft, kein Café, erst recht kein Kino. Dabei ist er doch ein Star! Was in Deutschland kaum jemanden interessiert. Und Jalil muss noch einmal ganz von vorne anfangen, muss seinen eigenen Lebensweg finden – der ihn in eine Pizzeria in Hamburg-Ottensen führen wird.

„Noch hier schon da“ von Roswitha Ziegler: Sonntag, 12.April, 16 Uhr, Metropolis

Ist so ein Tumor nicht furchtbar dumm? Lässt den Körper, in dem er wächst, sterben – und stirbt dabei selbst! „Aber mit so einem Tumor kann man ja nicht reden“, sagt der Schauspieler und Theatermacher Jochen Fölster, nachdem er seine Krebsdiagnose erhalten hat und nun überlegt, wie er mit seinem Lebensende umgehen soll. Auf diesem Weg begleitet ihn seine Frau, die Filmemacherin Roswitha Ziegler. Die ihre Kamera laufen lässt. An schlechten Tagen, an guten Tagen, an ganz schlechten Tagen. Wo ihr Mann es kaum noch aus dem Bett schafft, wo es ihm doch noch gelingt mit dem Rollator an den Rand des wendländischen Dorfes zu gehen, in dem sie beide leben und wo er nun rauchend dabei zuschaut, wie das Getreide gemäht wird: Das Leben geht weiter, aber nicht für ihn. „Noch hier schon da“ ist ein Dokument von bestürzender Ehrlichkeit. Schmerzhaft und humorvoll, auch teilnehmend und doch dabei frei von anbiederndem Trost – so wie ein guter Dokumentarfilm sein soll.

Dokumentarfilmwoche Hamburg: 8. April – 12. April; Eintritt: 7,50/ 5,50 Euro; 6er-Festivalkarte: 35 Euro. Weitere Informationen: www.dokfilmwoche.com.

Text: Frank Keil
Foto: Filmstill „Der Prinz“