Etwa 60 Menschen trotzten Sturm und Kälte, um vor dem Rathaus auf die Situation von Obdachlosen aufmerksam zu machen. Mehr als 900 Menschen setzt die Stadt am 1. April wieder auf die Straße. Sie stoßen zu einer unbekannten Zahl weiterer Obdachloser, die den Winter über draußen ausharrten.
„In den vergangenen Tagen fragen uns immer mehr Obdachlose, ob wir ihnen helfen können“, sagt Straßensozialarbeiter Johan Graßhoff. „Aber wir haben einfach keine Wohnungsangebote für sie.“ Graßhoff und seine Mitstreiter vor dem Rathaus hoffen, dass der Protest während der laufenden Koalitionsverhandlungen die Situation für Wohnungslose wenigstens etwas verbessert.
Unter die Kundgebungsteilnehmer hatte sich auch Hinz&Künztler Aleksas gemischt. Fünf Monate lebte Aleksas in einem Wohncontainer. So wie 103 weitere Wohnungslose, die in Containern auf Kirchengeländen Platz fanden. Aleksas hat Glück, sein Container wird erst nach Ostern abgebaut. „Immerhin habe ich jetzt noch ein paar Tage im Warmen“, sagt der 58-Jährige. „Aber keine Ahnung, wie es dann weitergeht. Ich muss wohl wieder auf die Straße.“
Eine kleine Miete könne er zahlen, sagt Aleksas. Aber er findet keine reguläre Wohnung. Und weil Aleksas aus Litauen stammt, hilft ihm die Behörde nicht. Dann nach deren Rechtsauffassung haben EU-Bürger aus Osteuropa keinen Anspruch auf eine Wohnung.
Immerhin fand Aleksas etwas Ruhe im Container. Da ging es ihm besser, als Hunderten Wohnungslosen. Die mussten teilweise zu zehnt in Klassenräumen ehemaliger Schulgebäude in Horn und Marienthal nächtigen. Knapp 600 Plätze standen in beiden Gebäuden zur Verfügung. Ende Dezember weitete der städtische Unterkunftsbetreiber fördern und wohnen das Angebot um zusätzliche Containerplätze im Grünen Deich bei den Elbbrücken aus, so dass es schließlich 926 Schlafgelegenheiten gab. So viele Plätze wie nie zuvor. Trotzdem war der Zulauf Anfang März so groß, dass weitere Betten bereitgestellt werden mussten.
„Schätzungsweise 2000 Menschen müssen in Hamburg schutzlos auf der Straße schlafen“, sagte Bettina Reuter vom Aktionsbündnis gegen Wohnungslosigkeit, einem Zusammenschluss von Mitarbeitern der Wohnungslosenhilfe. Denn für sie ist nicht einmal Platz in den Dauerunterkünften. Dort leben etwa 5000 Menschen, die Anrecht auf eine Wohnung hätten. Doch sie finden einfach keine günstige Wohnung.
Bei der Sozialbehörde zieht man trotz alledem eine positive Bilanz: „95 Menschen haben im vergangenen Winter einen Ausweg gefunden und leben nun nicht mehr auf Straße – das sind 95 Erfolgsfälle“, sagt Senator Detlef Scheele. Neben den in Wohnungen vermittelte Menschen seien zudem 350 Menschen mit Unterstützung der Anlaufstelle für wohnungslose EU-Bürger wieder in ihre Heimat zurückgekehrt.
Doch die Probleme werden Jahr für Jahr größer, kritisiert Hinz&Kunzt Sozialarbeiterin Isabel Kohler: „In den vergangenen fünf Monaten haben Hunderte Wohnungslose keine Wohnung gefunden. Wenn nicht endlich günstige Wohnungen für sie gebaut und bereitgestellt werden, dann wird die Obdachlosigkeit im kommenden Winter neue Negativrekorde erreichen.“
Das Aktionsbündnis fordert den Bau von mehr Sozialwohnungen und Wohnungen für besonders benachteiligte Personengruppen und erhofft sich neue Impulse von einem rot-grünen Senat. Eine konkreter Vorschlag des Bündnisses lautet: Jede zweite Neuvermietung bei der Saga GWG soll an vordringlich wohnungssuchende Haushalte gehen.
Eine positive Nachricht gibt es derweil vom Containerdorf für wohnungsloser Frauen auf dem HAW-Campus am Berliner Tor zu vermelden. Zehn obdachlose Frauen verbrachten dort den Winter. Dank einiger großzügigen Spenden könne das Projekt jetzt auch im Sommer fortbestehen, sagt Andrea Hniopek von der Caritas Hamburg gegenüber Hinz&Kunzt.
Text: Jonas Füllner
Foto: Mauricio Bustamante