Referendum : Olympia: Letzte Entscheidungshilfe

Am Sonntag entscheiden die Hamburger über Olympia 2024: Was sind die Chancen, wo liegen die Risiken? Interview mit Prof. Dr. Henning Vöpel, dem Geschäftsführer des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. 

(aus Hinz&Kunzt 273/November 2015)

Henning Vöpel ist Geschäftsführer des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts.
Henning Vöpel ist Geschäftsführer des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts.

Hinz&Kunzt: Herr Professor Vöpel, Sie sind ja Befürworter von Olympia. Wozu braucht die Stadt denn Olympia?
PROF. DR. HENNING VÖPEL: Ich bin ein kritischer Befürworter von Olympia, weil ich Chancen sehe, dass Hamburg nachhaltig profitiert. Aber die ergeben sich natürlich nicht zwangsläufig. Man muss etwas dafür tun. Wenn das geschieht, sehe ich die Möglichkeit, dass wir die Stadtentwicklung in Hamburg tatsächlich auf ein höheres Niveau heben können.

Aber?
Wir brauchen eine Legacy, wie das IOC es nennt, etwas, was als Erbe dieser 16 Tage dauerhaft erhalten bleibt. Dafür muss man aber auch eine Idee davon haben, wie die Stadt in der Zukunft aussieht. Ich bezweifle, dass es diese Vision der Stadt gibt. Ohne ein solches Gesamtkonzept für die Zukunft der Stadt blieben Olympische Spiele ein teures Einzelevent.

Haben andere Städte es denn geschafft, sich mit einer Art Vision zu verändern, auch im Sinne der Einwohner?
Ja, Barcelona war 1992 noch ärmlich und zurückgeblieben in seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Es gab mehrere Gründe für den Aufstieg der Stadt zu einer Weltmetropole, aber die Olympischen Spiele haben dazu beigetragen, und dann hat man es sehr geschickt verstanden, durch Programme und städtebauliche Maßnahmen die Kreativökonomie – von Schriftstellern, Künstlern bis zu IT-Spezialisten – in die Stadt zu ziehen. Barcelona gehört jetzt zu den Top 10 in Europa.
Und München 1972 ist auch ein Beispiel: München war vorher Provinz und hat den Sprung geschafft zu einer Weltstadt. Damals wurde beispielsweise die U-Bahn gebaut. Man hat verstanden, Stück für Stück die Stadt zu entwickeln.

Wir haben recherchiert, welche positiven sozialen Effekte es in Olympia-Städten gegeben hat – und nichts gefunden. Selbst in London, wo man sich ja wirklich bemüht hat, sind nach den Olympischen Spielen die Mieten gestiegen und es kam zu Verdrängung.
Tatsächlich sind in London in einigen Stadtteilen die Mieten gestiegen und haben auch Verdrängung ausgelöst. Für die Stadt insgesamt können wir das aber nicht feststellen. Und in der Tat wäre es auch eine Überforderung Olympischer Spiele, zu glauben, sie könnten alle Probleme einer Stadt lösen. Es ist das Schicksal von ärmeren Menschen, dass sie nicht von einer wirtschaftlichen Entwicklung profitieren. Um solche Menschen muss sich die Gesellschaft immer und grundsätzlich kümmern. Aber zu sagen, es profitieren nicht alle gleichermaßen, also machen wir Olympia nicht, ist auch nicht klug.

Wem gehört die Stadt?

Die Stadt unternimmt große Anstrengungen in Sachen Wohnungsbau, trotzdem kommt sie nicht hinterher. Wenn Hamburg durch Olympia wirklich zur Weltstadt würde, wächst der Druck ja noch mal. Wo sollen denn die ganzen Menschen wohnen, die dann nach Hamburg strömen?
Die Befürchtung, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt, ist ein wenig, dass diejenigen, die jetzt für die Olympischen Spiele stimmen sollen, später verdrängt werden. Das ist nicht akzeptabel. Insofern ist die Frage: Wem gehört eigentlich die Stadt und wer definiert das Wohl einer Stadt? Das sind natürlich erst einmal die Bewohner der Stadt, und das bedeutet, eine breite Akzeptanz für Olympische Spiele herzustellen. Fragen dieser Art muss man mit schlüssigen Konzepten beantworten.
Auf dem kleinen Grasbrook sollen ja rund 6000 Wohnungen entstehen, das ist gemessen am Problem nicht viel, aber immerhin die Entwicklung eines neuen Quartiers. Und wenn der Sprung über die Elbe gelingt, dann kann man eben auch noch mal nachverdichten und neue Flächen erschließen.

Bei diesem schottischen Rentner ist die Liebe für Olympia unübersehbar. (Foto: South West News Service Ltd./action press)
Bei diesem schottischen Rentner ist die Liebe für Olympia unübersehbar. (Foto: South West News Service Ltd./action press)

Wir haben die Schuldenbremse und nur ein bestimmtes Haushaltsbudget – dann müssen wir wegen Olympia irgendwo sparen. Da fehlt mir die Fantasie. Wir brauchen eine Menge Geld, um die laufenden Aufgaben zu wuppen – und ich meine das unabhängig vom Thema Armut und Flüchtlinge.
Nun, Hamburg muss Geld für Olympische Spiele aufbringen, das ist richtig. Man darf aber nicht vergessen, dass vom Bund erhebliche Mittel in die Stadt fließen, mit denen wichtige Investitionen vorgezogen werden können.

Keine Vision und Milliarden-Kosten. So ganz verstehe ich noch nicht, warum Sie ein Befürworter sind. Was würden Sie denn Olaf Scholz empfehlen?
Deshalb ist es ja so wichtig, die Kosten in den Zusammenhang mit einer positiven Vision von der Zukunft der Stadt zu stellen. Städte werden in 50 Jahren durch die digitale Transformation der Gesellschaft völlig anders aussehen als heute. Sie werden nachhaltiger sein, Inklusion ermöglichen und sie werden mehr Partizipation und Lebensqualität bringen.

Stichwort: Shared Economy. Wir müssen nicht mehr alles selbst besitzen, sondern nutzen Ressourcen gemeinsam. Wohlstand durch Teilen. Diese Vision kann Spaß machen: Die Stadt entfaltet neue urbane Räume, hat mehr Platz, mehr Grünflächen, weniger Emissionen, hat insgesamt viel mehr Lebensqualität, hat mehr Zusammenhalt – und ist vielleicht am Ende auch gerechter.

Könnte man das nicht auch ohne Olympische Spiele schaffen?
Doch. Eine Vision sollte etwas sein, was man als Leitidee im Alltag und aus eigener Kraft heraus umsetzen möchte. Ich glaube aber, dass die Olympischen Spiele ein Anlass sind für Hamburg, darüber nachzudenken, und dass sie eine ungeheure produktive Kraft für die Stadt bedeuten können.

Das heißt: Mit den Olympischen Spielen könnten wir die Vision in 40 Jahren erreichen und ohne die Spiele in 50 Jahren?
Oder gar nicht, weil die Stadt ja manchmal zur Selbstzufriedenheit neigt. Aber die Welt dreht sich weiter. Vielleicht braucht Hamburg den Anstoß für mehr Mut zum Fortschritt und Lust auf die Zukunft.

Interview: Birgit Müller
Foto: Lena Maja Wöhler

Die Kosten für Olympia:
Im Finanzreport rechnet die Stadt mit Kosten in Höhe von 11,22 Milliarden Euro. Bürgermeister Olaf Scholz hat sich festgelegt: Die Hamburger Steuerzahler sollen höchstens 1,2 Milliarden Euro der Kosten tragen. Zum Vergleich: Der jährliche Haushalt von Hamburg beträgt rund 12 Milliarden Euro. Scholz möchte, dass die Bundesregierung 6,2 Milliarden Euro zuschießt. Die Verhandlungen darüber laufen noch – Medienberichten zufolge ist der Bund nicht bereit, so viel Geld zu investieren. Weitere 3,8 Milliarden will die Stadt durch Einnahmen und Grundstücksverkäufe finanzieren. Der Rechnungshof warnte den Senat im September vor „erheblichen Risiken“.

Olympia: Pro und Kontra

Dirk Ahrens, Landespastor und Hinz&Kunzt-Herausgeber.
Dirk Ahrens: „Vorher prüfen, wie sich die Spiele auf sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen auswirken.“ (Foto: Dirk Kollmeier)

Dirk Ahrens, Landespastor, Diakoniechef und Herausgeber von Hinz&Kunzt
Ich höre viele gut gemeinte Absichtserklärungen des Senats.
Wir fordern deswegen, dass der Senat noch vor dem Referendum im November eine Kosten-Nutzen-Analyse mit einem Armuts-Mainstreaming vorlegt. Darin soll untersucht werden, wie sich die Spiele auf sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen auswirken.

Zum Beispiel stellt sich die Frage, wie sich ein solches Großevent, das über Jahre Kräfte binden wird, auf Hartz-IV-Familien, Alleinerziehende, Rentner mit geringer Rente, Wohnungslose, Menschen mit Behinderung und Flüchtlinge auswirkt. Wir appellieren an die Stadt, die Auswirkungen der Olympischen Spiele auf diese Bevölkerungsgruppen endlich in besonderer Weise in den Blick zu nehmen.

Denn die Stadt ist zurzeit herausgefordert durch extreme Knappheit im Sozialwohnungsbereich und muss gleichzeitig Tausende von Flüchtlingen unterbringen. Wenn wir das schaffen wollen, sollten wir uns nicht zusätzlich Aufgaben aufbürden, die keinen positiven Beitrag zu den anstehenden Unterbringungs- und Integrationsaufgaben leisten. Ob Olympia da schädlich oder hilfreich sein wird, darauf brauchen wir dringend verlässliche Antworten, und zwar vor dem Volksentscheid.

Nicole Vrenegor, aktiv bei NOlympia Hamburg, bloggt auf www.fairspielen.de
Die vorgelegten Zahlen des Senats sind kein Finanzreport,
sondern ein Wunschreport, der mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert. Vieles auf der Ausgabenseite fehlt, während die Einnahmenseite schöngerechnet wird. Hamburg werde nicht mehr als 1,2 Milliarden Euro zahlen, so das Bürgermeister-Ehrenwort von Olaf Scholz. Aber wer bitte schön soll einspringen, wenn für weniger lukrative Bereiche Investoren fehlen oder die Kosten wie üblich explodieren? Und warum sollte der Bund überhaupt mehr als 6 Milliarden für Hamburgs Stadtentwicklung locker machen?

Das reiche Hamburg will über den Umweg Olympia seine vernachlässigte Infrastruktur in Schuss bringen und alle Bundesbürger sollen dafür aufkommen. Wie will man das zum Beispiel den Menschen im Ruhrgebiet vermitteln, wo aufgrund von Haushaltssperren reihenweise Schwimmbäder schließen müssen? Wer letztlich die olympische Zeche bezahlt – das entscheidet sich wohl erst nach dem Referendum. Vorab möchte der Senat sich von den Wählern und Wählerinnen einen Blankoscheck holen.

Christoph Holstein, Staatsrat Bereich Sport der Hamburger Innenbehörde
Wer heute mit der Münchner U-Bahn schnell zum Olympiazentrum kommt oder sich von der pulsierenden Stimmung entlang der Mittelmeerküste Barcelonas faszinieren lässt, ist ein später Nutznießer der Olympischen Spiele 1972 und 1992. Beide Städte freuen sich noch heute über die positiven Folgen der Spiele.

Wir erwarten einen ähnlichen Positiv-Schub für Hamburg. Wir wollen, dass die Spiele einen Nutzen für die Hamburgerinnen und Hamburger haben. Mit der OlympiaCity bauen wir einen komplett neuen Stadtteil mit 8000 neuen Wohnungen, ein Drittel davon Sozialwohnungen. Die gesamte Verkehrs-Infrastruktur in Hamburg wird modernisiert. Der erste Olympiasieger in Hamburg steht bereits fest: Es ist der Sportverein im Stadtteil, der moderne Anlagen erhält, der seinen Mitgliedern mehr bieten kann als zuvor und der für neue Mitglieder attraktiv wird. Internationale Unternehmen werden durch die Spiele auf Hamburg aufmerksam. Das ist der erste Schritt hin zu neuen Arbeitsplätzen. Auch das braucht Hamburg: olympische und paralympische Jobs.

Dr. Jürgen Mantell, Präsident des Hamburger Sportbundes

Dr. Jürgen Mantell, Hamburger Sportbund:
Dr. Jürgen Mantell, Hamburger Sportbund: „Es wird keine Kürzungen und keine neuen Schulden geben.“ (Foto: Hamburger Sportbund.)

Hamburg ist in seinen Berechnungen der Investitionen davon ausgegangen, was der Hamburger Haushalt tragen kann, ohne dass zum Beispiel Kultur oder Soziales darunter leiden müssen. Es wird keine Kürzungen und keine neuen Schulden geben. Neu gebaut werden auch nur fünf neue Sportstätten. Und für alle Neubauten wurde die Nachnutzung gleich mitgedacht. Alle bleiben für den Sport erhalten. Die schon vorhandenen Sportstätten, die für die olympischen Wettbewerbe vorgesehen sind, müs- sen saniert werden und stehen nach den Spielen dem Sport zur Verfügung.

Außerdem müssen neben den Wettkampfstätten auch mehr als 100 Trainingsstätten auf olympischem Niveau vorgehalten werden. Genau hier trainiert der Breitensport und würde durch die Sanierung dieser Sportanlagen kräftig profitieren. Der Sportentwicklung tut die Aufmerksamkeit durch die Olympia-Bewerbung sehr gut. Sie bekommt mehr Gewicht im politischen Alltag und damit mehr Möglichkeiten, etwas für die Sportvereine zu erreichen.

Sonntag, 29. November, Referendum zu Olympia, 10–18 Uhr, Ort: 200 Abstimmungsstellen in ganz Hamburg, siehe Wahlunterlagen.

Info: Schritt-für-Schritt-Anleitung: Wie funktioniert die Wahl?

 

Weitere Artikel zum Thema