Obdachlosigkeit : Bedrohung der Menschenwürde

Der nächste Winter kommt. Der Senat muss jetzt Sorge dafür tragen, dass er für Hamburgs Obdachlose erträglich wird – auch für die aus Osteuropa. Ein Kommentar von Stephan Nagel, Referent für Wohnungslosenhilfe beim Diakonischen Werk Hamburg.

(aus Hinz&Kunzt 223/September 2011)

Stephan-Nagel
Stephan Nagel vom Diakonischen Werk Hamburg: „Obdachlosigkeit bedroht Leib, Leben und Gesundheit“

Gut, dass endlich mal alle Probleme zum Winternotprogramm auf den Tisch gelegt wurden. Gelöst sind sie damit aber noch lange nicht: Alle Zeichen deuten darauf hin, dass der Bedarf für das Winternotprogramm im kommenden Winter noch größer sein wird als im vergangenen Jahr.

Die bisherigen Planzahlen sind also unzureichend. Die Stadt muss bis zum Herbst Vorsorge treffen, damit alle Bedürftigen, die noch auf der Straße leben, auch wirklich unterkommen. Es ist erfreulich, dass die Verantwortlichen einen Bunker als Notlösung wie im letzten Winter bereits ausgeschlossen haben. Der vergangene Winter hat aber nicht nur den steigenden Bedarf vor Augen geführt, sondern auch gelehrt, dass besonders verelendete Obdachlose ein citynahes, zu Fuß erreichbares Angebot brauchen. Außerdem muss es angesichts der steigenden Zahl nichtdeutscher Obdachloser in den Unterkünften verstärkt mehrsprachiges Personal geben. Im letzten Winter haben alle Beteiligten, Profis wie Ehrenamtliche, am Limit gearbeitet – und oft darüber hinaus. Unterstützung und Entlastung für den nächsten Winter ist notwendig.

Seit Juli werden in Hamburg nichtdeutsche Obdachlose ohne sozialrechtliche Ansprüche nach drei Tagen aus den Unterkünften geworfen. Dabei ist ihre angemessene Unterbringung nicht nur ein Gebot der Humanität, sondern auch eine des Rechts. Obdachlosigkeit bedroht Leib, Leben und Gesundheit.Damit sind elementare Menschenrechte bedroht, die unser Grundgesetz schützt: die Unantastbarkeit der Würde (Art. 1 Abs.1 GG), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Zur Abwehr der Gefahren, die durch Obdachlosigkeit entstehen, ist die Stadt Hamburg verpflichtet, unfreiwillig Obdachlose unterzubringen – und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Das ist im Hamburger Sicherheits- und Ordnungsgesetz nun mal so
vorgeschrieben.

Und ein Letztes: Wirkliche Entlastung bei der Unterbringung von Obdachlosen kann nur eine Verbesserung des Zugangs zu Wohnraum bringen. Auf die Ergebnisse der Bauoffensive können weder die Betroffenen noch die Stadt warten. Das kann Jahre dauern.
Besonders gefordert ist jetzt Saga GWG. Wenn sie einige Hundert Wohnungen zusätzlich an Wohnungslose vermieten würde und endlich wieder eine soziale Vermietungspraxis wie vor 20 Jahren begänne, brächte das eine enorme Entlastung für die Betroffenen – und auch für das ganze Hilfesystem.

Foto: Mauricio Bustamante