Der Hamburger Meeresforscher Jürgen Trahms ist auf Expedition in der Südsee. Dort will der 66-Jährige Kochrezepte sammeln und Konsul eines Atolls werden
(aus Hinz&Kunzt 159/Mai 2006)
Er sagt von sich selber, er sei „ein skurriler Typ“. Und jeder, der ihn auch nur kurz gesehen hat, wird der Selbstbeschreibung von Dr. Jürgen Trahms sofort zustimmen. Der Hamburger Meereskundler wirkt wie eine Mischung aus dem Seewolf und Professor Hastig: rotblonde Haare wie ein Wikinger und eine fahrige Art zu sprechen, Sätze nicht zu beenden, weil schon die nächste Idee aus ihm heraussprudelt.
„Ich bin der Vertreter von James Cook“, sagt Trahms ebenfalls gern. Auch das mag man sofort glauben. Immerhin arbeitete Trahms jahrzehntelang am Institut für Hydrobiologie und Fischerei der Uni Hamburg und leitete mehrere Expeditionen in die nördliche Nordsee und den Südatlantik. Seit seiner Pensionierung vor einem Jahr unterhält der versierte Fahrensmann und Forscher Interessierte mit Vorträgen über sein Idol James Cook, die Südsee, Atolle und Riffe. Zuletzt sprach er im renommierten Überseeclub, demnächst vor Meereskundlern in Oxford.
„Und jetzt hab ich eben noch so eine Quatschidee“, erzählt Trahms in der Küche seines alten Bauernhauses bei Hamburg kurz vor der Abreise nach Tonga, dem Inselstaat im Südpazifik. „Ich werde Generalkonsul von Minerva.“ Für die, die noch nie von Minerva gehört haben, und das dürften fast alle sein: Die „Republic of Minerva“ ist der Versuch eines US-Millionärs, einen eigenen Mini-Staat auf einer künstlich angelegten Insel zu schaffen. Auf zwei Riffs der Inselgruppe Tonga gründete der Umweltaktivist und Millionär Michael Olivier aus Las Vegas 1972 seinen eigenen Staat (siehe unten).
Was treibt nun einen pensionierten Hamburger Meereskundler dazu, eigens in die Südsee zu reisen, um Konsul eines nicht existenten Insel-Staates zu werden? „Erst mal ist es ja nur eine Idee von mir“, so Trahms. „Für mich als Wissenschaftler wäre natürlich der Schutz der Umwelt, der einzigartigen Tierwelt auf diesem Riff das Motiv.“ Wahrscheinlich aber reizt den exzentrischen Forscher und Sammler etwas ganz anderes: der Gedanke, so zu reisen wie sein Idol James Cook auf seiner Südsee-Expedition. Neuland zu entdecken, ein Eiland zu betreten in der Südsee – dem verlorenen Paradies – und dort einfach seine Fahne zu hissen. „Vielleicht pikse ich ja irgendwo die deutsche Flagge ins Riff“, scherzt Trahms. „Ach Quatsch, ich bin doch kein Nationalist.“
Und überhaupt: Er verfolge doch mit seiner Reise insgesamt vier Missionen. Minerva sei nur eine. Die andere, größere sei die Spurensuche nach James Cook. Die dritte: „Ich will ein Kochbuch schreiben über die echte Südsee-Folklore-Küche, dazu nehme ich den Fotografen Olaf Kirstein mit. Die Eingeborenen haben ja früher schließlich nicht nur die Missionare im Erdbackofen geschmort.“ Und Mission vier? „Ich soll für das Museum für Völkerkunde Bast von Maulbeerbäumen mitbringen, einen Quadratmeter, damit sie die Baströcke in ihrer Ausstellung reparieren können.“ Sensationelle 200 Euro bekomme er dafür. „Na ja, da musste ich wohl meine Expedition selbst bezahlen“, murrt Trahms theatralisch. „Ich hab zwei meiner Oldtimer verkauft, an Prinzen aus Baden. Hab ich schon erzählt, dass ich Oldtimer gesammelt hab…?“
Das nicht, aber dass Trahms ein geradezu besessener Sammler sein muss, ist offensichtlich: In seinem Haus stapeln sich Bücher an allen möglichen und unmöglichen Orten, auf der Spüle, dem Herd, dem Tisch sowieso. Auf dem Boden stehen Unmengen von Vasen, ziehen sich in einer endlosen Schlange an den Wänden entlang, auf Schränke, Regale hinauf. „Ich hab die größte Vasen-Sammlung der Welt.“ Auf einem Sessel ein Haufen alter Telefone, in einer Ecke stapeln sich riesige Overheadprojektoren. „Hab ich schon erzählt, dass ich eine Scheinwerfersammlung hab…?“ Er sei nämlich in seiner Jugend Beleuchter am Schauspielhaus in Düsseldorf gewesen, habe mit Ernst Deutsch zusammengearbeitet. Bis sein Vater – ein Meeresbiologe – meinte, er solle etwas Vernünftiges studieren.
Doch der wichtigste Gegenstand für Trahms sind in diesem Moment zwei robuste Gummisandalen, die neben der Spüle liegen und in dem ganzen Sammelsurium merkwürdig neu wirken. Vielleicht auch nur, weil sie die einzigen Dinge zu sein scheinen, die hier keiner Sammlung angehören: Spezialschuhe für das Erklettern von Riffen. „Das ist meine Expedition, mein Traum. Ich hab einfach nur den Wunsch, in diesen Riffsandalen über so ’ne olle Südsee-Klamotte zu laufen. Das ist eigentlich alles.“ Wieso alles? Das ist doch eine schöne, herrliche Spinnerei.
Petra Neumann
Die Geschichte von minerva beginnt am 19. Januar 1972. An diesem Tag ließ der Millionär und Umweltaktivist Michael Olivier aus Las Vegas Sand auf einem bis dahin vollständig im Wasser liegenden Riff abladen, errichtete einen kleinen Turm und hisste eine Fahne auf dem Atoll südlich der Fidschi-Inseln. Die Mikro-Nation versandte Unabhängigkeitserklärungen an die umliegenden Inselreiche, ernannte einen eigenen Präsidenten, einen Mann namens Morris Davis, und kreierte eine eigene Währung, den Minerva Dollar. Die Vision der Minervianer, die übrigens bis heute alle im Exil leben, war eine liberale Utopie basierend auf freiem Handel und Fischerei. Sechs Monate später wurde die Republik vom Königreich Tonga „überrannt“, wie die Minervianer sagen.
Aus Sicht von Tonga wurde einfach nur die Fahne einiger vorwitziger Aktivisten gekappt. Michael Olivier feuerte kurz darauf seinen Präsidenten und das Projekt versank sang- und klanglos im Pazifik des Vergessens.
Mehr als ein Vierteljahrhundert lang wurde es still um Minerva. Bis im Oktober 2003 eine Gruppe von Aktivisten das „Fürstentum Minerva“ ausrief, eine neue „Exilregierung“ gründete, mit einem ominösen „Prinz Calvin“ als Staatsoberhaupt, von dem niemand weiß, wer er ist. Seither sammeln die Minervianer Unterschriften, um Mitglied der UNPO zu werden, der Unrepresented Nations & Peoples Organization, einem Interessenverband von bedrohten Völkern und Nationen. Bisher ohne Erfolg.