Meldungen: Politik & Soziales

Die ungekürzten Meldungen aus Hinz&Kunzt 229/März 2012 und weitere Meldungen aus dem Bereich Politik und Soziales aus Hamburg und Deutschland

Migrantenberatung zu Berufsabschlüssen: großer Bedarf
Mehr Menschen als erwartet haben seit Oktober 2010 die „Zentrale Anlaufstelle Anerkennung“ (ZAA) der Diakonie in Hamburg besucht. Mehr als 800 Hilfesuchende aus 93 Ländern ließen sich laut ZAA dabei beraten, wie sie ihre Berufs- oder Schulabschlüsse aus ihren Heimatländern auch in Deutschland anerkennen lassen können. Das Projekt wird bis Ende 2013 fortgesetzt und personell aufgestockt. Die Kosten von 750.000 Euro dafür übernehmen je zur Hälfte die Sozialbehörde und der Europäische Sozialfonds. Sozialsenator Detlef Scheele sagte, Hamburg könne es sich nicht leisten, dass Fachkräfte wie Pfleger, Ärzte oder Ingenieure als Haushaltshilfen oder Taxifahrer arbeiten, weil ihre Ausbildung hier nicht anerkannt ist. BEB
Kontakt und Öffnungszeiten: www.anlaufstelle-anerkennung.de

Massenhafte Kinderarmut
Jedes vierte Kind unter drei Jahren lebt in Hamburg in Armut. Das ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung. „Mindestlöhne für die Eltern und deren berufliche Qualifizierung sind das beste Mittel, um Familien zu fördern“, erklärte dazu Klaus Wicher, Hamburger Vorsitzender des Sozialverbands Deutschland. Derweil kommt eine Behörden-Untersuchung zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass Armut von Eltern deren Nachwuchs oft schadet: „Kinder und Jugendliche mit geringem Familienwohlstand sitzen länger vor dem Fernseher oder Computer, sind weniger körperlich aktiv, ernähren sich schlechter und haben einen schlechteren Gesundheitszustand“, so Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD?) Mit einer Plakatkampagne unter dem Motto „Rechthaber“ will die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege das Bewusstsein dafür schärfen, dass „soziale Leistungen keine Almosen, sondern im Gesetz verankert“ sind. UJO

Ausschuß prüft CDU-Antrag auf öffentliches Alkoholverbot
Die CDU will eine gesetzliche Grundlage für Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Der Antrag wurde im Februar mit den Stimmen der SPD aus der Bürgerschaft an den Innenausschuß überwiesen. „Wir finden: Man kann sich ja damit beschäftigen“, sagt Claas Ricker, Sprecher der SPD-Fraktion. In dem Antrag heißt es: „An einigen Orten Hamburgs haben sich auf öffentlichen Straßen und Plätzen sogenannte Trinkertreffs etabliert (…) Betrunkene lungern herum und urinieren in aller Öffentlichkeit, bepöbeln Reisende und belästigen Passanten.Sie verbreiten ein Klima der Unsicherheit und tragen ganz erheblich zu einer Verwahrlosung des öffentlichen Raumes bei.“ GAL, FDP und Linke stimmten dagegen, über den Antrag zu beraten. „Wir sind gegen so eine Regelung“, sagt Linken-Sprecher Martin Bialluch. „Der öffentliche Raum gehört allen. Der CDU geht es ganz klar um Verdrängung uns Ausgrenzung, nicht um Problemlösung.“ BEB

GAL will Spekulation stoppen
Die GAL will die Vergabe von städtischen Grundstücken stärker regulieren. „Hamburg braucht eine komplett neue Grundstückspolitik“, heißt es in einem GAL- Antrag. Vor allem mehrmalige Wiederverkäufe sollen unterbunden werden. Sie seien Hauptursache für Miettreiberei und Spekulation. Ein 7-Punkte-Plan fordert u.a. städtische Grundstücke an Träger zu vergeben, die ihre Bestände langfristig halten, wie gemeinnützige und öffentliche Wohnungsbauunternehmen, Baugemeinschaften und Genossenschaften. Die Linke wies unterdessen darauf hin, dass unter Schwarz-Grün in den Jahren 2009 und 2010 rund 250 städtische Grundstücke an Privatinvestoren veräußert worden. Linken-Politikerin Heike Sudmann: „Wenn die GAL nun erkennt, dass das ein Fehler war und Umsteuern angesagt ist, kann ich nur sagen: lieber spät als gar nicht.“ SIM

Neue Erhaltungsverordnungen in Mitte
Für Teile der Stadtteile St. Georg und St. Pauli gelten seit Mitte Februar sogenannte Soziale Erhaltungsverordnungen. Modernisierungen, Nutzungsänderungen und Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in den Quartieren müssen künftig vom Bezirk genehmigt werden. Laut Bezirksamt Mitte verhindern die Verordnungen die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte. Außer für St. Pauli und St. Georg gilt in Hamburg eine solche Verordnung für die südliche Neustadt. Zudem soll es in diesem Jahr auch für die Sternschanze und das Osterkirchenviertel in Altona Erhaltungsverordnungen geben. BEB

Leiharbeit: Förderung stoppen
Die Linkspartei hat den Senat aufgefordert, Leiharbeitsverhältnisse in Hamburg nicht mehr zu bezuschussen. Hintergrund: Jeder achte Zeitarbeiter ist auf Hilfe vom Staat angewiesen, da der Verdienst zum Leben nicht reicht. Selbst wer den neuen Branchen-Mindestlohn von 7,79 Euro die Stunde bezahlt bekommt, bleibt oft „Aufstocker“. Die Bürgerschaft überwies den Antrag der Linkspartei in den Sozialausschuss zur Beratung.
In Hamburg fördern die Jobcenter Arbeitsplätze mit Lohnkostenzuschüssen, sofern sie nicht sittenwidrig sind – oft bei Zeitarbeitsfirmen. Allein mit 8,5 Millionen Euro jährlich bezuschusst die Stadt Jobs für Geringqualifizierte über das „Hamburger Modell“. In wie vielen Fällen das Leiharbeitsverhältnisse sind, wird „statistisch nicht erfasst“, so der Senat.
Sogar die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga/GWG beschäftigt rund 90 Mitarbeiter in einer eigenen Leiharbeitsfirma. Eine Bürokraft berichtete der „Morgenpost“, sie verdiene 20 Prozent weniger als ihre Kollegin, die die gleiche Arbeit leiste, jedoch bei der Saga und nicht bei der BCH angestellt sei. Saga/GWG erklärte auf Nachfrage, die Tochterfirma diene dazu, „Kapazitätsengpässe auszugleichen“. Die Mitarbeiter, meist Bürokräfte und Hauswarthelfer, würden nach Zeitarbeits-Tarif bezahlt. UJO

Weiter kein Recht auf Girokonto
Das Problem ist seit vielen Jahren bekannt: Hunderttausende Menschen in Deutschland schaffen es nicht, bei einer Bank ein Girokonto zu eröffnen, meist weil sie Schulden haben. Trotzdem hat die Bundesregierung die Einführung eines Rechtsanspruchs – von Schuldnerberatern und Opposition gefordert – erneut vertagt: Es gebe „angesichts einer sich abzeichnenden europäischen Lösung keinen Handlungsbedarf“. Die Linkspartei warnte: „Selbst Optimisten gehen nicht davon aus, dass es vor 2014 eine geänderte Rechtslage gibt.“ UJO

Opposition will Bezug von Arbeitslosengeld I erleichtern
Die Hürden für den Bezug von Arbeitslosengeld I (ALG I) nach dem Jobverlust sollen gesenkt werden – wenn es nach den Fraktionen von SPD, Grünen und Linken im Bundestag geht. Alle drei Parteien haben Anträge eingereicht, nach denen auch Menschen, die nur kurz beschäftigt waren, eher Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bekommen. In Deutschland hat jeder Vierte, der arbeitslos wird, zwar in die Versicherung eingezahlt, ist jedoch direkt auf Hartz IV angewiesen. Um ALG I, dessen Höhe vom letzten Gehalt abhängig ist, zu bekommen, muss man derzeit in den vergangenen 24 Monaten mindestens 12 Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. SPD und Linke wollen die Frist von 24 auf 36 Monate verlängern. Die Grünen fordern, dass innerhalb von zwei Jahren der Bezug von ALG I schon ab vier Monaten Beschäftigung möglich sein soll. BEB

Zeitverträge: Der Einzelfall entscheidet
Wenn ein Arbeitgeber Beschäftigten immer wieder nur zeitlich befristete Arbeitsverträge ausstellt, liegt nicht automatisch Missbrauch vor. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. Vielmehr könnten „sachliche Gründe“ eine solche Praxis rechtfertigen – etwa dass der Arbeitsplatz einer Mitarbeiterin wegen einer Elternzeit zeitlich begrenzt besetzt werden muss. Im strittigen Fall hatte das Amtsgericht Köln einer Justizangestellten insgesamt 13 befristete Arbeitsverträge ausgestellt – und sie dann entlassen.
Das Gericht forderte die nationalen Behörden ausdrücklich dazu auf, alle Umstände eines jeden Einzelfalls zu prüfen, „einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Verträge“. Für die deutsche Rechtssprechung könnte das laut Bundesarbeitsgericht weitreichende Folgen haben: „Bislang wurde nur der letzte Vertrag geprüft, nie die ganze Kette.“ UJO

Dumpinglöhne bei Netto und Kaufland?
Immer häufiger umgehen Unternehmen den Mindestlohn für Leiharbeiter, indem sie sogenannte Werkverträge mit sogenannten Dienstleistern abschließen. Nun stehen die Einzelhandelsketten Netto und Kaufland in Verdacht, mit dieser Praxis gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Die Folge: Leiharbeiter seien erheblich unter Tarif bezahlt, Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen worden. Mehr als 450 Zollfahnder stellten im Rahmen einer Razzia umfangreiches Beweismaterial sicher. Die Auswertung werde Monate dauern, hieß es. Netto und Kaufland versicherten, sie hielten sich an geltendes Recht.
Die Gewerkschaft verdi verwies auf einen Umstand, an dem sich vermutlich auch dieses Mal die Ermittler die Zähne ausbeißen werden: Die Grenzen zwischen Leiharbeit und Werkvertrag sind fließend. In beiden Varianten bieten Firmen Menschen als Arbeitskräfte an, die Regale auffüllen oder Paletten packen. Verdi meint: „Die Unternehmen können sich aussuchen, wie sie es haben wollen.“ UJO