Meldungen: Politik & Soziales

(aus Hinz&Kunzt 224/Oktober 2011)

Kommentar: Stahl und Steine gegen Obdachlose
Hamburg hat seit Jahren nicht genug Unterkünfte, um die Obdachlosigkeit bekämpfen zu können. Markus Schreiber (SPD), Amtsleiter im Bezirk Mitte, bekämpft aber sowieso lieber die Obdachlosen: Für 18.000 Euro hat er unter der Kersten-Miles-Brücke (Helgoländer Allee) einen 2,80 Meter hohen Stahlzaun aufstellen lassen, damit dort niemand mehr übernachten kann. Bereits im März war der Platz für 100.000 Euro umgebaut und mit großen Steinen versehen worden, um es möglichst ungemütlich zu machen.
Ganz ehrlich, Herr Schreiber: Es reicht! Es ist schlimm genug, dass die Unterkünfte aus allen Nähten platzen und Obdachlose aus Osteuropa nicht einmal mehr im Pik As bleiben dürfen. Wenn aber Menschen verjagt werden, um die Optik für Touristen zu verbessern, ist das menschenverachtend (das sehen auch viele unserer Leser so, siehe S. 36).
Markus Schreiber argumentiert, unter der Kersten-MilesBrücke seien Straftaten verübt worden, außerdem sei eine Brücke keine menschenwürdige Bleibe. In der Tat, Straftaten müssen aufgeklärt werden – und auch wir halten den Platz unter einer Brücke nicht für den besten Schlafplatz. Aber erstens ist nicht jeder, der draußen schläft, kriminell oder gefährlich. Und zweitens: Wer Hamburgs 1029 Obdachlose wirklich von der Straße kriegen will, der braucht keine Zäune zu bauen. Wie wäre es stattdessen mit Unterkünften und Sozialwohnungen? Hanning Voigts

Jobcenter muss Lohn zahlen
Das Bundessozialgericht stellt sich gegen den verbreiteten Missbrauch von Ein-Euro-Jobs: Lässt das Jobcenter eine Langzeitarbeitslose reguläre Arbeit verrichten, muss die Behörde auch den dafür üblichen Lohn bezahlen, so das Gericht (AZ: B 4 AS 1/10 R). Geklagt hat eine Ein-Euro-Jobberin, die in einem Altenheim putzen musste. Laut
eines Berichts des Bundesrechnungshofs sind mehr als die Hälfte der Ein-Euro-Jobs nicht „zusätzlich“, sondern verdrängen reguläre Arbeitsplätze. UJO

Bürgerschaft: Mindestlöhne nicht unterschreiten!
Betriebe, die in Hamburg staatliche Aufgaben wahrnehmen, sollen Tarif- und Mindestlöhne einhalten müssen. Eine Bürgerschaftsmehrheit aus Linke, GAL und SPD hat den Senat aufgefordert, „darauf hinzuwirken“, dass Lohnuntergrenzen nicht unterschritten werden. Wie die Realität aussieht, können bulgarische Tagelöhner berichten: Sie bekommen auf Baustellen der Stadt mitunter sieben Euro versprochen und noch weniger bezahlt. Laut allgemeinverbindlichem Tarif stünden ihnen mindestens 10,90 Euro die Stunde zu. UJO

Millionäre wollen mehr zahlen
Mehrere deutsche Millionäre haben sich für eine stärkere Besteuerung von Reichen ausgesprochen. Unter anderen sagten der Sänger Marius Müller-Westernhagen, der Unternehmer Michael Otto und der Reeder Peter Krämer, sie seien bereit, höhere Spitzensteuersätze zu zahlen. Das Düsseldorfer Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung hat errechnet, dass von Steuersenkungen seit 2000 vor allem Reiche profitieren. Ohne diese Reformen hätte der Staat allein 2011 Mehreinnahmen von 51 Milliarden Euro. HAN

Hartz IV deckt nicht tatsächlichen Bedarf
Die Regelsätze für Arbeitslose und -unfähige sind weiterhin verfassungswidrig. Das besagen zwei Gutachten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Tenor: Die Bundesregierung hat den Bedarf nach Kassenlage berechnet und Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht umgesetzt. So könnten Kinder in strukturschwachen Regionen vom „Bildungspaket“ nicht profitieren: Ein kostenloses Schul-Mittagessen könne nur beantragt werden, wenn es vor Ort angeboten werde. Anfang 2012 soll Hartz IV um zehn auf 374 Euro steigen. Die Sätze für Kinder bleiben unverändert, nur bis zu Fünfjährige erhalten vier Euro mehr. UJO

CDU Mitte: Nicht vor unserer Haustür!
Die CDU im Bezirk Mitte stellt sich gegen Pläne des Senats, in einer ehemaligen Schule in Hamm 45 Zuwanderer unterzubringen. Wegen der Nähe eines Discounters, eines Hotels und eines Altenheims sei „mangelnde Akzeptanz in der Nachbarschaft zu befürchten“. Die SPD beklagte „populistische Meinungsmache“. Derzeit prüfen die Bezirke 20 Standorte, an denen der Senat 500 Unterkunftsplätze für Flüchtlinge und Obdachlose schaffen will. UJO

Winternotprogramm zieht ins Hochhaus
Das Winternotprogramm für Obdachlose zieht in diesem Jahr in ein Hochhaus in der Spaldingstraße (City Süd). Wie eine Sprecherin der Sozialbehörde auf
Anfrage von Hinz&Kunzt mitteilte, richtet Fördern und Wohnen in dem elfstöckigen Gebäude ab dem 1. November 160 Schlafplätze in Zwei- bis Sechsbettzimmern ein. Die Winter-Notschlafplätze in der Unterkunft Sportallee sollen dafür entfallen. Auch in dem neuen Haus kann man sich tagsüber nicht aufhalten: Zwischen 9 und 17 Uhr bleibt es geschlossen. Als zusätzliches Angebot ist laut Sozialbehörde eine Anlaufstelle für osteuropäische Obdachlose geplant. HAN

Großes Kino gegen Wohnungsnot
Mit einem außergewöhnlichen Film-Event macht das Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot am Montag, den 31. Oktober um 17.30 Uhr auf die Wohnungsnot in Hamburg aufmerksam. Unter der Kersten-Miles-Brücke, wo der Bezirk Mitte seit Kurzem mit einem Stahlzaun Obdachlose fernhält, zeigen die Aktivisten den französischen Film „Die Liebenden von Pont Neuf“. Nach der Vorführung soll der Abend mit Gesprächen an der Feuertonne ausklingen. SOL

Anklage nach Tod eines Obdachlosen
Nach dem Tod eines Obdachlosen in Oschatz (Sachsen) hat die Staatsanwaltschaft Leipzig gegen fünf Männer zwischen 16 und 27 Jahren Anklage wegen Totschlags erhoben. Sie sollen den 50-Jährigen Ende Mai massiv gegen Kopf und Körper getreten haben. Der Obdachlose war am Tag nach der Tat schwer verletzt gefunden worden und wenige Tage später gestorben. HAN