Mein Sommer mit Wim Wenders

Unser Autor Frank Keil hat sein Idol getroffen, den Regisseur von „Im Lauf der Zeit“ und „Der amerikanische Freund“.

(aus Hinz&Kunzt 231/Mai 2012)

Regisseur, Fotograf, Professor für Film – und trotzdem ein Mann der Stille: Eigentlich wollte Wim Wenders Priester werden.

Wir waren zu dritt, Rainer, Norbert und ich. Aber eigentlich waren wir zu viert, denn Wim Wenders schwebte über uns; mal mehr in den Wolken, mal dicht über unseren Köpfen. Wir waren drei beste Freunde und unternahmen in einem Sommer Anfang der 80er eine Fahrradtour entlang der damals noch existierenden deutsch-deutschen Grenze. Denn entlang dieser Grenze spielte der Wim-Wenders-Film „Im Lauf der Zeit“. Ein Roadmovie, das an einem heißen Sommertag in Hitzacker an der Elbe beginnt, in Süddeutschland endet und das Wenders’ Ruhm als einer der talentiertesten Regisseure begründen sollte.

Ein Schwarz-Weiß-Film über Männerfreundschaften; ein langer, stiller, auch sehr spröder Film, in dem nicht allzu viel geredet wird und der unser damaliges Lebensgefühl exakt wiedergab. Wir waren echte Fans, und Wim Wenders war unser Idol.

Gut 30 Jahre ist das jetzt her und nun sitze ich ihm plötzlich gegenüber. Er ist älter geworden und ich bin älter geworden, aber nur nach der Zahl der Jahre, die seither verstrichen sind. Wim Wenders jedenfalls ist ein spannender Querkopf geblieben, der noch nie eine banale Fernsehserie abgeliefert hat, der sich nicht in Talkshows blicken lässt. Dazu passt, dass er heute zu seinem recht eleganten, schwarzen Anzug coole, blaue Turnschuhe mit dicker Sohle trägt.

Damals beim Dreh war er mit einem kleinen Team unterwegs: „Wenn Sie sich den Abspann anschauen, dann finden Sie da nicht mehr als zehn Namen. Heute hat ja jeder
Studentenfilm eine Namensliste, bis die abgespult ist, das dauert manchmal länger als der Film“, beginnt er zu erzählen. Und ja, die Geschichte stimmt, dass das Drehbuch seinerzeit überhaupt nicht fertig war und er nachts daran weiterschrieb, damit seine Schauspieler am nächsten Tag wussten, was sie zu spielen hatten: „Am Anfang haben die Schauspieler noch groß getönt ‚Na klar schreiben wir mit‘. Aber nach der ersten Woche war ich alleine, denn sie brauchten alle ihren Beauty-Schlaf.“ Er holt tief Luft: „In vielen Pensionen zwischen der Lüneburger Heide und dem Bayerischen Wald ist damals das Drehbuch entstanden.“

Anlass unseres Treffens ist seine Fotoausstellung „Places, strange and quiet“ in der Sammlung Falckenberg. Wie schafft er es, noch immer Orte zu entdecken, in denen die Zeit stillzustehen scheint und wo doch so viel passiert? „Ich habe schon als kleiner Junge nie etwas lieber gemacht, als irgendwo hinzukommen, wo ich noch nicht war. Dieser Wunsch ist in meinen Genen von Anfang an vorhanden gewesen.“ Er zögert kurz: „Vielleicht liegt es auch an meiner Nachkriegsjugend in einer so zerstörten Stadt wie Düsseldorf, wo ich geboren bin. Die Idee, dass es woanders anders sein könnte, war doch zu verlockend.“

Er schweigt einen Moment, gießt sich Tee ein und dann huscht ein kurzes Lächeln über sein Gesicht: „Ich erinnere mich, wie ich das erste Mal alleine eine Zugreise machen sollte. Da war ich wahnsinnig aufgeregt und ganz stolz. Dann ist doch tatsächlich meine Mutter mit mir in den Zug gegangen, das fand ich schon empörend! Und sie hat auch noch jemanden gesucht, der mich begleiten könnte: Da hab ich einen Zornausbruch bekommen! Da war ich so böse mit ihr und hab sie so richtig aus dem Zug rausgeschubst. Das war es doch gerade: dass ich alleine wohinreisen konnte!“

Er hat sich das Alleinsein bewahrt – wenn er fotografiert: „Ich trage mein Equipment auf dem Rücken, ich wechsle meine Filme selber, ich messe selbst das Licht – Fotografieren geht nur alleine, sonst kann ich mich auf die Orte nicht einlassen.“ Manchmal reist er mit seiner Frau, der Fotografin Donata Wenders: „Wir fahren irgendwohin, trennen uns morgens und kommen abends wieder zusammen.“ Wie neulich, als sie für eine Woche in einem kleinen japanischen Ort unterwegs waren: „Meine Frau hat viele Hundert Filme fotografiert und ich nicht ganz so viele. Auf meine Panorama­kamera gehen nur vier Bilder drauf, dann muss man die auswechseln. Jedenfalls – viele Wochen später haben wir die Kontaktbögen bekommen und ich sagte zu ihr: ‚Mensch, wen hast du denn da alles getroffen?‘ Und sie hat meine Kontakte gesehen und meinte: ‚Wo war das denn?‘ Wir waren also in derselben Stadt und haben ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht.“

Ein Foto aus Hamburg gibt es in der Ausstellung nicht – obwohl der Wahlberliner Wenders seit zehn Jahren Professor für Film an der Kunsthochschule am Lerchenfeld ist. „Ich muss gestehen, dass ich bisher kein großer Hamburgkenner geworden bin“, gibt er zu. „Wenn ich hier bin, bin ich so beschlagnahmt von meinen Studenten, dass ich froh bin, den Fahrradweg von St. Georg, wo ich dann wohne, zur Hochschule zu finden.“ Dabei hat er der Stadt schon lange ein filmisches Denkmal gesetzt mit seinem Film „Der amerikanische Freund“. Gedreht 1976 im Alten Elbtunnel und in einem Haus unten am Alten Fischmarkt: „Das Haus steht da noch, obwohl sie eine völlig neue Landschaft drumherum aufgebaut haben. Das Haus sollte damals abgerissen werden, deshalb hab ich gesagt: ‚Kommt – da drehen wir!‘“

Ich kannte das Haus und die Gegend damals gut: Rainer und Norbert, meine beiden Mitradfahrer aus jenem Wenders-Sommer, sie wohnten damals gleich um die Ecke.

Text: Frank Keil
Foto: Daniel Cramer

Die Fotoausstellung „Places, strange and quiet“ läuft noch bis zum 15. August in der Sammlung Falckenberg, Phoenix Fabrikhallen, Wilsdorfer Straße 71, Tor 2. Der Besuch ist nur während 90-minütiger geführter Rundgänge möglich: Mi und Do, 18 Uhr, Fr, 17 Uhr sowie Sa und So, 11 und 15 Uhr. Anmeldung von Mo bis Fr, 10  bis 18 Uhr, Telefon 32 50 67 62 oder per E-Mail unter besuch@sammlung-falckenberg.de