Mal dunkeldüster, mal schrillbunt

Er hat eine Geschichte wie eine Farbpalette: Marco lebte lange Zeit auf der Straße und war drogenabhängig. Als er seine Leidenschaft fürs Malen entdeckte, fasste er neuen Mut für ein geregeltes Leben. Jetzt träumt er davon, seine Bilder zu verkaufen.

Farben sind sein Leben: Marcos Bilder sagen viel über seine Stimmungen während des Malens aus.
Farben sind sein Leben: Marcos Bilder sagen viel über seine Stimmungen während des Malens aus.

(aus Hinz&Kunzt 222/August 2011)

Man kann es sich richtig gut vorstellen: Marco, wie er im Fitnessstudio ackert und schwitzt, hanteln hebt, seine Mus­keln spielen lässt. Das Trainingsoutfit hat der stämmige 39-­Jährige schon an, auch eine große Sporttasche trägt er bei sich. Und tatsächlich will er gleich in die „Mu­cki­Bude“, so wie jeden zweiten Tag. Wer Marco aber zu Hause besucht, entdeckt dort eine ganz andere Seite des Hinz&Künztlers: In seiner Wohnung reihen sich große an kleine Staffeleien, liegen Pinsel und Farben, warten ange­fangene Bilder auf den letzten Schliff. Marco malt. Mit Leidenschaft. Und mit einem ehrgeizigen Ziel: „Bald möchte ich von meiner Kunst leben“, sagt er. „das wäre wirklich ein Traum.“ Dabei hat er das Malen erst vor zwei Jahren für sich entdeckt. „Vorher ging’s mir eigentlich immer nur dreckig“, erzählt er. Marco wächst in st. Pauli auf, ist ein „richtiges Kiezkind“, wie er sagt. „ich habe dort Sachen erlebt und gese­hen, die jeden krank machen würden.“ Marco schüttelt sich, möchte am liebs­ten gar nicht mehr an diese Zeit denken. „die Erinnerungen daran tun immer noch weh.“ Als Kind erfährt Marco nur bei sei­ner Oma so etwas wie ein Zuhause. Sei­nen leiblichen Vater lernt er nie kennen, seine Mutter arbeitet Tag und Nacht als Kellnerin. Mit 13 geht er freiwillig in ein Heim, weil er mit seinem Stiefvater nicht klarkommt. „Es gab ständig Streit und auch Schläge, das wollte ich nicht mehr.“ Aber auch im Heim hält Marco es nicht lange aus. Immer wieder haut er ab, jobbt hier und da, rutscht bald in die Drogenszene. Einmal beginnt er eine Malerlehre, bricht sie wieder ab, klaut, um an Geld für seine sucht zu kommen. „Eine furchtbare zeit“, fasst Marco die Jahre zusammen.

Mit Anfang 20 dann ein kurzer Blick ins Glück: Marco verliebt sich, wird clean, heiratet, wird Vater: „Mein Sohn war ein absolutes Wunschkind.“ Seine Frau arbeitet, Marco ist jetzt Haus­mann. Doch dann der Rückfall. „Meine Frau hatte noch drei Kinder aus einer früheren Beziehung. Ich war mit mei­ner Rolle in der Familie überfordert.“ Marco landet wieder auf der Stra­ße, wird erneut abhängig. Erst als er ei­nes Tages vor Gericht steht – er hat sich auf illegalem Weg Geld für die Sucht beschafft –, beschließt er: „Jetzt reicht’s, ich will nicht noch mehr Mist bauen.“ Marco beginnt als Verkäufer bei Hinz&Kunzt, gleichzeitig startet er ein Substitutionsprogramm, lässt sich vom Arzt Methadon verschreiben und nä­hert sich langsam wieder seinem Sohn an. „Wenn er etwas älter ist, erzähle ich ihm auch in Ruhe meine Geschichte. Ich will ihm ein guter Vater sein.“ Das Malen in einer Suchthilfe­ein­richtung hilft ihm, sein Leben wieder in den Griff zu kriegen – obwohl Marco anfangs nur wenig Lust auf Kunst hat. „Jeder musste sich eine Freizeitgestal­ tung aussuchen“, erzählt er. „Malen erschien mir als das kleinste Übel.“

Marcos Bilder sagen viel über seine Stimmungen während des Schaffensprozesses aus.
Marcos Bilder sagen viel über seine Stimmungen während des Schaffensprozesses aus.

Also schnappt er sich Pinsel und Pa­pier – und ist auf einmal wie verwan­delt. Kein langes Grübeln, keine Unsi­cherheit, „es war, als hätte sich eine Blockade gelöst“. Marco malt und malt, ermutigt durch seine Betreuerin und Mitbewohner. Sein erstes Bild zeigt die Freiheits­ statue, ein Motiv, dass er immer wieder aufgreift. „sie ist nun mal das Symbol für Freiheit“, erklärt er. „Und Freiheit ist für mich das höchste Gut.“ Ein anderes Lieblingsmotiv ist der Drache. Mal in schrillen Farben, mal düster und bedrohlich. „Wenn ich mei­ne Bilder anschaue, kann ich immer sagen, in welcher Stimmung ich beim Malen gerade war“, erzählt Marco. Anregungen sucht er sich häufig auf der Straße: Er interessiert sich für Archi­tektur, schaut sich Häuser und Gebäude genau an, fotografiert Fassaden mit sei­nem Handy und nutzt die Bilder dann als Vorlage. Seit kurzem probiert Marco sich außerdem in der Porträtkunst. seit Mitte Mai hat Marco eine eige­ne Wohnung, vermittelt durch einen Flohmarktaussteller, in dessen Stand­nähe Marco regelmäßig Hinz&Kunzt verkauft. „Er wusste, dass ich eine Woh­nung für meine Malerei suchte“, erzählt er. „Aber als er mir sagte, er hätte tatsächlich eine gefunden, konnte ich es kaum glauben.“ Nun stehen ihm rund 40 Quadratmeter Raum für seine Wer­ke zur Verfügung. Am meisten würde er sich allerdings freuen, wenn seine fertigen Bilder nicht lange hierblieben. „Für mich selber male ich eigentlich nie“, sagt er. „ich möchte meine Bilder verkaufen.“ Damit sie schon bald in ganz Ham­burg die Wände zieren. Obwohl: die Bilder aufhängen? Marco winkt ab. „Ich finde, Bilder haben an Wänden nichts zu suchen.“ Er zeigt auf seine Staffe­leien. Darauf sind seine Werke viel bes­ser aufgehoben, findet er. „Denn nur so“, erklärt Marco, „begegnet man Bil­dern auf Augenhöhe.“

Text: Maren Albertsen
Foto: Cornelius M. Braun