Die britische Feministin Laurie Penny will eine bessere, soziale Gesellschaft für alle. Sie stellte ihren Kurzgeschichtenband „Babys machen“ während ihrer Lesetour auch in Hamburg vor. Wir haben die Gelegenheit genutzt und trafen die streitbare Autorin zum Gespräch.
Eine der „wichtigsten neuen Stimmen des Feminismus“ (Zeit Online, taz) klingt ein wenig matt, als sie durch das Büro ihres deutschen Verlags Edition Nautilus ruft: „Just a minute!“ Momentchen noch. Kein Problem. Laurie Penny ist derzeit ohnehin überall. In den sozialen Medien folgen der 29-jährigen Autorin Hunderttausende.
Und das kommt so: Laurie Penny fordert in ihren Büchern und politischen Kolumnen nicht nur, dass die Welt zu einem besseren Platz für Frauen werden soll. Sie will viel mehr. Eine gerechtere Gesellschaft für alle: für Arme, Schwarze, Dicke, Alte, Kranke, Unsichtbare. Oder, um es mit ihren Worten zu sagen: „Meutert gegen die bestehenden Verhältnisse!“
Plötzlich steht sie in der Tür. Man hatte sie sich größer vorgestellt. Kräftiger Händedruck. Sie hat wenig geschlafen, ist auf Lesetour für ihren ersten Kurzgeschichtenband „Babys machen“ und muss gleich noch ihre aktuelle Kolumne für den „New Statesman“ mailen. „Ich arbeite wirklich zu viel“, sagt sie. Die Revolution schert sich wenig um geregelte Arbeitszeiten.
Frauen als „Fortpflanzungsmonster“ dämonisiert
Penny will jenen eine Stimme geben, die keine haben: Sexarbeiterinnen, Alleinerziehenden, Occupy-Bewegten, Schwulen, Lesben, Kapitalismuskritikern, Schlampen, Armen. „Das moralische Lehrstück unseres Zeitalters ist das von der armen Mutter mit vielen Kindern. Solche Frauen werden als Fortpflanzungsmonster dämonisiert, die ihre kreischenden Kinder durch schäbige Stadtviertel schieben“, schreibt sie in „Unsagbare Dinge“, ihrem aktuellen Sachbuch. Demgegenüber werde das Ideal der attraktiven, weißen Karrierefrau aufgestellt, deren Lebensglück in der besseren Vereinbarkeit von Job und Familie läge. Dummer Quatsch, sagt Penny. „Jede Art zu leben ist unterdrückend, wenn du Menschen sagst, sie müssten genau so leben. Wenn sie keine andere Wahl haben.“
Sie selbst lebt so, wie sie es schon als 14-Jährige wollte, nachdem sie einen Film über eine schwedische Hippiekommune gesehen hatte: mit bis zu 16 Mitbewohnern in einer ehemaligen Lagerhalle für Musikinstrumente in London. Die Dusche ist schimmlig und im Winter frieren alle, weil das Gebäude nicht gedämmt ist, aber für nichts in der Welt würde Penny ihre WG gegen ein Reihenhaus mit Mann und Kind tauschen wollen. „God, no way! Ich fühle mich so viel freier und glücklicher.“ Zuvor lebte sie schon in WGs mit Drogendealern, Ratten, so groß wie Jack Russells, lesbischen Paaren und Männern, die ihr Vater hätten sein können. „Mir gefällt gemeinschaftliches Leben. Nicht nur, weil es eine gute Antwort auf die Wohnungskrise ist, sondern weil es meiner Vorstellung entspricht.“
Regelmäßig übernachten in ihrem Zuhause auch junge Lesben und Schwule. „Sie würden auf der Straße landen, wenn sie keine Community hätten, die sie unterstützt“, sagt Penny, die polyamorös lebt, also nicht monogam.
„Die versteckte Obdachlosigkeit nimmt immer mehr zu.“
Viele ihrer Freunde sind von Gentrifizierung betroffen, ziehen von Couch zu Couch. „Die versteckte Obdachlosigkeit nimmt immer mehr zu“, sagt Penny. Und dass sich die Zahl der Obdachlosen in London seit 2010 verdoppelt hätte. Dann erzählt sie von Frauen, die Sex gegen eine Übernachtung anbieten. „Das ist sehr traurig, aber ich kenne selbst Menschen, die das gemacht haben.“ Die Frauen seien total abhängig von der Gunst der Männer, könnten jederzeit rausfliegen.
Penny war noch jung, als der Gründer des Londoner Straßenmagazins The Big Issue an ihrer Schule einen Vortrag über Obdachlosigkeit hielt. Sie erinnert noch an vieles, was John Bird sagte. „Nicht nur, dass den Verkäufern erlaubt wird, ihre Würde zu behalten, sondern auch, wie machtvoll Journalismus und Geschichten sein können.“
Sie selbst glaubt fest an die Macht von Worten. Schreiben bedeutet Freiheit für sie, auch, wenn jedes ihrer Worte auf die Goldwaage gelegt und „zerrissen wird“, seit sie mit 22 Jahren Journalistin wurde. Sie erntet regelmäßig Hasskommentare für ironisch-provokante Sätze wie: „Die ideale Frau ist fickbar, fickt aber nie selber.“ Oder für ihre Kurzgeschichte über ein abschaltbares Baby. Trotzdem wird Penny nicht müde, ihre Stimme für eine gerechtere Welt zu erheben. „Eine quietschige Stimme“, wie sie selbst sagt und dabei laut lacht. Aber eine, die gehört wird.
„Babys machen und andere Storys“, Edition Nautilus, 176 Seiten, 19,90 Euro.
Text: Simone Deckner
Foto: Andreas Hornoff