Konspirative Küchenkonzerte

Diese Küche rockt. Musik und Kochen – eine perfekte Kombination, findet Marco Antonio Reyes Loredo. Deshalb lädt er Künstler an seinen Herd

(aus Hinz&Kunzt 201/November 2009)

Dass Männer nicht mehrere Dinge gleichzeitig tun können, ist ein Gerücht. Jedenfalls, wenn man Marco Antonio Reyes Loredo erlebt. In der privaten Küche in seinem Wilhelmsburger Loft werden alle drei Monate für Tide TV Sendungen aufgezeichnet, in denen er gleichzeitig kocht und moderiert: die „Konspirativen Küchenkonzerte“. Eine Aufgabe, die der 30-Jährige mit viel Energie, hohem Sprechtempo und Eloquenz meistert.

Für die TV-Aufzeichnungen in seinen eigenen vier Wänden räumt er seine eigenen Möbel beiseite, baut eine mobile Bühne und einige Tische und Stühle für 30 Besucher auf. In diesem improvisierten Studio empfängt er Musiker und bildende Künstler, die er interviewt und bekocht – mit ihrem Wunschessen.

Für einen Mann, der eigentlich keine Kochshows und kein Fernsehen mag („Ich habe ja nicht mal einen Fernseher.“), eine seltsame Idee. Aber das Multitalent liebt es eben, ungewöhnliche Dinge zu tun. Marco Antonio Reyes Loredo, „halb Ossi und halb Bolivianer“, wie er sich selbst beschreibt, stammt ursprünglich aus Weimar. In Hamburg („die Stadt mit der eingebauten Sehnsucht“) lebt er seit zehn Jahren. Als er Pressearbeit für Freunde machte, kam er mit dem Lokalsender FSK in Berührung. Dort fragte man ihn, ob er nicht Lust hätte, selbst eine Sendung zu moderieren. Hatte er. Bei FSK und später bei Tide moderierte der Kulturanthropologe eine Kochsendung. So konnte er seine Leidenschaft für das Kochen und das Reden verbinden.

Zum Studio in der Küche inspirierte ihn eine Bemerkung des Hamburger Sängers Nils Koppruch, der während der Renovierung zu Besuch war. „Er sagte: ,Marco, du baust da ja eine Kochbühne.‘ Dabei hatte das Küchenpodest nur technische Gründe. Ich wollte lediglich die Leitungen verkleiden“, erinnert sich Loredo.
Seitdem hat der Schnellsprecher schon einige Künstler bewirtet: Außer dem Geburtshelfer Nils Koppruch haben Gisbert zu Knyphausen, Bernadette La Hengst und I-Fire aufgespielt.
Doch nur Musiker einzuladen wäre ja viel zu einfach. In jeder Sendung ist auch ein bildender Künstler zu Gast, der nicht nur interviewt wird, sondern auch eine exklusiv für den Abend gestaltete Kulisse geschaffen hat. Bei unserem Besuch sind an den Wänden und Säulen überall braune und weiße Papierschalen befestigt, die aussehen wie riesige Muffinformen. Eine Installation aus Gastronomie-Kaffeefiltern, von Simone Anton extra für den heutigen Abend erdacht.

Jede Sendung entsteht unter erschwerten Bedingungen, denn es ist ziemlich eng hier: Die vier Kamera- und Tonleute müssen sich zwischen Tischen, Stühlen, Gästen und Dekoration ganz schön dünn machen. Heute steht gleich eine ganze Band auf der Bühne: Nala & The Silkmonkeys – drei Musiker und eine Sängerin. Die vier Gäste haben sich nicht nur ein Wildgericht gewünscht, sondern das Fleisch auch gleich selber mitgebracht. Der Vater des Bassisten ist Förster, und sie haben das Reh auch gemeinsam mit ihm erlegt.

Statt der gewünschten Salzkartoffeln und Bohnen mit Speck serviert Marco allerdings Nudeln mit Schattenmorellen-Soße. Vom Kochen hat er eben eine ganz eigene Vorstellung. Am Herd steht er auch erst seit einer Südamerika-Reise 2002. „Meine damalige Freundin und ich sind mit einem Juwel-Benzinkocher aufgebrochen. Am Ende der Reise bestand die Hälfte des Gepäcks aus Kochutensilien. Sogar eine Salatschleuder hatten wir dabei“, erinnert sich Loredo. „Unsere erste Frage in den einfachen Hotels lautete daher immer: Können wir eure Küche benutzen? Das bildet ungemein. Ich erinnere mich noch an Asiaten, die unseren Nudelsalat mit Radieschen bewunderten. Sie wussten gar nicht, dass man das Rote auch essen kann. Sie selbst aßen immer nur die Blätter.“
Auch nach der langen Reise bleibt Marco Antonio Reyes Loredo seiner neuen Leidenschaft treu. „Es ist ein tolles Hobby. Das einzige, das satt macht. Und ich kann es mit allem kombinieren und immer ausüben: nach dem Sport, vor dem nächtlichen Ausflug, zur Besprechung mit Geschäftspartnern, als Dank für Gastfreundschaft.“
Marco erzählt gut und gern, da müssen sich die Gäste schon ordentlich ins Zeug legen, um zu punkten. Auch am Herd ist der Moderator schwer zu schlagen. Das Rehfilet, das nicht nur Marco und seine Gäste, sondern auch die 30 Zuschauer genießen dürfen, ist zart und wohlschmeckend. Schade, dass nicht alle Männer gleichzeitig so gut kochen und reden können.

Text: Sybille Arendt