Im Lewenwerder entsteht eine Großunterkunft für 110 Obdachlose und Flüchtlinge. Warum wir nicht dagegen Sturm laufen, und warum eine Massenunterkunft trotzdem falsch ist, kommentiert Chefredakteurin Birgit Müller.
(aus Hinz&Kunzt 233/Juli 2012)
Im Lewenwerder in Harburg wird eine Massenunterkunft für 110 Obdachlose und Flüchtlinge gebaut. Das Bürgerbegehren dagegen ist gescheitert.
Wir sind darüber erleichtert. Das mag verwundern, weil wir immer gegen Massenunterkünfte waren. Das sind wir immer noch. Aber gegen die Bürgerproteste haben soziale Einrichtungen derzeit keine Chance. Ich rede da nicht mal von der Unterbringung von Ex-Sicherungsverwahrten, sondern von einem Haus für acht benachteiligte Kinder, von Kitas, Altersheimen, einem Hospiz – und sogar Wohnungen, die Hamburg dringend braucht.
Wir haben schon immer kleine Einrichtungen für Wohnungslose gefordert, mit 20 bis 40 Plätzen. Es ist nämlich erwiesen, dass Menschen, die Probleme haben, nicht zur Ruhe kommen oder neue Perspektiven entwickeln, wenn sie mit vielen anderen Menschen mit Problemen zusammenleben müssen. Kleine Einheiten bedeuten auch mehr Normalität für alle.
Und diese Unterkünfte müssen in der ganzen Stadt gebaut werden – und nicht nur dort, wo sowieso schon viele sozial Benachteiligte leben.
Aber im Moment habe ich nicht das Vertrauen, dass irgendeine Unterkunft durchsetzbar wäre. Keine große und erst recht nicht mehrere kleine, die man ja bräuchte, damit nicht 110 Menschen in einer Unterkunft leben müssen. Die Vorstellung, an mehreren Standorten gegen Bürger zu kämpfen, macht mürbe. Deshalb schlucken wir derzeit lieber die bittere Pille Großunterkunft – und laufen gegen Lewenwerder nicht Sturm. Was früher undenkbar gewesen wäre.Trotzdem: Der Senat muss künftig kleine Unterkünfte bauen. Das Containerdorf darf keine Dauerlösung sein. Auch die Sorgen der Anwohner müssen ernst genommen werden. Dafür muss es einen ständigen Austausch geben zwischen Bewohnern, Anwohnern und Behörde. Damit ein gutes Zusammenleben möglich wird. Für die angestammten Anwohner im Lewenwerder und ihre neuen Nachbarn.