Wenn der Staat sich irrt

Eine syrische Familie und eine junge Irakerin sind derzeit im Kirchenasyl in Hamburg. Warum und wann Gemeinden Menschen Asyl gewähren und wie die Behörden darauf reagieren, erläutert Gisela Nuguid vom Kirchenkreis Hamburg-Ost.

(aus Hinz&Kunzt 218/April 2011)

Ein Anruf genügte. Am anderen Ende war die Anwältin einer jungen Irakerin, die abgeschoben werden sollte. 23 Jahre ist sie alt, stammt aus einer strengislamischen Familie, und sie sollte nach einem deutschen Gerichtsurteil nach England abgeschoben werden. Lebensgefährlich für die junge Frau, erklärte die Anwältin. Denn dort sitzt ein Großteil ihrer Familie, und der will die westlich orientierte Frau mit ihrem Cousin zwangsverheiraten. Das Problem: Die junge Frau will den Mann auf keinen Fall heiraten – und abgesehen davon ist sie auch keine Jungfrau mehr. „Wenn sie nach England abgeschoben wird, weil sie über England eingereist ist, dann besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie dort einem Ehrenmord zum Opfer fällt“, sagt Gisela Nuguid, die beim Kirchenkreis Ost zuständig ist für Migration und Asyl. Trotzdem urteilte das Hamburger Gericht: Die Frau könne in England bei der Polizei oder einer Selbsthilfegruppe Schutz suchen, bei diesen „dürfte auch bekannt sein, dass operative gynäkologische Eingriffe medizinisch möglich sind, mit denen die Jungfräulichkeit jedenfalls so weit ,wiederhergestellt‘ werden kann, dass es zur Täuschung für die Hochzeitsnacht genügt“, so die Richterin. Die Anwältin der Irakerin sah nur noch eine Chance für die junge Frau: Vermittlung ins Kirchenasyl und die Zeit nutzen, um neue Beweise und Argumente zu liefern. Gisela Nuguid hörte sich den Fall an und sagte das Kirchenasyl sofort zu.
Es ist der zweite Fall, den die 59-Jährige derzeit betreut. Außer der jungen Irakerin ist auch noch eine achtköpfige syrische Familie im Kirchenasyl, die bei
einer Rückkehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gefoltert würde. „In Syrien steht schon unter Strafe, wenn man über den Staat nur schlecht redet“, sagt Gisela Nuguid. „Ganz zu schweigen davon, einen Asylantrag in einem anderen Land zu stellen.“
Wenn Gisela Nuguid ein Kirchenasyl zusagt, beginnt für sie die Arbeit. Sie muss Geld auftreiben und Ehrenamtliche, die sich um die Flüchtlinge kümmern. Und vor allem: Sie muss eine Kirchengemeinde finden, die Räume zur Verfügung stellt. „Für die meisten Kirchengemeinden ist das ein völlig fremdes Thema und es ist mit vielen Ängsten verbunden“, sagt sie. Vor allem beschäftigt alle natürlich die Frage: Machen wir uns damit nicht strafbar, wenn wir Leute verstecken?
Gisela Nuguid erläutert dann: Als Privatperson macht man sich strafbar, wenn man jemanden, der illegalisiert ist, versteckt. „Aber wir als Kirche verstecken die Leute ja nicht, sondern wir geben ihnen vorübergehend Obdach, wir geben auch unsere Meldeadresse an die Behörde weiter. Die Behörden wissen immer, wie die Person zu erreichen ist.“
Voraussetzung für ein Kirchenasyl ist allerdings, dass es noch Hoffnung auf eine positive Lösung gibt: „Wenn wir noch einmal gewisse Rechtsmittel einlegen oder Gutachten für eine Klage in Auftrag geben können. Oder wenn eine Klage läuft, aber die Klage selbst keine aufschiebende Wirkung hat.“ Das ist nämlich auch eine Erfahrung aller, die mit Flüchtlingen arbeiten: Da läuft eine Klage, aber der Kläger bekommt keine Chance, den Gerichtsbeschluss abzuwarten. „Es heißt dann, der Betreffende könne ja bei einem positiven Bescheid wiederkommen“, sagt Gisela Nuguid. „Aber ich habe es noch nie erlebt, dass jemand zurückgeholt wurde.“
Ein Zuckerschlecken ist die Zeit im Kirchenasyl nicht. Denn geschützt sind die Flüchtlinge nur in den Räumen der Kirche. Jeder Gang auf die Straße kann das Aus bedeuten. „Wer bei einer Ausweiskontrolle keine Papiere vorweisen kann, wird mitgenommen. Dann können auch wir nichts mehr tun.“
Immerhin: Die Hamburger Behörden respektieren das Kirchenasyl. „Die Kirche ist kein rechtsfreier Raum“, sagt Gisela Nuguid, „und die Behörde hätte jederzeit das Recht, die Polizei zu schicken und zu sagen: ‚Holt mal die Leute da raus!‘ Aber das wird nicht gemacht.“
Gisela Nuguid und ihre Mitstreiter sehen sich auch nicht „als Unterwanderer unseres Rechtsstaates“, sagt sie. „Aber jedes Gericht, jede Behörde kann Fehler machen, auch wenn formal alles rechtens gelaufen ist: Es werden Fakten übersehen oder sie wurden nicht eingebracht.“ Durch das Kirchenasyl könne ein Fehler wiedergutgemacht werden.
Im Fall der jungen Irakerin bedeutet das: „Wir wollen eine Petition einbringen, damit dann ihr Asylverfahren hier in Deutschland eröffnet wird.“ Bis dahin können allerdings noch mehrere Monate ins Land gehen, wenn nicht sogar Jahre.

Mehr Infos und eine Online-Petition finden Sie unter www.hamburgasyl.de