DGB-Vorsitzende Katja Karger : Jedes fünfte Hamburger Kind ist arm

Eine neue Studie zeigt, dass 2014 in Hamburg 20,4 Prozent der Kinder in Armut aufwuchsen. Hamburgs DGB-Vorsitzende Katja Karger spricht im Interview mit Hinz&Kunzt darüber, warum hier mehr Kinder arm sind als im Bundesdurchschnitt und was zu tun wäre, um das zu ändern.

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Hamburgs DGB-Vorsitzende Katja Karger

Hinz&Kunzt: In Hamburg ist jedes fünfte Kind von Armut betroffen, zeigt eine neue Studie der Böckle-Stiftung. Das sind immerhin 1,8 Prozent weniger als noch 2013. Ist das nicht eine erfreuliche Entwicklung?

Katja Karger: Natürlich ist der Rückgang gut. Aber er darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die Zahl der armen Kinder in dieser reichen Stadt immer noch enorm hoch liegt, höher als im Bundesdurchschnitt. Das ist erschreckend und dagegen muss dringend etwas getan werden.

Welche Folgen hat es für ein Kind, unter solchen Umständen aufzuwachsen?

Armut bedeutet Benachteiligung und bei längerer Dauer auch Perspektivlosigkeit. Wer aus einer armen Familie kommt, hat geringere Bildungs- und damit auch Arbeitsmarkt- und Aufstiegschancen. Der Zugang zu Freizeit- oder kulturellen Angeboten ist eingeschränkt. Studien zeigen, dass viele so einen Nachteil in ihrem Leben meist nicht mehr aufholen. Wir müssen verhindern, dass diese Kinder gesellschaftlich „abgehängt“ werden.

Hamburg liegt in der Statistik 1,4 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Was sind die Gründe dafür?

In Hamburg fällt auf, dass es einen hohen Anteil an alleinerziehenden Elternteilen gibt. 27,2 Prozent aller Kinder in dieser Stadt wachsen in solch einem Haushalt auf. Nur in Berlin und Bremen sind es mehr. Gerade diese Gruppe ist häufig von Armut betroffen. Hier mangelt es an Unterstützungsangeboten, zum Beispiel auch einer Verbesserung der Kinderbetreuungsangebote.

Was könnte oder müsste die Stadt Hamburg Ihrer Meinung nach tun, um die Situation armer Kinder zu verbessern?

kinderaramut2014Kinderarmut resultiert aus Elternarmut. Die Gründe dafür sind fehlende oder prekäre, weil schlecht bezahlte oder unregelmäßige, Arbeit. Die wichtigste Anstrengung muss also sein, Menschen in sichere, vernünftig bezahlte Jobs zu bringen. Eltern müssen aus dem Langzeitbezug von Arbeitslosengeld II herausgelöst werden. Dafür braucht es Angebote, die zum Beispiel auch öffentliche Arbeitgeber der Stadt Hamburg machen könnte. Der Senat sollte mehr Mittel zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit aufwenden, die Beratung in den Arbeitsagenturen und Jobcentern ausgebaut werden. Wir brauchen mehr Unterstützung für benachteiligte Stadtteile, anstatt dass soziale Angebote gestrichen, oder deren Mittel gekürzt werden. Nicht zuletzt ist auch ein Ausbau von Kinderbetreuung notwendig, um die Nachteile von armen Kindern etwas aufzufangen. Studien zeigen, dass sich der Kita-Besuch positiv auswirkt. Generell brauchen wir einen Aktionsplan für Hamburg. Es ist traurig, dass das Wort Kinderarmut im rot-grünen Koalitionsvertrag nicht ein einziges Mal vorkommt, obwohl das Problem so drängend ist.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung befürchtet, die Kinderarmut könnte angesichts der starken Zuwanderung in den kommenden Jahren spürbar steigen. Ein Argument für eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen?

Das wäre die falsche Antwort. Es ist ein Argument dafür, auch für Zuwanderer noch mehr in Bildung- und Qualifizierung zu investieren und ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Flüchtlinge dürfen nicht vom Mindestlohn ausgeschlossen werden, wie es manche fordern, sondern wir brauchen eine Erhöhung dieser Lohnuntergrenze und Maßnahmen gegen prekäre Beschäftigung. Statt uns gegen Armut abzugrenzen, müssen wir uns mit ihr auseinandersetzen und sie bekämpfen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche und nicht zuletzt auch globale Aufgabe.

Interview: Benjamin Laufer
Foto: Peter Bisping, DGB