Interview mit Cornelia Füllkrug-Weitzel : „Bei Konfliktlösung muss man realpolitisch sein, nicht moralisch“

Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe und von Brot für die Welt, über Fluchtursachen, Wirtschaftsflüchtlinge, Waffenexporte und Ansätze für den Frieden.

(aus Hinz&Kunzt 274/Dezember 2015)

Cornelia Füllkrug-Weitzel in ihrem Bürohaus in Berlin, wo die DIAKONIE Katastrophenhilfe und Brot für die Welt unter einem Dach sitzen.
Cornelia Füllkrug-Weitzel in ihrem Bürohaus in Berlin, wo die DIAKONIE Katastrophenhilfe und Brot für die Welt unter einem Dach sitzen.

Hinz&Kunzt: Warum kommen gerade jetzt so viele Flüchtlinge zu uns?
CORNELIA FÜLLKRUG-WEITZEL: Viele Fluchtursachen sind hausgemacht. Sie beruhen auf einer Kette von Handlungen und Unterlassungen. Eine der wichtigsten Unterlassungen: Seit mindestens drei Jahren ist klar, dass die Nachbarländer Syriens und des Iraks mit der Aufnahme von Flüchtlingen hoffnungslos überfordert sind. Trotzdem fühlen sich die Geberländer nicht aufgefordert, den UNH-CR oder das WFP stärker mit Mitteln auszustatten. Die Menschen können schlicht nicht in Jordanien, im Libanon oder der Türkei bleiben, wenn sie nichts mehr zu essen haben. Da hat man Warnungen nicht hören wollen oder fühlte sich nicht zuständig. Das Zweite, was sicherlich mit dazu beigetragen hat, war die Panik verschiedener Regierungen, die Grenzen wieder zu schließen. Das hat noch einmal magnetisch gewirkt, weil jeder noch unter den Letzten sein wollte, die wegrennen können.

Wie helfen Sie vor Ort? Beispielsweise in Jordanien?
Die wenigsten Flüchtlinge leben in Lagern, wir unterstützen die Menschen in den Dörfern und in den Städten, weil sie noch weniger haben. Wir arbeiten immer mit kirchlichen Partnern vor Ort, die Sozialarbeit machen. Wir geben beispielsweise Winterkleidung, Schulbücher oder Hefte bis hin zu Mietkostenzuschüssen. Weltweit sind wir mit der Diakonie Katastrophenhilfe durchschnittlich in 150 Programmen tätig. Wir haben grundsätzlich den Ansatz, nicht dahin zu gehen, wo alle anderen sind. Im Libanon gibt es beispielsweise keine Lager, die Menschen leben überall: bei Familien, auf Feldern, in Erdhöhlen oder in provisorischen Zelten. Wir sind auch auf der Westbalkan-Fluchtroute. Wo die Flüchtlinge keinen Wasserzugang haben, helfen wir mit Duschen und Toiletten. Manchen geben wir direkt Geld in die Hand, damit sie sich selbst kaufen können, was sie brauchen.

„Die Antwort heißt Politik“

Gibt es denn irgendetwas, mit dem man die Menschen in Syrien direkt unterstützen kann?
In Syrien gibt es eine Zugangsproblematik. Wir können keine humanitäre Hilfe leisten, weil weder der IS noch die US-Amerikaner, noch Assad oder die Russen das humanitäre Völkerrecht respektieren. Das gebietet nämlich eigentlich, die Zivilbevölkerung unangetastet zu lassen und der humanitären Hilfe Zugang zu gewähren.

Was müsste man tun?
Man muss sinnvoll diesen Konflikt beenden. Dazu muss es Gespräche mit allen Konfliktparteien geben. Vermutlich sogar mit dem IS. Wenn man sagt: „Du bist ein Schwein, mit dir red ich nicht!“, kriegt man das Problem nicht gelöst. Mit Gewalt ist in den letzten zehn oder 20 Jahren kein einziger Konflikt gelöst worden. Aber es gibt eine Statistik, dass 40 Prozent aller Konflikte, die schon Gewaltstatus erreicht hatten, mit Gesprächen gelöst werden konnten. Die Antwort heißt Politik. Bei Konfliktlösung muss man realpolitisch sein und nicht moralisch. Alles andere ist naiv.

Der UNHCR und das WFP haben zu wenig Geld und mussten schon ihre Leistungen kürzen. Noch schlechter als den Menschen hier in Zaatari geht es den Flüchtlingen in den Städten.
Der UNHCR und das WFP haben zu wenig Geld und mussten schon ihre Leistungen kürzen. Noch schlechter als den Menschen hier in Zaatari geht es den Flüchtlingen in den Städten. (Foto: ddp images/Xinhua)

Könnte man die Waffenexporte besser kontrollieren?
Natürlich. Aber trotz aller Versprechen der Bundesregierung werden Waffen in Konfliktländer oder in Länder mit krassen Menschenrechtsverletzungen geliefert. Und solange es keine Endverbleibskontrolle gibt und keine internationalen Waffenregister, solange wir Kleinwaffen in schamlosester Weise und in großem Stil exportieren, solange heizen wir den Konflikt noch an.

Viele Flüchtlinge aus Afrika kommen ja, weil sie kein Auskommen mehr haben.
Da muss man unterscheiden zwischen Flüchtlingen und Arbeitsmigranten. Durch unfaire Handelsbeziehungen werden Marktöffnungen erzwungen. Dadurch können gerade die afrikanischen Länder nicht mehr ihre kleinbäuerlichen Strukturen schützen – und sind gegen die EU oder andere Marktführer machtlos. Das, was die Entwicklungshilfe vorher mühsam aufgebaut hat, beispielsweise an Milchverwertungsmöglichkeiten oder Geflügelzucht, das geht dann mal eben den Bach runter, weil das nicht gegen die EU-Konkurrenz ankommt. Dann haben die Leute keine Perspektive mehr. Sie fliehen vor den Folgen unseres unfairen Wirtschaftsgebarens.

„Wir drücken dieses Menschen in die Armut“

Was tun?
Man müsste nationale Umsetzungspläne für die UN-Leitlinien schärfer formulieren und entwickeln, wo wir unserer Wirtschaft bestimmte Bedingungen auferlegen: Sie müsste sich in der ganzen Produktions- und Lieferkette an Menschenrechts-, Umwelt- und Arbeitsstandards halten. Dann haben wir vielleicht eine Chance. Wirtschaftsbeziehungen könnten dann dazu beitragen, dass in Afrika die Menschen von ihrer Arbeit leben könnten. Die Debatte um die Flüchtlinge muss man dazu nutzen, zu sagen: Diese Menschen kommen nicht, weil sie Schmarotzer sind, sondern weil wir sie in die Armut drücken.

Viele haben Angst, dass die große Zahl von Flüchtlingen unsere Gesellschaft gefährdet. Wie sehen Sie das?
Viele Flüchtlinge zu beherbergen ist ein großer Risikofaktor in einer instabilen Gesellschaft. Für Jordanien ist es beispielsweise relativ gefährlich, noch eine zweite große Bevölkerungsgruppe im Land zu haben. Aber dass bei uns die Demokratie gefährdet wird oder unsere Wohlfahrt, das wird ja bisher nur herbeigeredet. Wenn da nur ein Funken wahr sein sollte, dass es destabilisierend auf das arme Deutschland wirkt, wie soll es dann auf Jordanien, auf den Libanon und die Türkei wirken?

Wir haben also kein Problem?
Ich hoffe, dass die Einwanderungspolitik nicht auf Abwehr setzt. Dass es eine europäische Registrierung und Vertei- lung gibt. Und ich hoffe, dass das unfaire Dublin-System (gemeint ist: Flüchtlinge müssen da leben, wo sie zuerst ankommen; also meist an den EU-Außengrenzen; Anmerkung der Red.), das Deutschland den anderen EU-Partnern aufgezwungen hat, durch eine sinnvolle Verteilung ersetzt wird. Wenn das nicht passiert, dann haben wir ein echtes Problem. Noch haben wir keins.

Text: Birgit Müller
Fotos: Martin Kath, ddp images/Xinhua

Mehr Infos unter www.diakonie-katastrophenhilfe.de und www.brot-fuer-die-welt.de

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