Verfolgte Journalistin Nekzad : „Ich kann ihre Stimme sein“

Todesdrohungen, Entführungsversuche und Bombenanschläge gehören für die Journalistin und Frauenrechtlerin Farida Nekzad zu ihrer Arbeit in Afghanistan. Für ein Jahr ist sie nun mit ihrer kleinen Tochter Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.

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Farida Nekzad stand auf der Todesliste der Taliban.

Der Tag, an dem Farida Nekzad ihre Angst nicht mehr verdrängen konnte, war der Tag, als sich ihre Tochter beim Spielen in einer Hamburger Kita den Arm brach. Die Kleine verletzt auf dem Boden liegen zu sehen, war zu viel für die 38-Jährige. „Ich habe sie hochgenommen und fest an mich ­gedrückt“, erinnert sie sich, und nur mit Mühe blinzelt sie die Tränen weg. „Keiner durfte sie anfassen, keiner!“ Bis ins Krankenhaus hielt sie das weinende Mädchen an sich gepresst. „Ich weiß, dass ich sie nicht immer beschützen kann“, sagt sie, und der Schmerz darüber ist fast körperlich im Raum spürbar.

Der fünfjährigen Muska geht es mittlerweile wieder gut. Fröhlich spielt das Mädchen mit den dunklen Zöpfen mit ­ihrer Barbie und bietet Milch aus Puppentässchen an. Die ­Erschütterung ihrer Mutter, einer eleganten, zurückhaltend höflichen Frau, ist dagegen noch immer deutlich. Als Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte ist die Journalistin und Frauenrechtlerin nun ein Jahr lang sicher vor Anschlägen und Bedrohungen. Dafür ist sie dankbar, aber glücklich ist sie nicht. Ihr Zuhause, ihre Familie und ihre Arbeit hat sie in Kabul zurückgelassen, doch ihre Angst ist mitgereist.

Mutter zu sein habe sie verändert, sagt sie. Durch Muska hat Farida die selbstverständliche und alltägliche Gewalt in ihrer Heimat neu wahrgenommen; jahrelang hatte sie sich wenig beeindrucken lassen von Einschüchterungsversuchen und offenen Drohungen, die sie wegen ihrer politischen Arbeit ertragen musste. Als sie 20 Jahre alt war, floh ihre Familie vor den Taliban nach Pakistan. Farida war damals Journalistikstudentin. In Pakistan arbeitete sie als Lehrerin in einer Privatschule, schließlich als Kontrolleurin für alle Mädchenschulen mit afghanischen Flüchtlingen. „Die Familien wollten nicht, dass ihre Töchter die Schule besuchten“, erinnert sie sich. „Sie haben brennende Reifen auf mein Auto geworfen.“

In Indien setzt Farida ihr Studium der Ökonomie und ­Betriebswirtschaft fort, 2001 kehrt sie nach Kabul zurück. „Man wusste nicht, wem man trauen kann“, erinnert sie sich. „Auch wenn sie sich die Bärte abrasiert und die Turbane ­abgenommen hatten, blieben ihre Ansichten doch dieselben.“ In Kabul arbeitet sie als Journalistin, gründet Radiostationen für Frauen, bildet junge Journalistinnen aus, wird Chefredakteurin der unabhängigen afghanischen Nachrichtenagentur „Pajhwok News“. 2009 bringt sie ihre Tochter Muska zur Welt, im selben Jahr baut sie mit ihrem Mann die Nachrichtenagentur „Wakht“ (Zeit) auf. Seit 2012 ist sie zudem ehrenamtliche Vorsitzende der „South Asia Women in Media“.

Dann kam ihnen der Krieg noch ein Stück näher. Im März 2014 wurde ein Kollege, der AP-Journalist Sardar Ahmad, seine Frau und zwei seiner Kinder in einem Hotel in Kabul von Taliban erschossen. Der jüngste Sohn, drei Jahre alt, überlebte schwer verletzt. „Muska sah Verwandte der Familie im Fernsehen. Das hat sie sehr aufgeregt, sie weinte die ganze Nacht“, erzählt sie und schaut zu ihrer Tochter, die ins Spiel versunken auf dem Teppich hockt. Kurz darauf griffen die Taliban das Gebäude der unabhängigen Wahlkommission an, in dem sie als Leiterin des Medienausschusses ihr Büro hatte. „Muska ging dort in den Kindergarten. Als die Angriffe losgingen, schnappte sich jeder Lehrer ein paar Kinder und rannte mit ihnen in den Bunker.“

Der Raketenangriff dauerte fünf Stunden. „Der Lärm, die Schreie! Alle Kinder waren geschockt“, erzählt sie und ihre Stimme stockt.  „Muska war ganz durcheinander. Im Auto fragte sie meinen Fahrer: ,Onkel, warum töten die Taliban Kinder?‘“ Sie hatte Albträume, dass die Taliban sie umbringen würden. ­In den Kindergarten ist Muska nie wieder gegangen, seither hatte sie große Angst um ihre Mutter.

Farida stand auf der Todesliste der Taliban, ihr Fahrer durfte das Auto nicht stoppen. „Als die Taliban begannen, kleine Sprengsätze an Autos zu befestigen, brachte mich das zum Umdenken“, erzählt Farida. „Ich hatte gesagt, ich würde Afghanistan nie verlassen. Für Muska habe ich es getan.“

Vor ihrer Ausreise im Sommer 2014 fühlte sie sich müde und erschöpft. „Ich hatte dieses Leben satt. Ich habe viel gearbeitet, oft 17 Stunden am Tag, meist ohne Bezahlung, und auf positive Veränderungen gehofft. Natürlich haben wir viel erreicht, aber die Regierung versteht nicht, was die Menschen im Land wollen und was den Frauen zusteht. Sie bekommen viel Geld, um uns zu unterstützen, und sie tun nichts.“

Im September 2014 wurde der umstrittene Politiker Ashraf Ghani als Präsident von der Unabhängigen Wahlkommission bestätigt. Seine Frau Rula Ghani, Christin aus dem Libanon, setzt sich mit der Unterstützung ihres Mannes für Frauen- und Kinderrechte ein. „Vor allem ihretwegen hoffen wir auf eine Verbesserung der Lage“, erklärt Farida. Überzeugt klingt sie nicht.

Nun ist sie fremd und allein in einem Land, dessen Sprache sie nicht spricht, in dem sie nicht arbeiten kann. Zurückgeworfen auf sich selbst, gefangen im Konflikt zwischen Sicherheit für sich und ihre Tochter und ihrer Verpflichtung für ihr Land, für die Rechte der Frauen. Sie weiß, dass es ihr besser geht als vielen anderen Flüchtlingen, denn sie wird betreut von der Hamburger Stiftung, sie hat eine gemütliche Wohnung mit einem kleinen Garten, die freundliche Nachbarin hilft im Alltag. Farida lernt jetzt Deutsch und Muska hat durch ihre Spielgefährten im Kindergarten den Bogen mit der Sprache schnell raus.

Doch Farida lächelt nur selten – eigentlich nur, wenn Muska sie mit ihrem kindlichen Charme für kurze Momente aus ihrer Anspannung lösen kann. Im Sommer wird sie zurückgehen „in eine Stadt des Aufruhrs“. Falls die Lage dort zu schlimm sein sollte, wird sie diese Entscheidung überdenken, doch das fällt ihr schwer. „Ich will mehr bewirken, will Frauen ermutigen, die Führung zu übernehmen, ihre ­Fähigkeiten zu entwickeln. Wenn ich ins Parlament gewählt werden sollte, dann werde ich das annehmen.“

Die Lage der Frauen in Afghanistan bedrückt sie sehr. „Sie stehen immer am Rand“, findet sie. „Ich kann ihre Stimme sein, sie verteidigen und ihnen helfen. Wenn wir immer nur Angst haben, hat die Zukunft keine Chance.“ Dafür, dass man sie nicht habe stoppen können, habe sie viele internationale Preise und Auszeichnungen bekommen, erklärt sie und der Stolz in ihrer Stimme ist zu hören.

Eine Burka zu tragen käme ihr nie in den Sinn. „Das habe ich geschworen“, sagt sie bestimmt. „Ich liebe meine Unabhängigkeit!“ Unterstützung für ihre Arbeit und ihr Engagement bekam Farida von Anfang an von ihrem Vater. „Er hat gesagt: ,Solange ich lebe, wird niemand Farida aufhalten. Ich bin stolz auf sie, sie ist wie ein Mann‘“, erzählt sie und drängt mühsam die Tränen zurück. Kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland starb ihr Vater. Ihr Mann, ebenfalls Journalist, unterstützt sie sehr. „Wir können etwas teilen, er kann mich verstehen, das ist sehr gut“, sagt sie leise.

Natürlich hält sie jeden Tag Kontakt mit Familie und Freunden, mit ihrem Mann und ihrer Nachrichtenagentur. „Schon jetzt hören wir jeden Tag in den Nachrichten über Konflikte“, sagt sie bitter. „Raketenbeschüsse wie 1992, als die Taliban Kabul angegriffen haben. Jetzt ist es wieder gefährlich für Zivilisten. Es ist so furchtbar! Nun verlieren wir die Hoffnung.“

Der Rückzug der internationalen Truppen werde die Lage im Land unsicher und instabil machen: „Es wird jeden Tag Terroranschläge geben. Auch finanziell wird die Lage desas­trös werden.“ Deshalb appelliert sie eindringlich an die internationale Gemeinschaft: „Bleiben Sie bei uns, sonst werden die Frauen leiden.“

Die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte nimmt seit 28 Jahren Menschen auf, die wegen ihres Engagements für Menschenrechte und Meinungsfreiheit in ihrer Heimat existenziell bedroht werden. Bis zu fünf Personen und ihre Familien finden in Hamburg jährlich für ein Jahr einen „sicheren Hafen“, in dem sie in Ruhe und ohne ­Existenzsorgen arbeiten können. Die Stiftung finanziert sich über Spenden. Weitere Infos unter www.hamburger-stiftung.de

Text: Misha Leuschen
Foto: Miguel Ferraz