Momentaufnahme : „Ich kann à la carte, ich kann Großküche“

Einst gehörte dem gelernten Koch ein Lokal in Linz. Dort kochte er nicht nur, sondern verschob auch mal Hehlerware. Das ist Geschichte. Foto: Mauricio Bustamante

Gerald (50) verkauft Hinz&Kunzt vor der Haspa in der Spitalerstraße.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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„Ich bin kein Heiliger“, sagt Gerald und zuckt mit den Schultern. Man mag es nicht glauben, denn seine Topfenknödel sind göttlich! Cremige Quarkbällchen, mit Vanillesoße und Erdbeerkompott kunstvoll serviert – eine Kalorienbombe, die der 50-Jährige zum Verkaufsstart der Juli-Ausgabe für 200 Hinz&Kunzt-Kollegen zubereitet hat. Wer so eine paradiesische Süßspeise zaubern kann, kann doch keinen Dreck am Stecken haben?

Gerald lacht. „I bin ruhiger wor’n“, sagt der gebürtige Wiener. Aber früher habe er sich nichts sagen lassen – und ziemlich viel Mist gebaut.

Elf Jahre hat Gerald, den bei Hinz&Kunzt viele nur „Ösi“ nennen, im Knast gesessen. Er wollte nur eine Strafe absitzen, anstatt die Geldstrafe zu zahlen. Aber dann hatte er Ausgang – und es kam zu einem heftigen Streit mit einem „Freund“, dem er für die Wochen im Gefängnis seine Wohnung überlassen hatte, erinnert er sich. Leichte Körperverletzung, unerlaubter Waffenbesitz und Freiheitsberaubung lautete das Urteil, und so wanderte Gerald für Jahre hinter Gitter. „Ich denke, die haben sich gefreut, dass sie mich endlich mal drangekriegt haben“, meint Gerald. Er sieht es fast sportlich, denn bei den vielen krummen Dingern zuvor hatte er immer großes Glück gehabt.

Mit zehn Jahren landete Gerald im Heim

Glück konnte Gerald gut brauchen: Als Zweijähriger kam er zu Pflegeeltern, mit zehn Jahren ins Heim. Kaum war der „Bua“ 16, schmiss die Heimleitung ihn raus. „Seitdem stehe ich auf eigenen Füßen“, sagt Gerald, der damals eine Kochlehre suchte. „Das hat mich schon immer interessiert“, erzählt er. „Ich kann à la carte, ich kann Großküche“, so Gerald, der sich nach seiner Ausbildung mit einem Lokal in Linz selbstständig machte. Und es begannen die krummen Dinger – Hehlerei, vor allem von Schmuck –, „sonst kommst net aus in dem G’schäft“, sagt er im schönsten Wiener Schmäh.

Als das Haus, in dem sich Geralds Lokal befand, abgerissen wurde, eröffnete er andernorts ein Animierlokal. Bis Anfang der 1990er-Jahre lief der Laden, den Gerald aber verkaufte, als sich der Eiserne Vorhang hob – die Konkurrenz aus dem Osten schlief nicht. Die „Nebengeschäfte“ liefen weiter. Oft hatte ihn die Polizei im Visier, „aber die haben mir nie etwas nachweisen können“. Bis er wegen Beamtenbeleidigung eine Strafe hätte zahlen sollen – und aus Sturheit lieber in den Knast ging, wo er schließlich für viele Jahre blieb.

Auch das hätte Gerald vermutlich einfach durchgezogen. Im Gefängnis konnte er als Koch arbeiten, hatte daher wenig auszustehen, wie er sagt. Doch dann starb seine langjährige Freundin: Hirnschlag. „Das hat Spuren hinterlassen“, sagt Gerald, „aber ich durfte sie beerdigen.“ Viel Geld hat er dafür ausgegeben. Auch die Miete für die Wohnung zahlte er weiter – viel zu lange. Hinzu kamen hohe Anwaltskosten. Als er, inzwischen 46 Jahre alt, aus der Haft entlassen wurde, waren seine Ersparnisse aufgebraucht.

Ich war hoch oben und weit unten– Gerald

In Österreich hielt Gerald nichts mehr. Im Januar 2013 reiste er nach Hamburg, kam zunächst im Winternotprogramm unter. Ein Bekannter brachte ihn schließlich mit zu Hinz&Kunzt.

„Ich war hoch oben und weit unten“, sagt Gerald. Dabei strahlt er absolute Ruhe aus, wie jemand, der seinen Frieden gefunden hat. In Hamburg macht er Platte unter einer Brücke. „Man kann das aushalten“, findet er. „Aber mal gucken, ob ich gegen Ende des Jahres in einer Großküche in Arbeit komme.“ Dass er’s draufhat, beweisen seine göttlichen Topfenknödel.

Autor:in
Annette Woywode
Chefin vom Dienst und stellvertretende Chefredakteurin