Künstler Troja Thole van Ellen : Heute Huhn?

Der Künstler Tronje Thole van Ellen hat eine Graphic Novel gezeichnet, in der er kurz und bündig darstellt, wie deutsche Fleischkonzerne afrikanische Geflügelbauern ruinieren. Wir zeigen Ausschnitte der Geschichte.

(aus Hinz&Kunzt 263/Januar 2015)

Rainersreste01_Tronje
Bei Schlachter Rainer läuft’s. Hier legt er selbst Hand an die Hühner. Das Brustfleisch ist für den deutschen Markt, der Rest für Afrika.

Donnavon lebt. Was für ein Glück! Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Landsleute hat der Protagonist der Graphic Novel von Tronje Thole van Ellen die Flucht nach Europa heil überstanden. „Ich wollte, dass die Geschichte ein Happy End hat“, sagt der 23-Jährige Künstler, der mal eben in 14 Bildern und 149 Worten erzählt, wie deutsche Fleischkonzerne Hand in Hand mit der EU-Politik afrikanische Geflügelbauern ruinieren. Den so in die Armut Getriebenen bleibt nur die Emigration. „Heute Huhn?“ heißt die Geschichte, die als Abschlussarbeit zum Kommunikationsdesigner an der Hamburger Technischen Kunstschule entstanden ist und die man sich jetzt im Internet ansehen kann.

Da lebt in Nigeria der Junge Abeeku, der Fleisch für seine ­Familie kaufen will: bei Donnavon. Noch kann Donnavon von seiner kleinen Schlachterei leben, in der er jedem Kunden frisch ein Huhn schlachtet und es ihm noch warm in die Hand drückt. Doch in Deutschland stehen bei Schlachter Rainer schon die Elitehühnchen Schlange. Sie werden zu „Rainers Beste“ – sprich: die besten Teile vom Huhn – für den deutschen Markt und „Rainers Reste“ für die Afrikaner verarbeitet. Damit Rainer seine Kapazitäten erhöhen kann, trifft er sich mit Politikern, die ihm Geld dafür geben. Ganze Schiffsladungen mit Hühnchenresten schafft Rainer nun nach Afrika. Mit dem Billigfleisch aus Deutschland kann Donnavon nicht mithalten. Er geht pleite – und hofft auf eine bessere Zukunft in der Fremde. Sein Boot mit vielen Flüchtlingen darauf kentert, doch er wird gerettet. Zu den Särgen der Ertrunkenen pilgern medienwirksam europäische Politiker.

Nichts davon ist nur ausgedacht. Rund 42.000 Tonnen Hühnerfleisch werden pro Jahr allein aus Deutschland nach Afrika exportiert – zu Dumpingpreisen von 80 Cent pro Kilo. So stand es unter anderem bei Hinz&Kunzt in den Zahlen des Monats (H&K Nr. 248), die van Ellen die Idee zu seiner Geschichte lieferten. Auch die Szene mit den Politikern vor den Särgen Ertrunkener stimmt. Sie lief nach dem 3. Oktober 2013 in den Nachrichten rauf und runter. Damals waren 390 Flüchtlinge nahe der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa ertrunken. Es werden immer mehr.

„Ich wollte niemanden abschrecken mit Faktengequatsche“, erklärt van Ellen, „sondern die Geschichte an unsere Zeit anpassen. Man soll schnell verstehen.“ Das ist dem schlaksigen Zwei-Meter-Mann gelungen. Dabei sind seine Zeichnungen, die er zum Teil mit Fotos ergänzt und mit Fotoshop verfremdet hat, viel zu schade, um schnell konsumiert zu werden. Wie bei Wimmelbildern verbergen sich unzählige Details in jeder Szene. Da ist die afrikanische Stadt, in der Müll auf den Straßen treibt und Soldaten in Tarnkluft herumlungern, um auf irgendetwas aufzupassen oder auch nicht. Da hängt ein Shell-Logo an einer Fassade – passend zur Allgegenwärtigkeit des Ölkonzerns in Nigeria. Der zerschlissene Klappstuhl, auf dem Schlachter Donnavon sitzt, und der wellige Teppich zu seinen Füßen zeugen von seinem bescheidenen Unternehmen. Dagegen die deutsche Schlachtfabrik, in der die Hühner zu Tausenden in blanke Maschinen einfahren. Oben kommen die Gewürze hinein; hinten, frisch eingeschweißt, ploppt die Hühnerbrust heraus; unten, in großen Wannen, landen die Abfälle. Zufrieden lächelnd lehnt Schlachter Rainer an der Maschine. Bei ihm läuft’s.

Natürlich ist das alles sehr verkürzt, sagt van Ellen. „Mir geht es auch nicht darum, einen Schuldigen zu finden“, so der gebürtige Emdener über sein erstes künstlerisches politisches Statement. Rainer tut ihm fast ein bisschen leid. Er muss als Metapher für die Großkonzern-Chefs herhalten. „Ich wollte nicht jedem Schlachter auf die Füße treten. Die machen auch nur ihre Arbeit“, meint van Ellen, der inzwischen als Grafiker in einer Modelagentur arbeitet – um gleich darauf grinsend auf ein Bild mit einem fetten weißen Huhn zu zeigen, das geradewegs in eine Kamera zu glotzen scheint und dabei salutiert, bereit, sich für die deutsche Gesellschaft zu opfern. „Vielleicht hilft es den Schlachtern zu denken, dass diese Superhühner gerne in den Tod gehen“, überlegt er und lacht. Dann schiebt er ernst hinterher: „Ich biete ja auch keine Lösung an. Ich mache nur aufmerksam.“ Aber genau darauf komme es manchmal an. Seitdem er sich mit dem Thema beschäftigt habe, habe er seinen Fleischkonsum erheblich reduziert. Viele kleine Schritte führten vielleicht am Ende zu einer besseren Gesellschaft.

Aber was soll nun aus Donnavon werden? Das letzte Bild der Graphic Novel zeigt den alten Schlachter auf dem Hamburger Gänsemarkt. Im Laufe seiner Flucht ist ihm ein dichter weißer Bart gewachsen. Um ihn herum geschäftiges Treiben, ein Mann lacht für ein Selfie in die Kamera. Alle sind glücklich. Donnavon ist ganz allein. Ob es für ihn in Deutschland ein Happy End geben wird? Das müsste die nächste Graphic Novel zeigen.

Die vollständige Graphic Novel „Heute Huhn?“ von Tronje Thole van Ellen ist unter www.rainersreste.de zu sehen.

Text: Annette Woywode
Illustration: Tronje Thole van Ellen