Hamburg-Krimi

„Das Mädchen und sein Henker“ von Dagmar Fohl bietet Spannung und einen Einblick in die Geschichte der Todesstrafe in der Hansestadt.

(aus Hinz&Kunzt 205/März 2010)

Jan Kock ist Henker. Eines Tages soll er ausgerechnet das Mädchen töten, das er liebt. Er weiß, dass sie keine Kindsmörderin ist. „Das Mädchen und sein Henker“ von Dagmar Fohl spielt im 18. Jahrhundert, es ist ein Stück Hamburger Geschichte und ein spannender Krimi.
16 Jahre ist Jan Kock erst alt, als er Scharfrichter wird. Jahrelang assistiert er seinem Vater, bindet die Verurteilten fest, reicht ihnen Wein und die „Henkersmahlzeit“. Er übt das Köpfen, lässt das Schwert auf tote Ziegen niedersausen, bis seine Hand nicht mehr zittert.
Seine „Meisterprüfung“ legt er 1767 ab. Er köpft unter den Augen johlender Schaulustiger eine junge Frau. Er „hat glücklich mit dem Schwerte gerichtet und begraben die Kindsmörderin Maria Voßen, ihres Alters 21 Jahre“, wie das Exekutionsbuch vermerkt.

Was nicht in dem penibel geführten Protokoll steht, sind die heftigen Seelenqualen und die eigenen Todesängste,
die der junge Henker durchleidet. Denn ein Scharfrichter, der seine Arbeit nicht „fachgerecht“ ausführt, der die Verurteilten leiden lässt und quält, wird von den aufgebrachten Gaffern selbst totgeschlagen. „Ein Scharfrichter darf sich keinen Fehler leisten“, ermahnt Jans Vater ihn auf dem Sterbebett.
Zwei Jahre lang hat Dagmar Fohl in alten Gerichtsakten, historischen Dokumenten und Polizeiberichten aus dem 18. Jahrhundert recherchiert. Sie fand dabei heraus: Auffallend häufig standen Kindsmörderinnen vor dem Henker. Und auffallend häufig waren es Dienstmädchen, die „ihr in Unehren erzeugtes Kind“ getötet haben. „Da liegt es natürlich auf der Hand zu denken, dass die Mädchen von den Herren des Hauses oder den Söhnen der Herrschaften vergewaltigt oder verführt worden sind“, so Fohl. Die letzte Hinrichtung einer Frau, die ein Kind ermordet hat, wurde 1809 in Hamburg vollstreckt.
Bei ihren Recherchen stieß Dagmar Fohl auf den Fall eines jungen Henkers, der eigentlich Arzt werden wollte. Das Vorbild für ihren Krimihelden Jan Kock. „Die Scharfrichter hatten damals durchaus medizinische Kenntnisse“, so Fohl. Sie mussten nämlich auch „peinliche Befragungen“ durchführen, sprich Verhöre unter Folter. Jan Kock lernt: „Du kannst die Tortur nicht verhindern, aber die Art und Weise, wie du Strafen ausführst, liegt in deiner Hand. Du kannst dafür sorgen, dass die Angeklagten nicht zu sehr leiden.“ Er mixt Tinkturen gegen Wundbrand, versorgt die Folterwunden, flößt Schmerzmittel ein.
Ein extremes Leben. Das Leben eines Mannes, der vom Tod und Leid anderer lebt. Verachtet und gemieden von den Bürgern der Stadt. Gefürchtet von den Verurteilten. Jan Kock hält dieses Leben nur aus, weil er glaubt, er sei der Vollstrecker einer göttlichen Gerechtigkeit, das Schwert des Gesetzes. Doch als er eines Tages ausgerechnet das Mädchen aufs Schafott bringen muss, das er liebt, gerät sein Weltbild ins Wanken. Denn die angebliche Kindsmörderin Hanna ist das Opfer einer Intrige. Nur Jan und der Anwalt des Mädchens suchen nach der Wahrheit. Eine Suche, die Jan Kock in Todesgefahr bringt.
Nicht gerade das Thema, aber der Umgang mit historischen Dokumenten war Dagmar Fohl vertraut. Denn sie hat neben Romanistik auch Geschichte studiert. Eigentlich wollte sie Lehrerin werden, wurde dann aber Kulturmanagerin. „Ich habe die Arbeit mit den Kindern geliebt, aber nicht die Enge der Lehrerzimmer und das Starre des Stundenplans“, sagt die 52-Jährige. Anstatt Kulturevents zu organisieren, stand sie später selbst auf der Bühne, als Sängerin und Leiterin mehrerer Chöre.
Vor neun Jahren änderte sie ihr Leben: „Ich wollte plötzlich Ruhe. Ich dachte, jetzt muss ich den Deckel zumachen, was Neues anfangen.“ Sie tauschte die Konzertbühne gegen den Computer, setzte sich in ihr gemütliches Arbeitszimmer mit Blick in den male­rischen Garten und schrieb sofort los. „Wenn ich ein Ziel sehe, dann kann ich sehr ehrgeizig werden.“
Bei Jugendlichen kommt der Roman übrigens besonders gut an. „Die Figur des jungen Mädchens, das ungewollt schwanger wird, und das Thema Todesstrafe wecken bei vielen jungen Leuten offenbar Interesse“, sagt die Autorin. Ihr ist es wichtig, gerade Jugend­lichen das Thema Todesstrafe nahezubringen, denn: „Noch immer werden in 69 Ländern Menschen hingerichtet.“
In Hamburg erinnert heute nichts mehr an den Ort des Grauens, der bis ins 19. Jahrhundert Hunderte Schaulustige anzog. Das sogenannte Galgenfeld – es lag in St. Georg, nahe der heutigen Stiftstraße – existiert nicht mehr. Bis 1822 wurden hier etwa ein- bis zweimal im Jahr Menschen mit dem Schwert geköpft und unzählige am Galgen gehängt. Dann ersetzte die Guillotine das Schwert. Die letzte Hinrichtung fand 1860 in Hamburg statt. Bis zum Nationalsozialismus. Aber das ist eine andere Geschichte.

Text: Petra Neumann