Gagfah: Mieter machen mobil

Seit Jahren lässt das Wohnungsunternehmen Gagfah Group seinen Wohnungsbestand vergammeln. Nun protestieren die Mieter gegen den Verfall. Von der Gagfah fordern sie dringend notwendige Reparaturen, anstatt nur den Aktienkurs und die Rendite im Blick zu haben.

(aus Hinz&Kunzt 219/Mai 2011)

ilhelmsburg, lac
Knapp 9400 Wohnungen vermietet die Gagfah Group in Hamburg. Viele der Häuser sind marode.

„Schimmel, Gammel, Müll und Dreck, Gagfah ist ein Mieterschreck! Gagfah weg! Gagfah weg!“ Noch zögerlich werden die Stimmen im Reisebus erhoben. „Lauter! Ich muss es hinten hören“, feuert Tulay Beyoglu die Mitreisenden an. Die nächste Parole wird geübt und fordert die Enteignung der Wohnungsgesellschaft Gagfah. „Jetzt müssen wir uns darauf einstellen, verhaftet zu werden“, kommentiert die Mitarbeiterin der Verikom, einer interkulturellen Beratungsstelle in Wilhelmsburg, lachend den Spruch.
Bis auf den letzten Platz ist der eigens angemietete Bus für die Protestfahrt zur Hamburger Gagfah-Niederlassung besetzt. Selbst gebastelte Schilder klemmen zwischen den Sitzen. Die Reisenden wohnen im Wilhelmsburger Bahnhofsviertel, einem Viertel mit Stadthäusern, Wohnblöcken und eingezäunten Leerflächen, die noch bebaut werden sollen. Beyoglu ist froh, dass die Mieterdemonstration gut angenommen wird. Gemeinsam mit AG Wohnen, einem Zusammenschluss aus Verikom, dem Arbeitskreis Umstrukturierung (AKU), Mieter helfen Mietern und der Kirchengemeinde Kirchdorf, wurde die Protestfahrt organisiert, um auf die Missstände und das Desinteresse des Wohnungsunternehmens hinzuweisen. Denn der Umgang des Unternehmens mit seinen Mietern lässt zu wünschen übrig: Bei Beschwerden hinhalten, sie ignorieren, scheint die Devise zu sein. Dahinter, glaubt Beyoglu, stecke die systematische Praxis eines privatisierten Wohnungsunternehmens, möglichst wenig zu investieren und mehr Rendite für die Aktionäre auszuzahlen.


Als führendes börsennotiertes Unternehmen
preist sich die Gagfah Group an. Mehr als 165.000 Wohnungen vermietet, verkauft und verwaltet sie bundesweit, knapp 9400 sind es in Hamburg, in Steilshoop, Wandsbek und dem Wilhelmsburger Bahnhofsviertel. Im Jahr 2004 wurde das Wohnungsunternehmen Gagfah (Gemeinützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten) von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Zustimmung der damaligen Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) verkauft und so privatisiert. Nun hält der US-Finanzinvestor Fortress 76 Prozent des Unternehmens. Der Verkauf an den Spekulanten sollte den klammen Haushalt sanieren, eine Sozialcharta sieht Mietpreisbindungen und Vorkaufsrecht der Mieter vor. Zwei Jahre später, nach dem Zukauf der Wohnungsbaugesellschaft (WOBA) in Dresden, ging das Unternehmen an die Börse. Seitdem sinken die Budgets für den Unterhalt der Wohnungsbestände.


Doch die Mieter
sind nicht mehr bereit, die immer offensichtlicher zutage tretenden Mängel an ihren Wohnungen einfach hinzunehmen. Viele beklagen Schimmel in den Wohnungen und den insgesamt maroden Zustand der Häuser. Heizungen und Fahrstühle fallen aus, Briefkästen fehlen und der Putz fällt von den Wänden. Auch um die Häuser herum sieht es nicht besser aus: Spielplätze verrotten und wacklige Balkone werden mit bizarren Holzkonstruktionen abgestützt. Die Protestierer, die keinen Platz mehr im Reisebus fanden, sind mit der U-Bahn unterwegs zur Zentrale in der Wandsbeker Schlossstraße, um dort auf einer Kundgebung ihre Forderungen der Gagfah persönlich zu überbringen. Die Mängel sollen zügig repariert und der gestiegene Mietpreis zurückgenommen werden.


Schriftlich, persönlich oder telefonisch
versuchte die 39-jährige Meryem Beyazdag den Hausmeister zu erreichen. Erst nachdem sie juristischen Beistand vom Mieterverein hatte, wurden nach und nach Schimmel und Feuchtigkeit beseitigt. „Das Bett war nass“, erzählt sie. Seit März wohnt sie in einer anderen Wohnung der Gagfah in Wilhelmsburg. „Die Kaution habe ich nicht zurückbekommen“, fügt sie hinzu und spekuliert, dass ihre Mietminderung der Grund ist. Ein Gerichtsverfahren soll das jetzt klären. Imma Ohm wartet immer noch auf eine Reaktion der Gagfah. Trotz ihrer Mitgliedschaft im Mieterverein und einem ständigen Briefwechsel habe sich nichts getan. „Mit eigenen Kräften und Mitteln haben wir die Wände trockengelegt“, erzählt die 53-Jährige. Heute möchte sie von der Gafah gehört werden.


„Wir bemühen uns“
oder „Der Auftrag wird in Kürze erteilt“, heißt es immer, erzählen auch Arne Geilert und Uwe Schwenkert, die extra aus Eilbek angereist sind, um ihrem Unmut Luft zu machen. Die Hauswartskosten, erzählt Uwe Schwenkert, seien in den vergangenen drei Jahren um 100 Prozent gestiegen, aber mehr repariert werde deswegen nicht. Gagfah-raus-Rufe ertönen und sie stimmen lauthals mit ein. Schließlich erscheinen zwei Gagfah-Mitarbeiter in grauen Anzügen und hören sich mit stoischer Miene die Klagen an. Im Rahmen einer Mieterversammlung reden wollen sie nicht. „Aber Ihnen allen ist freigestellt, unser umfassendes Kontaktangebot zu nutzen“, so Gagfah-Mitarbeiter Mark Sahling. Gemeint sind Angebote wie die Service-Hotline des Unternehmens – oder ein Blick auf die Homepage.
Persönlich greifbar ist die Gagfah nicht mal für das Bezirksamt Mitte: Mehrmals, zuerst im August 2009, zuletzt im März, gingen Behördenmitarbeiter Beschwerden von Gagfah-Mietern in Wilhelmsburg nach. Zwei Mal, antwortete der Senat im April auf eine Anfrage der Linken, hat das Unternehmen Termine mit dem Bezirk kurzfristig platzen lassen.
Laut Bettina Benner, Sprecherin der Gagfah, investiert das Unternehmen genug in die Instandhaltung der Wohnungen. Durchschnittlich sieben bis acht Euro jährlich würden für den Quadratmeter aufgewendet. Die stabilen Quoten von fünf Prozent Leerstand und elf Prozent Fluktuation bestätigten den angemessenen Einsatz der Mittel. Nur 6,61 Euro pro Quadratmeter hat hingegen Sylvia Sonnemann von Mieter helfen Mietern ausgerechnet. Das hält sie für zu niedrig, da es sich überwiegend um Wohnungsbestand aus den 50er- und 60er-Jahren handelt. „Da platzen die Leitungen gerade gleichzeitig“, sagt sie und bewundert den Protest. Vor allem im Wilhelmsburger Bahnhofsviertel handele es sich um eine Klientel, die sich nicht schnell wehrt, fügt sie hinzu. Überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund wohnen hier, die mittlerweile nicht mehr hören wollen, dass der Schimmel in ihren Wohnungen auf unzureichendes Lüften und Heizen zurückzuführen sei.


Die Unerreichbarkeit
von Hausmeister und Sachbearbeiter hält Sonnemann für ein Indiz, dass die Unternehmenspolitik nicht auf einen Erhalt des Bestandes zielt, sondern für ein paar Jahre die Rendite abschöpft. Verstärkt wird ihr Eindruck durch die Klage der Stadt Dresden gegen die Gagfah-Tochtergesellschaft WOBA Dresden GmbH wegen Verstoßes gegen die Sozialcharta. In dem Verfahren mit einem Streitwert von 1,08 Milliarden Euro soll entschieden werden, ob gegen das Vorkaufsrecht der Mieter verstoßen wurde. Seitdem fallen die Aktienpreise, Firmenchef William Joseph Brennan hat seine Aktien schon vor Bekanntwerden der Klage abgestoßen. Zusätzlich wird 2013 ein Großteil der Unternehmensschulden fällig, immerhin 5,2 Milliarden Euro. Und wenn die nicht beglichen werden können? Sonnemann befürchtet, dass bei einer Insolvenz die maroden Wohnungen an die Kommunen und Städte zurückfallen, die dann das Geld für die Sanierungen aufbringen und die verfehlte Wohnungspolitik ausbaden müssen.


Im Bahnhofsviertel
von Wilhelmsburg spitzt sich die Lage zu. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) findet eine Aufwertung des Viertels statt – über die Köpfe der Ansässigen hinweg. Beyoglu fürchtet den Zuzug einer neuen Mittelschicht. Deshalb organisierte die AG Wohnen schon Veranstaltungen unter dem Titel „Zwischen Hochglanz und Schimmel“. Erste Folgen der Gentrifizierung seien in der Wohnungsvergabe auffällig, bestätigt Florian Hohenstatt vom AKU. Menschen mit nicht-deutschen Nachnamen würden seltener berücksichtigt.


Ausziehen
will von den Busreisenden niemand. Im Gegenteil, auf der Rückfahrt wird über eine kollektive Mietminderung diskutiert oder darüber, die Mietzahlungen vielleicht ganz einzustellen. Ob das zu schimmelfreien Wohnungen führt, bleibt abzuwarten.

Text: Kendra Eckhorst
Foto: Mauricio Bustamante