Frauen im Fadenkreuz der Paramilitärs

In der kolumbianischen Erdölstadt Barrancabermeja kann soziales Engagement tödlich sein

(aus Hinz&Kunzt 155/Januar 2006)

Der riesige Ford-Geländewagen gleitet fast lautlos heran. Alexander Puentes scannt mit geschultem Auge die in der Mittagshitze dämmernde Straße ab. Erst dann winkt er und öffnet die Wagentür. Die blasse Frau, die neben dem athletischen Mann fast zerbrechlich wirkt, tritt mit schnellen Schritten aus dem Haus und steigt ein. Yolanda Becerra hat Mittagspause. Ihre Leibwächter bringen sie in das bewachte Apartmenthaus mit dem hohen Eisenzaun.

Zwei Jahre geht das jetzt schon so. Yolanda Becerra ist Direktorin der Organización Femenina Popular (OFP), der „Frauen-Volksorganisation“, in Kolumbiens Erdölstadt Barrancabermeja. Die Frauenvereinigung, die ihre Wurzeln in der Befreiungstheologie hat, betreibt Armenküchen und einen Gesundheitsposten, leistet anwaltliche Hilfe bei Menschenrechtsverletzungen – und protestiert gegen den Krieg. Damit ist die OFP den rechten Paramilitärs ein Dorn im Auge, die die Stadt mit systematischen Morden unter ihre Kontrolle gebracht haben. Barrancabermeja war einmal der Stolz der kolumbianischen Arbeiterbewegung. Die Erdölgewerkschaft USO galt als die unbeugsamste im ganzen Land, konnte mit einem Dreh am Ölhahn das öffentliche Leben zum Erliegen bringen. Heute sind viele ihrer Führer tot. Die anderen können sich nicht ohne Bodyguards bewegen, wie Yolanda Becerra.

„Es ist schon ironisch“, sagt sie, „dass ausgerechnet der kolumbianische Staat uns beschützen muss.“ Sie spricht von einer „Ehe“ zwischen staatlichen Organen und den Paramilitärs. Sie machen die Drecksarbeit, bei der sich die Armee nicht erwischen lassen darf. Dass die „paras“ dabei gegen linke Politiker und Menschrechtler vorgehen, habe die Regierung billigend in Kauf genommen, so Becerra. Andererseits stellt das Innenministerium ihr einen gepanzerten Wagen und zwei Leibwächter zur Verfügung. „Aber ganz freiwillig tun sie das nicht…“, sagt sie mit dem Anflug eines Lächelns auf den schmalen Lippen. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat die kolumbianische Regierung verurteilt, sie zu beschützen.

Ihre Leibwächter hat sie sich selbst ausgesucht, sicherheitshalber. Zwei junge, aber erfahrene Männer, deren größte Stärke wahrscheinlich ihre Gelassenheit ist. Denn Waffen dürfen sie auf Wunsch ihrer Klientin nicht tragen. „Das ist alles eine Frage der Gewohnheit“, sagt Alexander Puentes scheinbar gleichmütig. „Wir müssen eben vorausschauend arbeiten.“ Obwohl er sich mit einer Pistole besser fühlen würde. Aber die OFP hat sich der Gewaltfreiheit verschrieben, und Yolanda Becerra ist nun einmal eine konsequente Frau. Noch einen Grund gibt es, auf Waffen zu verzichten: Er sitzt im Auto neben ihr, heißt Gabo und kommt aus New York. Er trägt eine beigefarbene Weste mit einem unübersehbaren Aufnäher der Organisation „Peace Brigades International“. Die Freiwilligen aus aller Welt schützen Menschenrechtler in sechs Ländern – mit ihrer Präsenz, aber auch mit Telefonaten, Briefen und Behördengesprächen. Oberstes Prinzip: keine Gewalt. „Wir können niemanden physisch beschützen“, sagt Gabo, „aber durch die internationale Aufmerksamkeit treiben wir den politischen Preis für Menschenrechtsverletzungen in die Höhe.“

Früher haben sie allein Yolanda Becerra vor den Todesschwadronen geschützt, bei akuter Bedrohung rund um die Uhr. Dabei ist sie nicht die Einzige, die in Gefahr ist: Auch die einfachen OFP-Mitglieder in den Stadtvierteln werden drangsaliert – weil sie den Zusammenhalt in den verängstigten Nachbarschaften stärken, unter anderem mit ihren Armenküchen. Eine der größten ist der „Comedor Popular El Noro-riente“.

Ein gewaltiger Suppentopf köchelt seit dem frühen Morgen auf einem Holzfeuer im Hof vor sich hin, um Gas zu sparen. „Das sind Holzreste, die wir von einem Sägewerk gespendet bekommen“, sagt Luzdari Gómez. Sie sieht aus wie eine alte Frau, ist aber erst 38. Mit einer Aufwandsentschädigung in Höhe von umgerechnet knapp 50 Euro muss sie ihre sechs Kinder durchbringen. Ihre schwieligen Hände schälen Yuccawurzeln, während sie erzählt, wie die „paras“ vor einem Jahr ihren Mann hingerichtet haben. Mit acht Kugeln, auf offener Straße, wo er Limonen verkaufte.

Allmählich füllt sich der Speisesaal. Für 1200 Pesos, keine 50 Cent, bekommt man ein volles Menü: Suppe, Huhn, Reis, Kochbanane und Yucca, dazu hausgemachte Limonade. Im Viertel wohnen viele „desplazados“, Menschen, die vor dem Krieg geflüchtet oder von den Paramilitärs gezielt vertrieben worden sind. „Die Allerärmsten kommen mit einer Plastikdose und nehmen das Essen mit“, erklärt Luzdari Gómez. „Davon muss dann die ganze Familie satt werden.“ Ein dünner, langer Mann im fadenscheinigen Anzug weicht nicht von der Geschirrrückgabe. Wenn etwas auf dem Teller bleibt, schiebt er unauffällig die Reste in seine Dose.

Berta Inez Aguas ist eine kultivierte Mittvierzigerin mit ergrautem Dutt. Sie leitet den kleinen, fast privat wirkenden „Comedor Popular de la Victoria“. Während zwei junge Frauen in der Küche klappern, hat sie Zeit, vom Terror der Paramilitärs zu erzählen. Eines Tages bekam sie einen Anruf von einer OFP-Kollegin. Es gebe Gerüchte, in ihrem Viertel werde „etwas passieren“. Mit einer Friedensbrigadistin fuhr Berta sofort hin. „Die Straßen waren voller Menschen,“ erinnert sie sich, „nur die Straße, wo unsere Aktivistin wohnt, lag wie ausgestorben da – bis auf acht Paramilitärs, die am Straßenrand herumlungerten.“ Sie gingen in einen Laden. Die Verkäuferin zitterte vor Angst. Sofort kam einer der „paras“ hinterher, unter dem Vorwand, eine Flasche Wasser zu kaufen. Die Gruppe folgte ihnen bis vor die Haustür. Berta sprach einige Stunden mit der Frau. Nichts passierte. „Am folgenden Tag starb ihr Bruder im Hauseingang im Kugelhagel.“

Eigentlich sollten die rechten Privatarmeen längst die Waffen niederlegen, spätestens bis zum Jahresende, so hat Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe es mit den Kriegsherren ausgehandelt. Berta hat dafür nur beißenden Spott übrig: „Mit deinem Freund kannst du nicht verhandeln“, spielt sie auf die ultrarechte Vergangenheit des Präsidenten an. In Barrancabermeja wird sich die offizielle Demobilisierung bis mindestens Mitte Februar hinziehen. Die Morde haben in diesem Jahr rapide zugenommen. In der Stadt kursieren Gerüchte über eine Todesliste. Ganz oben soll Yolanda Becerra stehen.

Ihre Mittagspause ist vorbei. In der Garage wartet schon der bullige Wagen, mit laufendem Motor. Drinnen ist alles glatt und sauber. Wie ein Schiff schieben sich die fast drei Tonnen durch den chaotischen Verkehr. Verbeulte Taxen halten respektvoll Abstand, das Panzerglas dämpft das Kreischen der Mopeds. Aus dem Funkgerät knackt es leise. Durch die getönten Scheiben sieht das Treiben draußen wie ein Film aus. Es ist kalt. „Wir haben den Eindruck, dass die Paramilitärs die Zeit nutzen wollen, um alle verbliebenen Gegner umzubringen“, sagt Yolanda Becerra. 116 Morde waren es bis November, 20 Menschen sind verschwunden. 500 mussten die Stadt verlassen. Es erinnert an die schlimmsten Zeiten in den neunziger Jahren, als die Paramilitärs tagelange Massaker verübten, die Leute anhand von Listen aus ihren Häusern holten. „Damals sind wir mit Kanus auf den Río Magdalena rausgefahren, um die Leichen einzusammeln“, erinnert sich die 45-Jährige. Natürlich hat sie schon mal überlegt, „mein Profil etwas zu entschärfen“. Aber sie kann nicht schweigen. Auch Exil ist für sie nie in Frage gekommen. „Das ist doch so ähnlich wie ermordet zu werden“, findet sie. Dass sie weder tot noch geflüchtet ist, verdankt sie den Friedensbrigadisten: „Ohne den Schutz der Peace Brigades hätte ich hier nicht überleben können.“

Jetzt will sie erst einmal Bettwäsche kaufen. Die Auslagen der Geschäfte quellen auf den Bürgersteig, bedrängt von Bretterbuden am Straßenrand. Durch den engen Tunnel dazwischen schiebt sich ein Strom von Menschen. Als Alexander Puentes aussteigt, kommt ein Schwall feuchtheißer Luft herein, Geräuschfetzen, Gerüche – Tür zu. Er lässt den Blick über die Köpfe der Menge schweifen und postiert sich vor dem Eingang. Nun kann Yolanda Becerra den Laden betreten, Gabo an ihrer Seite. Ihre Privatsphäre musste sie vor Jahren aufgeben, und man kann vermuten, dass ihre Ehe deswegen auseinander ging. Ihre Kinder haben die Stadt verlassen und verleugnen ihre Mutter meist.

Im Büro der OFP wartet auf Yolanda Becerra ein „dringender Fall“, wie es im Fachjargon der Menschenrechtler heißt: eine aufgelöste Mutter mit ihrem 13-jährigen Sohn, dem die „paras“ mit dem Tod gedroht haben. „Wir warten an der Straßenecke auf dich und deinen Bruder“, haben sie ihm gestern gesagt. Er ist im Haus geblieben, heute ist bisher nichts passiert. Die Jungen sind drogensüchtig und waren von den Paramilitärs schon „verwarnt“ worden. „Das nennen sie ‚soziale Säuberung‘“, erklärt Becerra. Sie stellt mit den beiden eine Anzeige, aber trotzdem müssen sie sofort weg. Geld muss her für Bustickets. Die Jesuiten bezahlen schließlich die Fahrt zu den nächsten Verwandten. Am Abend hat Kolumbien drei „desplazados“ mehr. Ohne Job, ohne Ausbildung, ohne Perspektive.

Jan Kahlcke

Mehr Infos über die Friedensbrigaden unter www.peacebrigades.org

Als Paramilitärs (Kunstwort; v. griech.: para „neben“ + lat.: miles „Kämpfer“, „Soldat“) werden laut Wikipedia inoffizielle, nicht staatliche, militärisch organisierte Gruppierungen bezeichnet, die sich polizeiliche oder militärische Kompetenzen anmaßen, um außergesetzlich eigene oder insgeheim staatliche innen- oder außenpolitische Ziele mit Gewalt durchzusetzen.

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