Unter welchen Bedingungen arbeiten Zuwanderer aus EU-Staaten in Hamburg? Und wohin geht der Trend? Diese Fragen beantwortet uns Petra Lotzkat von der Sozialbehörde im Interview.
Hinz&Kunzt: Frau Lotzkat, Sie diskutieren am Mittwoch mit anderen Experten über einen fairen europäischen Arbeitsmarkt. Was stellen Sie sich unter diesem Begriff vor?
Petra Lotzkat: Zum einen Transparenz, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es muss deutlich sein: Wer kann wo zu welchen Bedingungen arbeiten? Und welche Voraussetzungen muss er oder sie mitbringen? Zum anderen: EU-Bürger, die im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu uns kommen, müssen wissen, dass sie zu den gleichen Bedingungen wie die Arbeitnehmer hier eingestellt werden können. Da ist vor allem der gesetzliche Mindestlohn wichtig, der seit Anfang des Jahres gilt und ein großer Schritt hin zu Fairness ist. Zum fairen Arbeitsmarkt gehört aber sicherlich auch die Beschränkung von Leiharbeit und Werkverträgen.
H&K: Ist der Hamburger Arbeitsmarkt fair?
Lotzkat: Zumindest ist er aus meiner Sicht recht transparent. So haben wir seit 2012 die Servicestelle Arbeitnehmerfreizügigkeit, die der Stadt Probleme spiegelt und alle Beteiligten an einen Tisch holt. Problematisch ist, dass einzelne Unternehmen Schwarzarbeit oder die Umgehung des Mindestlohns fördern oder tolerieren. Dass das passiert, wissen wir, sonst gäbe es nicht die Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
H&K: Wanderarbeiter aus Südosteuropa schuften auf unseren Baustellen, putzen unsere Hotelzimmer und verpacken unsere Salami, mitunter zu Dumpinglöhnen. Wie kann es dazu kommen, und wer kann etwas dagegen tun?
Lotzkat: Im Baugewerbe gibt es allgemeinverbindliche Branchen-Mindestlöhne, auch im Reinigungsgewerbe ist das so. Wenn Unternehmen die umgehen, hilft nur Kontrolle. Deshalb hat der Zoll mehr Stellen bekommen, bundesweit 1600, in Hamburg 60.
H&K: Aber die neuen Kontrolleure sind noch nicht da…
Lotzkat: Sie werden Schritt für Schritt kommen. Die Mitarbeiter müssen ja erst mal ausgebildet werden. Und jenseits aller Kontrollen versuchen wir über die Servicestelle Arbeitnehmerfreizügigkeit und durch unsere Diskussionen im Hamburger Fachkräftenetzwerk über „Gute Arbeit“ auf Unternehmen einzuwirken: Wir wollen, dass Hamburg fair ist.
H&K: Nicht alle Betroffenen trauen sich, in eine Beratungsstelle zu gehen, wenn sie denn überhaupt wissen, dass es sie gibt. Braucht es nicht auch Angebote, die die Menschen dort abholen, wo sie arbeiten und wohnen?
Lotzkat: Ja. Wobei die Servicestelle das ansatzweise schon macht und versucht, die aufsuchende Beratung auszuweiten. Auch ist geplant, über Mittel aus der Europäischen Union speziell für wohnungslose EU-Bürger ein spezielles Beratungsangebot insbesondere auch mit aufsuchender Sozialarbeit einzurichten.
H&K: Bislang ist aufsuchende Beratung aber die Ausnahme.
Lotzkat: Deshalb haben wir die Stellen noch mal aufgestockt. Ein großer Erfolg war übrigens auch die Veranstaltung in Wilhelmsburg, bei der sich alle Akteure rund um das Thema Arbeitnehmerfreizügigkeit im Stadtteil vorgestellt und versucht haben, die Menschen im Rahmen eines Festes anzusprechen. Das wollen wir dieses Jahr wiederholen.
H&K: Offenkundig erledigen Bulgaren und Rumänen teilweise Jobs zu Bedingungen, auf die sich kein Deutscher einlässt. Gleichzeitig herrscht bei uns Mangel an Fachkräften. Müssten wir da nicht sagen: Wir brauchen diese Menschen, also kümmern wir uns anständig um sie, damit sie bei uns bleiben, um unsere Renten zu finanzieren?
Lotzkat: Das sagen wir, und das machen wir. Freizügigkeit ist ein hohes Gut. Und es kommen aus Bulgarien und Rumänien mitnichten nur Menschen zu uns, die keine Ausbildung haben und die deutsche Sprache nicht beherrschen. Klar ist jedoch: Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird bestimmt durch den Bildungsstand und die Sprachkompetenz, die jemand mitbringt.
H&K: Der Wohnungsmarkt bleibt Zuwanderern oft verschlossen, die Notunterkünfte der Stadt sind übervoll. In der Folge schlafen manche in Kellern und auf Dachböden – für 150 Euro pro Matratze im Mehrbettzimmer und mehr. Muss die Stadt hier nicht handeln?
Lotzkat: Wir haben schon Vermieter verklagt – wenn wir so etwas nachweisen konnten. Das Problem ist, dass die Betroffenen nicht immer sagen wollen: Das ist mein Vermieter und ich zahle soundso viel. Und das sind aufwändige Verfahren. Aber die Bezirke sagen: Sie sind erfolgreich – auch wegen der abschreckenden Wirkung.
H&K: Könnte Hamburg nicht preiswerte, anständige Unterkünfte für Wanderarbeiter schaffen, etwa in Containerdörfern, um sie so vor Mietwucher und menschenunwürdigen Wohnverhältnissen zu schützen?
Lotzkat: Wir wollen keine gesonderte Form der öffentlichen Unterbringung für Wanderarbeiter, da nur wohnen in normalen Wohnraum wirklich zur Integration von Zuwanderen führt. Auch im Hinblick auf Mietwohnraum wollen wir grundsätzlich keine Segmentierung nach dem Motto: Hier Wohnungen für Flüchtlinge, da Wohnungen für Frauen aus Frauenhäusern …
H&K: Aber der Wohnungsmarkt ist dicht.
Lotzkat: Jeder Unionsbürger kann eine Wohnung anmieten. Und wenn er bereits länger in Deutschland lebt, wohnungslos geworden ist und einen Rechtsanspruch auf SGB II oder SGB XII-Leistungen hat, hat man auch Anspruch auf einen Platz in der öffentlichen Unterbringung. Wer keinen Rechtsanspruch hat, der kann auf jeden Fall in der kalten Jahreszeit das Winternotprogramm aufsuchen.
H&K: Die städtischen Unterkünfte sind alle voll belegt.
Lotzkat: Aber wir bauen neue. Und wir bauen Sozialwohnungen. Mehr als das, was die Stadt im Wohnungsbau in den letzten Jahren geleistet hat – und dies wird ja fortgesetzt – können wir nicht tun.
H&K: Nur selten gelingt es Wanderarbeitern, Hartz IV zu bekommen, wenn sie ihren Job nach einigen Monaten verlieren, etwa weil sie kurz vor dem Ende der Probezeit gekündigt werden. Könnte man nicht grundsätzlich sagen: Wer hier gearbeitet hat, bekommt Anspruch auf sechs Monate Unterstützung, damit er eine Chance hat, hier anständige Arbeit zu finden?
Lotzkat: Nicht nur die Zahl der Rumänen und Bulgaren, die hier arbeiten, steigt. Sondern auch die Zahl derer, die Sozialleistungen erhalten. Der Zugang ist also nicht verwehrt, das System funktioniert. Man muss aber auch die Perspektive dieser Länder sehen: Über ein Drittel aller erwerbsfähigen Rumänen arbeitet mittlerweile außerhalb der Heimat. In der Folge haben Unternehmen dort Probleme, z.B. Fabrikarbeiter zu finden. Ich wünsche mir ein Europa, in dem es überall die Chance auf Bildung und eine Arbeit gibt, die es ermöglicht, in dem Land zu leben – ohne die Freizügigkeit infrage zu stellen.
Interview: Ulrich Jonas
Foto: Pascale Sopha
Zur Person: Petra Lotzkat (54), gelernte Diplom-Volkswirtin, leitet seit drei Jahren das Amt für Arbeit und Integration der Sozialbehörde.