Kommentar Flüchtlingspolitik : Engagieren statt lamentieren!

Hunderttausende von Helfern stehen rund einer Million Flüchtlinge zur Seite. Zugleich wachsen die Sorgen davor, dass die Rechten erstarken könnten. Was tun? Ein Kommentar von Diakoniechef und Hinz&Kunzt-Herausgeber Dirk Ahrens.

Ahrens_Kollmeier
Dirk Ahrens plädiert dafür, dem Engagement der Helfer mehr Beachtung zu schenken. Und empfiehlt, ein wenig stolz auf das erreichte zu sein.

(aus Hinz&Kunzt 277/März 2016)
Wer zurzeit die Aufmerksamkeit der Politik genießen will, muss „besorgt“ sein. Die Angst vor einer Erstarkung der Rechten hat die Politik der Regierung verändert. Weg von der „Willkommenskultur“ hin zu einem Überbietungswettbewerb an Verhinderung und Abschreckung. Übersehen wird dabei: Die große Mehrheit der Bevölkerung ist nach wie vor dafür, Menschen in Not Aufnahme und Schutz zu gewähren. Hunderttausende engagierter Bürgerinnen und Bürger setzen sich mit großer Energie, mit ihrer Zeit, ihrem Geld und ihrem Wissen für die Integration der Flüchtlinge von Anbeginn ein. Sie leisten mehr für unser Land als alle Sorgenträger. Ihr Einsatz verdient mehr Beachtung. Die Politik muss sehr darauf achten, die engagierten Bürgerinnen und Bürger nicht weniger ernst zu nehmen als die Hetzer am rechten Rand. Das wäre ein verheerendes Signal für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

Es ist wahr: Regierung und Behörden wirkten in den letzten Monaten immer wieder überfordert bei der Bewältigung des Flüchtlingszustroms. Doch das Reden über Chaos, Unfähigkeit und Staatsversagen ist heillos übertrieben und schürt nichts als Panik. Natürlich ist eine solche Herausforderung nicht reibungslos zu bewältigen. Natürlich muss da improvisiert werden. Natürlich klappt nicht alles auf Anhieb. Wir sind das nicht gewohnt. Wir schätzen unser Land dafür, dass hier alles wie am Schnürchen klappt und erleben nun, dass auch Deutschland keine reibungslos funktionierende Maschine ist. Das verunsichert und stellt unsere Selbstbilder in Frage. Aber wahr ist auch: Wir haben schon ganz schön viel geschafft. Eine Million Menschen wurden untergebracht, mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt, Sprachkurse und viele andere Integrationsmaßnahmen wurden organisiert, der Wohnungsbau massiv angeschoben – was letztlich allen im Land zugutekommen wird. Unser Land funktioniert – wenn auch nicht reibungslos. Weder droht der Staatsbankrott noch ist die Kriminalität – außer am rechten Rand – spürbar angestiegen. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht. Es gibt also viele Gründe, sich weiterhin zu engagieren und auch ein wenig stolz zu sein auf das bisher Geschaffte – und keinen Anlass für Untergangsszenarien. Auch wenn eine Herausforderung von diesem Ausmaß nicht leicht zu bewältigen ist: Natürlich können wir das schaffen!

Woher kommt dann die überzogene Sorge? Viele Menschen haben in den letzten Jahren den Eindruck, die Lasten unserer Gesellschaft würden ungleich verteilt – zugunsten der Besserverdienenden. Insbesondere die untere Mittelschicht erlebt sich dabei offensichtlich am Rand ihrer Tragfähigkeit und hat den Eindruck, ausgebeutet und ausgenutzt zu werden. Vertrauensverlust gegenüber dem Staat, Angst und Aggressionen gegenüber jenen, die nun auch noch von ihnen mitgetragen werden sollen, scheinen die Folgen. Das Gelingen der Zuwanderung hängt daher wesentlich an einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und einem gerechten Lastenausgleich Priorität einräumt.

Und schließlich bin ich überzeugt: Globale Fluchtursachen lösen wir nicht durch nationalstaatliche Abschottung, sondern nur durch internationale Zusammenarbeit. Die Schwächung der internationalen Institutionen stellt die größte Gefahr der Gegenwart dar. Deshalb müssen wir die großen internationalen Institutionen wie UNO und EU unbedingt stärken, statt unsere Energie in eine symbolpolitische Obergrenzendiskussion zu stecken.

Schaffen wir das? Ja, natürlich können wir das schaffen!

Foto: Guido Kollmeier