Absolute Giganten : Eine Stadt sieht einen Film

Am Sonntag war es soweit: Sebastian Schippers Kultfilm „Absolute Giganten“ lief in 14 Programmkinos. Es war die Premiere der Aktion „Eine Stadt sieht einen Film“. Wir hatten mit Regisseur Schipper und Guido A. Schick (Dulle“) vorab über ein ganz besonderes Stück Kinogeschichte gesprochen. 

(aus Hinz&Kunzt 278/April 2016)

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Guido A. Schick hinterließ einen bleibenden Eindruck als KICKERKÖNIG „Dulle“. Der Wahlhamburger würde gern auch mal James Bond spielen.

Die Aktion
Das gab es noch nie:
14 Hamburger Programmkinos zeigen einen Tag lang einen Film: „Absolute Giganten“ von Sebastian Schipper. 1999 debütierte der damals noch unbekannte Regisseur damit. „Alle lieben diesen Film“, sagt Organisatorin Manja Malz, „man kann ihn immer wieder sehen.“ Malz arbeitet im Metropolis, ist Fan erster Stunde. „Jetzt kann ich den Film selbst im Kino zeigen und mit ‚Dulle‘ im Lichtmess kickern. Das ist irgendwie verrückt.“

Denn: Neben Schipper werden viele von der damaligen Filmcrew an diesem Tag von Kino zu Kino tingeln. Im Rahmenprogramm gibt es Filmgespräche, eine Fotoausstellung, eine Mini-Elvis-Show, ein Filmquiz und ein Wettkickern. Mit dabei: die Schauspieler Florian Lukas (Rico), Antoine Monot, Jr. (Walter), Julia Hummer (Telsa), Guido A. Schick (Dulle), Hannes Hellmann (Klaus), Gustav-Peter Wöhler (Kneipenwirt) sowie Cutter Andrew Bird.

Der Film
„Absolute Giganten“ ist einer der schönsten Filme über Freundschaft und einer der schönsten Filme über Hamburg. Floyd (Frank Giering), Rico und Walter schlagen sich eine letzte Nacht um die Ohren, bevor Floyd mit dem Containerschiff die Stadt verlässt. Sie cruisen in Walters aufgemotztem 74er-Ford Granada durch Hamburg und treffen Kneipenbesucher, Elvis-Imitatoren, Nachteulen und Kickerprofis.

Selten sah Hamburg so verführerisch und verlottert zugleich aus: vom Hafen über den alten Elbtunnel, von der Reeperbahn bis zur Hochhaussiedlung breitet sich die Stadt aus wie ein einziges großes Versprechen. „Der Film ist der Grund, weshalb ich nach Hamburg gezogen bin“, kommentiert ein User bei YouTube.

Was in der Rückschau oft vergessen wird: „Absolute Giganten“ war beim Start kein Kassenschlager. Erst als der Film 2000 den Deutschen Filmpreis erhielt, entwickelte er sich zum Geheimtipp. Zum Kult wurde er dann durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Zwischenzeitlich nicht mehr zu haben, legten Fans bis zu 90 Euro für eine DVD hin.

Die Kickerszene
Die legendäre Szene. Die drei Freunde treten gegen die Profis Snake und Dulle an. Auf dem Spiel steht neben viel Geld auch Walters Granada. In Zeitlupen- und Nahaufnahmen folgt die Kamera (großartig: Frank Griebe) der kleinen, weißen Kugel, fängt auf den angespannten Gesichtern jedes Zucken ein. Für elf Minuten scheint die Welt stehen zu bleiben im Kiez-Keller. Bis Rico den Ball per Torwartlupfer in den gegnerischen Kasten katapultiert. „Torwarttor zählt doppelt“, hatte Walter die Regeln zuvor geändert.

Die Bar im Film sind eigentlich zwei: das heutige „Headcrash“ und die ehemalige „Zoë Bar“ (heute „Möwe Sturzflug“). Hinter dem Kickertisch standen zwei Kickerweltmeister. Guido A. Schick alias Dulle gibt im Gespräch mit Hinz&Kunzt zu: „Ich hatte vorher nie einen Kicker von Nahem gesehen. Ich kriege beim Kickern auch heute nur auf die Mütze.“

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Die Schauspieler
Guido A. Schick  brilliert in der Kickerszene als schmieriger Dulle. Schipper engagierte den Wahlhamburger damals direkt von der Wohnungstür weg, nachdem er ihn auf Kampnagel gesehen hatte. „Es klingelte morgens um 10 Uhr. Ich machte, noch verkatert von der Nacht zuvor, auf. Es war dann doch nicht der Paketdienst, sondern ein Typ, der sich als Sebastian Schipper vorstellte. Ich hab uns erst mal Kaffee gemacht“, so Schick lachend. Die Rolle des Dulle ist ihm ans Herz gewachsen: „Der hat etwas Absurdes, der peilt es halt so gar nicht. Aber es ist ihm auch egal.“

Nach „Absolute Giganten“ wechselte Schick vom Theater zum TV und Kino. Derzeit dreht er mit Claus Theo Gärtner einen „Matula“-Spielfilm. Seine Mutter sähe ihn zwar gern mal an der Seite von Erol Sander bei den Karl-May-Festspielen. Schick aber ist sehr zufrieden mit seiner Karriere. Einen Traum hat er aber schon noch: „Ich würde gern mal James Bond spielen. Als Schauspieler willst du ja die Welt retten.“

Florian Lukas (Rico) wiederum spielte in „Good Bye, Lenin“ und in den TV-Serien „Weißensee“ und „Friesland“. Antoine Monot, Jr. (Walter) trat im Bremer „Tatort“ auf und ist derzeit in „Ein Fall für zwei“ zu sehen. Vielen dürfte er auch als Werbefigur „Tech-Nick“ bekannt sein. Einer aber ist nicht mehr dabei: Frank Giering (Floyd) starb 2010 mit nur 38 Jahren an einer Gallenkolik. Gerüchte um Alkoholprobleme machten die Runde. So intensiv wie Giering spielte, so war er auch im echten Leben. Seine „pure Verletzbarkeit“ wurde für Giering zum Problem. Nicht nur für Schick ein großer Verlust: „Er hat es so feinfühlig verstanden, durch Blicke seine innere Geschichte zu erzählen.“

Die Musik
„Weißt du, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem was du machst. Und wenn’s so richtig scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment“, sagt Frank Giering in einer weiteren berühmten Szene. Die Musik untermalt das Geschehen nicht nur, sie trägt den Film, gibt ihm seinen Rhythmus. Die Weilheimer Indieband The Notwist steuerte einen Großteil des Soundtracks bei. Am Schluss erlaubt sich Schipper einen charmanten Kunstgriff und lässt die Musik zwei Mal springen.

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Der Regisseur
Weil es sein Debütfilm war, erinnert sich Sebastian Schipper noch lebhaft an die Dreharbeiten. „Ich bin da mit jugendlicher Hybris und voll Euphorie rangegangen“, so Schipper. Er wollte dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Freunde auf die Spur kommen. „Nichts macht uns so glücklich wie das Gemeinsame“, ist Schipper überzeugt. „In der Gruppe sind wir viel stärker als alleine“, sagt er. Mit individueller Selbstoptimierung kann er hingegen gar nichts anfangen. Schiper: „Das macht die Menschen nicht froh. Es ist viel wichtiger, zu spüren, dass man nicht alleine ist.“

Seine Euphorie hat er sich bewahrt. Nach „Ein Freund von mir“ (2006) und „Ein Tag im August“ (2009) überraschte er Zuschauer und Kritiker zuletzt mit seinem Film „Victoria“ (2015), den er in nur einer einzigen Kameraeinstellung drehte. Auf die Aktion „Eine Stadt sieht einen Film“ und seine ehemalige Wahlheimat freut sich Schipper sehr – auch, wenn er wie so viele Künstler mittlerweile in Berlin lebt.

Text: Simone Deckner
Foto: Andreas Hornoff
Filmstill: Gordon A. Timpen

So, 24.4., Eine Stadt sieht einen Film, Beginn: 11 Uhr, Eintritt: jeweils ab 8 Euro; After-Show mit Konzert von „Die Vögel“, 21 Uhr, Headcrash, Hamburger Berg 13, 10/6 Euro. Alle Spielzeiten und Infos: www.eine-stadt-sieht-einen-film.de

 

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