Früher war die Flasche der einzige Halt von Hinz&Künztler Horst. Jetzt hat er wirklich was zu feiern: Seit fünf Jahren hat er keinen Tropfen mehr angerührt. Und Anfang Mai heiratete er seine Traumfrau Gudrun. Wie er sein Leben aus eigener Kraft verändert hat, das war nicht nur uns einen Artikel wert: Eine Spiegel-Redakteurin war zu Gast bei Horsts Hochzeit und hat darüber für das Nachrichtenmagazin geschrieben. Zu lesen gibt es das im aktuellen Spiegel. Und wir veröffentlichen noch mal unseren Text über Horst aus der April-Ausgabe.
Gib mir fünf, Horst! Das ist schließlich deine Glückszahl. Am 5.5. dieses Jahres ist dein neues Leben fünf Jahre alt, weil du am 5.5. vor fünf Jahren das erste Mal aufgewacht bist ohne den Klapper. Da haben zum ersten Mal deine Hände nicht wie jahrelang jeden Morgen gezittert – solange, bis du den ersten Schluck genommen hast.
Damals war dir nichts wichtig außer der Rausch. Keine Wohnung, keine Arbeit, keine Freunde – dein altes Leben war eigentlich gar kein Leben. In einer Notunterkunft hast du geschlafen, bist morgens früh aus deiner Koje gekrochen und ab zu deinem Stammplatz vor der Haspa in der Bahrenfelder Straße. Da hast du gesessen oder gelegen, die Hand aufgehalten, bis die Leute genug Münzen reingeworfen hatten für den nächsten Tetrapak Wein. Am Abend bist du dann zurück in deine Unterkunft gekrochen, die kein Zuhause war, zu Menschen, die dir nichts bedeutet haben. Das war dein Nicht-Leben, Tag für Tag. Und dafür warst du stadtbekannt. Die Hamburger Morgenpost hat über dich berichtet. Du warst der Mann, der mehr als fünf Promille im Blut hatte und trotzdem noch stehen konnte. Und da ist wieder deine Glückszahl. Denn zu lesen, wie andere Menschen dich wahrnehmen, dass du gar nicht sprichst, sondern nuschelst, dass du nirgendwohin gehst, sondern wankst, das hat dir schon wehgetan. „Da hab ich beschlossen, es ist Schluss“, sagst du.
Vor der gewaltigen Größe deines Vorhabens hast du dich nicht abhalten lassen. Und wie gewaltig deine Aufgabe war, das versteht man nur, wenn man weiß, wie alles angefangen hat. Bei deiner ersten Alkoholvergiftung warst du 14 Jahre alt, erzählst du. Nur wer mitgesoffen hat, gehörte auch dazu, damals auf dem Bau. Gerne wärst du noch ein bisschen länger zur Schule gegangen, doch das kam für deine Eltern nicht in Frage. Ihr habt euch nicht im Guten getrennt. Du wolltest es alleine schaffen, doch das ging schief. Erst hast du deinen Job verloren, dann musstest du raus aus deinem kleinen möblierten Zimmer. Du warst nicht mal 21 Jahre alt, da war dir zum ersten Mal alles egal und hattest nichts und niemanden, und weil jeder Mensch sich irgendwo festhalten muss, sah man dich von da an fast nie ohne eine Flasche in der Hand.
Fast ein halbes Menschenleben lang bist du Alkoholiker gewesen. Du hast im Rausch drei Ehen in den Sand gesetzt und fünf Kinder gezeugt. Das war dir egal. Oder du hast es gar nicht gemerkt. „Du musst aufhören zu trinken“, haben deine Geschwister gesagt und die Betreuerin vom Jugendamt und wer noch, weißt du nicht mehr so genau. „Ich muss gar nichts“, hast du geantwortet.
Wer dich damals schon kannte, sagt, du warst zwar schon ein guter Kumpel, nur reden konnte man mit dir nicht. Dich hat ja nichts interessiert und zu erzählen hattest du auch nichts. Wer dich heute trifft, wird das kaum glauben können. Denn du redest immerzu. Über deine „Raubvögel“, die Wellensittiche Butschi und Alice im Wunderland (den Namen durfte deine Nichte aussuchen).
Und von deinen Kunden auf dem Wochenmarkt in Blankenese, wo du Hinz&Kunzt verkaufst. Im fünften Monat dieses Jahres sind es fünf Jahre. Du hast dir da ganz schön was aufgebaut. Immer Dienstag und Freitag und Samstag fährst du hin, von deiner Wohnung im Osten der Stadt ganz in den Westen. Und wenn du mal nicht kommst, klingelt bei dir das Telefon und Herr oder Frau Briga ist dran und fragt, ob es dir denn gut geht. Mit Frau Knapp hast du auch schon Telefonnummern getauscht und sie hat dir nach und nach ihre ganze Familie vorgestellt. Und das war früher nie so, dass dir irgendwer seine Familie vorgestellt hat.
Aber am liebsten erzählst du von Gudrun. Gudrun wird im fünften Monat dieses Jahres deine Frau werden, ganz offiziell. Und diese Ehe, da bist du sicher, wird funktionieren. Weil du ein erfahrenerer Mann bist als früher. „Man muss miteinander reden.“ Das ist dir wichtig. Und mit Gudrun kannst du über alles reden. Überhaupt, sie sagt, was sie denkt. Sie lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Und sie macht jeden Spaß mit. Deswegen hast du dich in sie verliebt. Das war vor 21 Jahren. Auf dem Kiez hast du sie in einer Kneipe entdeckt und dich auf den ersten Blick verknallt, sagst du. Aber Gudrun war vergeben damals. Ihr seid trotzdem Freunde geworden, habt mal mehr, mal weniger Kontakt gehabt, und euch dann doch aus den Augen verloren. Im August vergangenen Jahres seid ihr euch wieder begegnet. Zufall? Schicksal? Auf jeden Fall war Gudrun jetzt frei und ihr seid schnell ein Paar geworden.
Es ist nicht alles eitel Sonnenschein. Denn dein neues Leben, Horst, verlangt viel von dir. Drei Ein-Euro-Jobs hast du in den vergangenen fünf Jahren gehabt und alle gern gemacht. Zuletzt warst du als Sicherheitsmann bei der Grone-Schule, meistens Spätschicht. Das war ganz schön anstrengend: Besuchern den Weg weisen, Treppe rauf, Treppe runter und abends kontrollieren, ob alle Toilettenfenster geschlossen sind. Und dann hast du ja auch immer noch Hinz&Kunzt verkauft, du kannst ja nicht einfach wegbleiben vom Marktplatz in Blankenese. Und dann Butschi und Alice, um die musst du dich jeden Tag kümmern. Und die Hin- und Herfahrerei. Und jetzt hast du auch noch eine größere Wohnung besorgt, damit Gudrun mit einziehen kann.
Von dem ganzen Stress und weil du nie Nein sagen kannst, wenn dich jemand um einen Gefallen bittet, bist du ganz schön erschöpft. Aber deine Nervenärztin hat gesagt, wenn die Hochzeit war und Gudrun und du erst zusammenlebt, dann wird es dir bestimmt wieder besser gehen.
Die Hochzeitsfeier hast du schon längst geplant. Am 4. Mai um halb zwölf wird die Trauung sein. Dein Sohn Marcel ist euer Trauzeuge. Eine von deinen Stammkundinnen aus Blankenese, die ist Friseurin und die macht Gudrun und dir die Haare schön. 17 Gäste habt ihr eingeladen, Freunde und Angehörige. Hoffentlich können alle kommen. Gudruns Nachbar, der für euch beide wie ein Papa ist, ist 80 Jahre alt und nicht mehr gut zu Fuß. Aber Karin hat schon zugesagt, die Toilettenfrau vom Blankeneser Markt. Nach der Trauung geht ihr alle zusammen chinesisch essen. Einfach eine schöne Feier mit lieben Menschen.
Einer, der in deinem alten Leben so wichtig war, wird fehlen. Aber den wirst du bestimmt nicht vermissen. Denn er war ein falscher Freund, der Alkohol.
Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante
Horsts Geschichte hat Aufmerksamkeit erregt: Spiegel-Redakteurin Barbara Hardinghaus hat diesen Text in der Aprilausgabe von Hinz&Kunzt gelesen und wollte den Hinz&Künztler kennenlernen. Sie war sogar bei seiner Hochzeit mit Gudrun dabei und hat darüber einen Artikel für den aktuellen Spiegel geschrieben. “Uns ist die Geschichte von Horst sehr nahe gegangen”, sagt Barbara Hardinghaus. “Deswegen steht sie im Spiegel. Es ist eine positive Geschichte direkt aus dem Leben.”