Doctor Music

Der Mann führt ein Doppelleben: Martin Ehlers ist erfolgreicher Arzt. Doch auch als Jazzpianist hat er gute Chancen, groß rauszukommen – wie man an seiner CD „Feel the Light“ hören kann.

(aus Hinz&Kunzt 212/Oktober 2010)

Rhythmisch trommeln die langen, schlanken Finger auf dem Tisch herum, schlagen Akkorde auf imaginären Tasten. Vermutlich würde Martin Ehlers jetzt viel lieber am Klavier sitzen als beim Interview im Café. Denn die Musik ist seine Leidenschaft, seine Obsession, „mein Stachel im Kopf“. Eine launische Geliebte, von der er nicht die Finger lassen kann, aber der er auch nicht über den Weg traut. Und so geht er – bei aller Liebe – auf Nummer sicher als erfolgreicher Arzt für Innere Medizin und Lungenheilkunde.
Mit manischer Besessenheit sitzt der 47-Jährige seit seinem zehnten Lebensjahr täglich am Klavier, auch heute noch. Zwanghaft, diszipliniert. Er braucht es für seine geistige Gesundheit, fürs Funktionieren: „Ohne Klavier wäre ich nicht so erfolgreich als Arzt, aber ohne das Arztsein könnte ich erst recht nicht so Klavier spielen.“
Arzt wurde er, weil sein 17 Jahre älterer Bruder Medizin studierte und ihn mit dem coolen Studentendasein beeindruckte. Dem Vater, einem Architekten, war das überraschenderweise nicht recht, er hatte andere Pläne: Martin sollte ein Instrument erlernen. „Als meine Mutter meinen Vater kennenlernte, dachte sie ein Jahr lang, er sei Schlagersänger, weil er immer sang und auf dem Rücksitz des Autos ein Akkordeon lag“, erzählt er genüsslich die Familienanekdote.
Bis er zehn war, musste der kleine Martin Xylofon spielen, „ein Kindheitstrauma!“. Dann kam der ersehnte Klavierunterricht und mit ihm die Erlösung und gleichzeitig eine Art Sucht: Das neue Ins­trument eröffnete ihm einen Kosmos aus Tönen, Klängen, Bildern. Spielen bedeutet für Martin Ehlers Zwang, aber auch pures Glück. Hier fühlt er sich frei, und das hört man seiner Musik an: komplex, emotional und gradlinig, mit weitem Horizont – so klingt sein skandinavisch geprägter Jazz. Beeinflusst wurde von seinem großen Vorbild Keith
Jarrett, aber seine Kompositionen bleiben doch etwas ganz Eigenes und sehr Persönliches.
Für den musikalischen Erfolg hat er viel Kraft und Zeit investiert. Im Medizinstudium in Kiel schreibt er in 45-Minuten-Intervallen abwechselnd Klausuren und Kompositionen. Auch während seiner stressigen Zeit als Assistenzarzt spielt er am stumm geschalteten Übungsklavier morgens von sechs bis halb acht und abends nach Feierabend. Dabei bleibt seine erste Ehe auf der Strecke, und auch wenn er das mit einer nonchalanten Flapsigkeit erzählt, bleibt die Verletzung spürbar.
Noch ernsthafter spielt er Klavier, seit er seine Praxis in Hamburg hat. Er nimmt fünf Jahre privaten Unterricht bei Buggy Braune, Dozent für Jazz-Piano an der Hamburger Musikhochschule. Mittlerweile spielt er konzertreif. Drei CDs sind bereits erschienen. Und er will damit Erfolg haben, will in den großen Konzertsaal und nicht in den schrabbeligen Club und ja, gern auch irgendwann eine Japan-Tournee machen – in einem ausverkauften Haus.
Aufgeben würde er den Arztberuf nicht, wenn denn der ersehnte musikalische Erfolg käme. Doch wie lange kann man ein solches Doppelleben mit Vollgas auf der Überholspur aushalten? So recht weiß er das nicht. Ob seine neue Patchworkfamilie diesen Workaholic auf Dauer erträgt, das wagt er nur zu hoffen. „Meine Partnerin ist selbst sehr eingebunden, das ergänzt sich gut“, sagt er. „Und man staunt ja manchmal, wie viel in so einen Tag hineinpasst.“

Text: Misha Leuschen

Die CD Feel the Light kostet 18,90 Euro.

Weitere Artikel zum Thema