Interview mit Bernd Mölck-Tassel : Die Welt nach Charlie

Bernd Mölck-Tassel ist Professor für Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Mit Studenten nimmt er an einer Solidaritätsausstellung für die ermordeten Karrikaturisten in Paris teil. Wir haben mit ihm überSatire gesprochen und die erste Charlie Hebdo nach den Anschlägen durchgeblättert.

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„Extremisten haben keinen Humor“, sagt Professor Bernd Mölck-Tassel.

Hinz&Kunzt: Sie haben eine starke Verbindung zu Frankreich und arbeiten auch dort mit Designschulen zusammen. Woher kommt Ihr Engagement?

Professor Bernd Mölck-Tassel: ch habe eine ganz persönliche Verbindung. Meine Frau ist Französin, die Hälfte meiner Familie ist französisch, viele Freunde ebenfalls, auch im Medienbereich. Meine Frau war gerade in Frankreich. Die ganze Gesellschaft ist erschüttert. Charlie Hebdo gehört zu Frankreich, wie auch das Satiremagazin Le Canard Enchainé – und auch dieser krasse Humor. Frankreich ist anders, respektloser, anarchistischer.

Das sieht man auch an der neuen Ausgabe von Charlie Hebdo …

Einer der ermordeten Zeichner war Wolinski, er war 80 Jahre und gehörte zu den bekanntesten. Sein Tod ist, als wäre bei uns Loriot umgebracht worden. Wolinski hat noch bis zuletzt das Recht auf Geilheit eingefordert, auch im Alter. Er hat immer – manche würden sagen – sexistische Cartoons gezeichnet. Jetzt zeigen ihn seine Kollegen tot und auf einer Wolke – und er freut sich, dass er endlich wieder einen Ständer hat. Ich weiß nicht, ob das deutsche Zeitungen machen würden, wenn gerade ein Redaktionsmitglied umgebracht worden wäre. Das ist schon krass. Oder der Papst mit einer Reihe von schönen, jungen Frauen, die mit weit offenem Mund auf die Kommunion warten. Und der Papst sagt: „Lieber Gott, vergib doch diesen Schwanzlutscherinnen!“ Das ist dieser krude Humor von Charlie Hebdo. Und sie machen einfach weiter. Ungebrochen brutal und radikal. Und sie haben sogar wieder Mohammed auf dem Titel.

Mögen Sie selbst eigentlich diese Art der Satire?

Ich bin kein Fan von den Karikaturen in Charlie Hebdo, ich mag lieber den etwas feineren Humor. Aber ich respektiere sie und denke auch, dass eine offene Gesellschaft das aushalten muss. Aber Extremisten haben keinen Humor. Und ich glaube, das liegt daran, dass Humor subversiv ist. Humor führt zu Freiheit. Humor verstößt gegen Konventionen, Humor achtet keine Rangfolge, Humor ist unbequem, das stört die Mächtigen und die Institutionen, aber auch die Einzelnen. Wenn jemand über mich lacht, fühle ich mich auch gestört. Aber ich glaube, dass Humor hilft, einen anderen Standpunkt einzunehmen. Wie gesagt: Extremisten haben natürlich keinen Humor. Das war ja auch der Tenor unserer Karikatur „Kommt ein Mann zum Arzt …“ Und es ist auch der letzte Witz des Zeichners: Noch im Angesicht der Kalaschnikow erzählt er einen Witz, weil er nicht anders kann.

Und wie weit würden Sie persönlich gehen?

Ich möchte mit meinen Arbeiten kein religiöses Empfinden verletzen. Ich habe zwar schon Cartoons über das Christentum gemacht, weil ich weiß, dass selbst gläubige Christen es gewohnt sind und auch verstehen, wie ich es meine. Mein eigener Humor hat aber Grenzen. Mir liegt ein Witz auf der Zunge und ich weiß, das möchte ich jetzt doch nicht sagen, weil mein Gegenüber gerade in einer schwachen Phase ist, weil ich mit dem Messer in der Wunde wühlen würde, weil ich mich damit nur selbst als kleingeistigen, miesen Menschen outen würde, der ich nicht sein möchte.

Es fällt ja auch nicht nur den Extremisten, sondern auch den gläubigen Muslimen schwer, sich auf diese Weise auseinanderzusetzen.

Ich glaube, es gibt ein Grundproblem: Bei den Muslimen fehlt die Phase der Aufklärung. Wir hatten die Aufklärung als radikale Infragestellung durch den Verstand. Was ja nicht heißt, dass man danach nicht mehr glauben darf. Aber es heißt, dass man zulässt, dass der Verstand die logischen Brüche aufzeigt. Ich habe die Hoffnung, dass diese Form der Auseinandersetzung im Islam noch kommt. Wir waren schließlich auch lange humorlos. Die Christen kannten überhaupt keinen Spaß. Außerdem: Deutschland hat noch den Blasphemie-Paragrafen. Aber unsere Kirchen klagen niemanden mehr an. Eine offene Gesellschaft muss vieles zulassen und ertragen – und ich möchte auch in keiner anderen Gesellschaft leben. Wir im Westen sind geübt im Aushalten von anderen, von krassen Meinungen. Dieses Aushalten erfordert viel Humor. Ich glaube, dass der Papst diese Art von Karikaturen auch nicht mag, aber er kann sie ertragen.

Wie weit geht Meinungsfreiheit? In Frankreich wurde gerade Dieudonné festgenommen, der beispielsweise den Holocaust leugnet.

Das ist für mich ein Sonderfall. Wir haben die Geschichte des Faschismus, da gibt es aus historischen Gründen für mich eine Grenze: Die Holocaustleugnung und Volksverhetzung im Sinne des Faschismus oder der Hitlergruß dürfen nicht mehr toleriert werden.

Es gibt die Kritik, dass Satire nur die Mächtigen treffen sollte, Charlie Hebdo sich aber über alle lustig macht, auch über die Schwachen und die Verlierer der Gesellschaft. 

Die Karikaturisten von Charlie Hebdo sind links, aber keine Politiker, sie decken die Schwachstellen auf, und das gnadenlos und mit Humor. Und wenn das der dumpfe Neonazi ist. Ja, vielleicht sind die Neonazis Verlierer und deshalb Neonazis. Darauf nehmen die Karikaturisten keine Rücksicht. Deshalb finde ich die Kritik an Charlie Hebdo durchaus berechtigt.

Warum finden Sie es wichtig, dass sich die HAW zu Charlie äußert?

Wir sind schließlich der größte Studiengang für Illustration in Deutschland. Vielleicht werden einige Studenten mal in die politische Richtung gehen. Das ist zwar nicht mein Bereich, meiner ist eher Kinderbuch-Illustration, aber durch den geschichtlichen Comic Strip „Dr. Dominos Weltgeschichte“, den ich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hatte, bin ich auch in den gesellschaftlichen Debatten drin. Und viele Studenten haben gesagt: Ja, toll, endlich! Aber das Ganze ist freiwillig. Wer seine Illustration nicht veröffentlichen will, der muss nicht. Eine Studentin hatte eine Mohammed-Karikatur, der habe ich abgeraten, sie zu veröffentlichen. Ich möchte ja meine Studenten nicht in Gefahr bringen. Wir wollen uns zu dem Attentat äußern, wir wollen uns dazu äußern, wie wir das als Künstler finden. Aber wir wollen nicht den Islam kritisieren, und wir wollen kein Öl ins Feuer gießen.

Ändert sich durch die Attentate etwas für Ihre Arbeit?

Für mich konkret nicht. Es wird sich in Frankreich viel verändern. Ich hoffe, dass in den muslimischen Gemeinden etwas passiert. Ich finde, dass die Gemeinden bisher viel zu passiv waren. Wenn es stimmt, dass sie sich von den Extremisten distanzieren, dann dürfen sie nicht zulassen, dass ihre Jugendlichen so radikalisiert werden?

Bernd Mölck-Tassel, Jahrgang 1964, ist Professor für Illustration an der HAW. Er illustriert auch für den Stern, den Spiegel und die Zeit. Sein Fachgebiet sind allerdings Kinderbücher. Mehr zu seinen Bildern und zu den Gemeinschaftsausstellungen unter www.huklink.de/charlie

Text: Birgit Müller
Foto: Miguel Ferraz