Momentaufnahme : Die Kämpferin

Anke, 46, verkauft Hinz&Kunzt in der Innenstadt.

(aus Hinz&Kunzt 274/Dezember 2015)

Anke
Anke verkauft in der Innenstadt. (Foto: Mauricio Bustamante)

Das Winternotprogramm ist Ankes Rettung. Seit Kurzem hat sie endlich wieder ein Dach über dem Kopf. Ein kleines zwar, aber immerhin. Die 46-Jährige und ihr Freund haben einen der begehrten Container ergattert, die Kirchengemeinden im Winter auf ihr Gelände stellen, um Obdachlose vor dem Erfrieren zu schützen. Anke ist glücklich. Sie sagt: „Endlich können wir mal ungestört schlafen. Und duschen!“

Die Wochen zuvor hat Anke mit ihrem Freund in einem Park im Zelt geschlafen. Kalt war es da und nass. So etwas ist schon für gesunde Menschen schlimm, für die Hinz&Künztlerin aber war es die Hölle. Denn Anke ist krank. Vor einem Jahr musste sie sich eine Spenderniere einsetzen lassen. „Ich hatte eine Schrumpfniere, eines Tages sagte der Arzt: ,So geht es nicht weiter!‘“

Die Operation verlief gut, ihr Körper hat das fremde Organ angenommen. Doch Anke muss aufpassen. Im Oktober bekommt sie eine Nierenbeckenentzündung, vermutlich Folge des Lebens auf der Straße. Die Mobile Hilfe für Obdachlose gibt ihr ein Antibiotikum und starke Schmerzmittel. „Ohne die würde ich die Decke hochgehen“, sagt Anke. Doch auf Dauer ist das keine Lösung. „Ich muss ins Warme“, weiß die Hinz&Künztlerin – und kann nun erst mal durchatmen.

„Ich bin eine Kämpferin. Ich bin schon so oft wieder aufgestanden“, sagt Anke. Die gebürtige Mainzerin verliert früh ihre Eltern. Die Mutter stirbt, als sie drei ist. Der Vater will sich nicht kümmern. Anke wächst bei den Großeltern auf. Es ist eine gute Zeit, trotz allem: „Ich war Omas Liebling.“ Als sie 16 ist, stirbt die Großmutter, ein Jahr später auch der Großvater. Anke landet das erste Mal auf der Straße. „Dann habe ich mir aber bald einen Arschtritt gegeben“, erzählt sie.

Anke bringt es bis zur Goldschmiedemeisterin. Sie eröffnet ein kleines Geschäft – und steht bald vor einem Schuldenberg. „Ich war zu gutmütig“, sagt Anke rückblickend. Immer wieder habe sie für Freundinnen und Bekannte Schmuckstücke gefertigt, sich dafür aber viel zu schlecht bezahlen lassen.

„Und dann war da noch der liebe Alkohol“, sagt Anke. 21 ist sie da. Es fängt harmlos an, „abends mal ein Bierchen vorm Partymachen“. Bald merkt sie, dass sie das Bier schon morgens braucht. In ihren schlechtesten Zeiten trinkt sie drei Flaschen Korn pro Tag.

Vieles geht in der Folge schief. Anke bekommt ein Kind, doch die Beziehung zum Vater zerbricht schnell und die Tochter lebt heute in einer Pflegefamilie. Immer wieder verliert Anke ihre Wohnung. Und nachdem sie einen Mann krankenhausreif schlägt, muss sie dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.

Eine Bauchspeicheldrüsenentzündung bringt die Wende. Sechs Wochen liegt sie im Krankenhaus, „mit Entgiftung“. Um Schnaps macht sie seitdem einen Bogen. Und auf die zwei bis drei Dosen Bier, die sie täglich trinkt, will sie bald verzichten: „Das kriege ich noch hin. So kann es nicht weitergehen.“

Text: Ulrich Jonas
Foto: Mauricio Bustamante