Die Cowboys von der Waterkant

Country Musik made in Hamburg: Truck Stop ist so aktuell wie vor 30 Jahren. Jetzt erschien auch ein Buch über die Band. Grund genug für einen Rückblick

(aus Hinz&Kunzt 142/Dezember 2004)

Maschen im Sommer 1973. Die Tür von Musikproduzent Jo Menke öffnet sich, und sechs Cowboys fallen ein. „Hallo, wir sind Truck Stop, die kommende Countryband, und nun mach mal ’ne Platte mit uns“, so ähnlich lautete die Ansage der Stetson-Träger an den verdutzten Jo.

Der hatte eigentlich mitnichten vor, die Jungs unter Vertrag zu nehmen. Dass er’s dann doch tat, lag wohl daran, dass er zwei Kollegen zu Besuch hatte, die sofort Interesse an Truck Stop anmeldeten. „Also, wenn du nicht…“ Aber Jo kann es nicht leiden, wenn ihm jemand etwas vor der Nase wegschnappt – und so wurde der „Überfall“ der Beginn einer jahrzehnte-langen Freundschaft. Sowohl für die Band als auch für den Produzenten begannen rosige Jahre, in denen eine Platte nach der anderen auf den Markt kam.

Die Jungs von Truck Stop bedankten sich später auf ihre Weise und machten das Kaff Maschen zu einer berühmten Stadt. „Der wilde, wilde Westen fängt gleich hinter Hamburg an, in einem Studio in Maschen gleich bei der Autobahn.“

Das war allerdings erst 1979, als die Truckstopper schon auf Deutsch sangen. Was sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nie hätten vorstellen können. „Über so einen schlechten Witz hätten wir noch nicht einmal gelacht“, geben sie in ihrer Band-Biografie zu Protokoll. Angefangen hatten sie mit Coverversionen der großen Rock’n’Roll-Stars wie Bill Haley, Fats Domino, Chuck Berry, Johnny Cash – und dann schrieben sie ihre Country-Stücke selbst, auf Englisch. Dass zu diesem Zeitpunkt kaum einer von ihnen in Amerika gewesen war und die meisten kein Pferd je bestiegen hatten, störte keinen. Nicht mal, dass keiner der Truckstopper je in seinem Leben einen Lkw-Führerschein gemacht hat. „Country-Musik – das ist eine Sache, die in einem drin sitzt“, sagt Lucius Reichling, einer der Bandgründer, „eine gewisse Lockerheit dem Leben gegenüber, und dass man Honoratioren immer mit einem Lächeln betrachtet. Man ist locker, aber lässt sich auch nicht ans Bein pinkeln, egal von wem.“

Der Satz sagt eigentlich schon alles über die Band – und ihre Charakterköpfe. Reichling beispielsweise begann zwar ein Studium, brach es dann aber ab. „Diese aufgesetzten Akademiker“ gaben und geben dem heute 57-Jährigen gar nichts. Statt zu studieren machte er lieber Musik und demonstrierte – quasi gegen seinen Vater, der ihn mit zwölf rausgeschmissen hatte. Reichling freut sich heute noch diebisch, wenn er daran denkt, dass er Mitbegründer des SDS in Würzburg war, wo sein Vater „wohlbestallter und bekannter Professor, Ordinarius und Leiter der Augenklinik war“.

In Hamburg traf er dann auf die Zahnmedizinstudenten Rainer und Teddy, letzterer brach auch bald ab, den Maurer Cisco, Erich, den Bayern, und Eckhart, den Saxofonisten. Allesamt wollten lieber „Mugge“ machen und das Leben genießen. Auch wenn die Gage niedrig war: drei Bier und 25 Mark am Abend. „Das ging dann gleich wieder fürs Trinken drauf“, sagt Reichling.

Aber zurück zur Musik. Mitte der 70er-Jahre wurden deutschsprachige Musiker immer beliebter: Udo Lindenberg, Gunter Gabriel, die Rentnerband, die Leinemanns – „wir wollten den Anschluss nicht verpassen“, sagt Reichling nüchtern. Zumal auch die Fans immer mehr drängelten. „Sie sagten, sie verstünden die Texte nicht so gut“, sagt Reichling. „Obwohl – so kompliziert waren die nun wirklich nicht.“ 1977 kam „Die Frau mit dem Gurt“ auf den Markt, auf derselben LP war „Ich möcht so gern Dave Dudley hören“ – und damit der endgültige Durchbruch. Das Lied hatte Holger Grabowski, der erste Roadie der Band, geschrieben. Er kam auf die Idee, weil er nachts mit seinem umgebauten Milchwagen über Land fuhr und „immer nur NDR hörte, was damals ziemlich öde war: vier Stunden Tanzmusik mit Franz Thon oder dem Orchester ohne Namen“, wie Reichling sagt. Nichts zum Wachbleiben jedenfalls. Er wünschte sich, dass die Musikredakteure ein Einsehen hätten und mal was anderes auflegen würden. Übrigens lernte Truck Stop den echten Dave Dudley später tatsächlich kennen, als sie ihn auf eine Deutschlandtournee mitnahmen.

In den 80er-Jahren vollzog sich bei den Cowboys ein merkwürdiger Wandel. Erst noch in luftigen Höhen – sie waren beispielsweise nach Texas zu einem Countryfestival eingeladen worden –, landeten die Jungs ziemlich hart auf dem Boden der Tatsachen. Ihr Manager hatte sie überredet, nicht mehr in Cowboyklamotten aufzutreten, sondern in lässiger Freizeitkleidung – zu bewundern auf dem Album „Potz Blitz“. Weder die Fans noch die Musiker fühlten sich wohl damit. Außerdem ging’s finanziell bergab – nicht zuletzt weil die Band nach einer Steuerprüfung riesige Beträge nachzahlen musste. Schluss war es mit dem lockeren Leben – und die Harleys, die vier von ihnen hatten, mussten versilbert werden. Truck Stop trennte sich von ihrem Manager – seitdem managen sich die Männer selbst.

So richtig Aufwind bekam die Band erst wieder mit dem Mauerfall. Am 9. November 1989 spielten die Truckstopper in Berlin. Und plötzlich, so erinnern sie sich mit Schaudern, entstand immer mehr Unruhe, und die Besucher liefen weg. Was erst ziemlich deprimierend für die Männer war, entpuppte sich als historisches Ereignis. Reichling bekam einen Zettel aus dem Publikum heraufgereicht und konnte kaum glauben, was er da las: „Die Mauer ist offen.“ Die Halle war nach dieser Verlautbarung binnen Sekunden ganz leer. Von da an brummte es wieder. Truck Stop war wieder „in“ – und blieb es bis heute.

1994 bekam die Band ein irrwitziges Angebot: Ihre Plattenfirma Metronome bot ihnen einen Plattenvertrag auf Lebenszeit an. Nichts für die Truckstopper, die Verdacht hatten, „verbeamtet zu werden“. Nach 17 Jahren wechselten sie zu BMG.

Dass die Männer immer für Überraschungen gut sind, zeigt ihre Annäherung an die einstmals verpönte Volksmusik. Schließlich ist der waschechte Bayer Erich einst geradezu nach Hamburg geflohen – auf der Flucht vor der Volksmusik. Denn schon als Kind musste er mit Lederhose und Sepplhut schuhplattlern und jodeln. „Es war stets unser Ziel, auf illegale Weise das amerikanische Liedgut, auch nachfolgend Country Music genannt, in ganz Deutschland zu verbreiten, um so der heimischen Volksmusik Paroli zu bieten“, schrieb er im Truck-Stop-Buch.

Doch dann rief eines Tages Karl Moik, die Ikone der deutschen Volksmusik, persönlich bei Reichling an. „Hier ist der Karl“, sagte er, als sei völlig klar, welcher. Dumm nur, dass Reichling gar keinen Karl kannte, nicht einmal einen Karl Moik. Trotzdem wurde fast eine Freundschaft draus. Seit den 90er-Jahren treten die Cowboys öfter im Musikantenstadl auf, so auch an Silvester 2004. Im Frühling 2005 geht die Band sogar mit Karl Moik auf Tournee. Trotzdem sehen die Truckstopper sich nicht als typische Heimatmusikanten. „Wir nehmen uns und unsere Musik nicht so ernst“, sagt Reichling. Und wie wenig sie sich in der Spießer- und Deutschtümel-Ecke fühlen, zeigten sie auch, als sie 1999 mit Stefan Raab den Maschendrahtzaun aufnahmen. Darin macht sich der Blödel-Barde mit Hilfe der Cowboys über eine Frau namens Regina Zindler lustig, die gegen ihren Nachbarn und dessen Knallerbsenstrauch prozessierte, weil der angeblich ihren Maschendrahtzaun zerstörte.

30 Jahre Truck Stop. Da fragt man sich natürlich, was vom Anfang noch übrig ist, von den Träumen von damals. Weder auf der Bühne noch dahinter gibt’s Getue. Die „Jungs“, die fast alle die 50 überschritten haben, kommen auf die Bühne, so wie immer – und sie singen immer live. Reichling ist stolz darauf, dass er nach wie vor keinen Anzug im Schrank hängen hat. „Wir sind uns treu geblieben, und das spüren die Fans.“ Und dass sich das so schnell nicht ändert, das haben sich die Truck Stopper vorgenommen. „30 weitere Jahre, die hauen wir noch weg“, singen sie, „denn mit 80 auf der Bühne, da wär der Riesengag.“

Birgit Müller

Weitere Artikel zum Thema