Betrug auf dem Bau

Drei Monate lang haben zwei Spanier auf einer Hamburger Baustelle gearbeitet. Um den Großteil ihres Lohns mussten sie lange kämpfen – mithilfe von Gewerkschaft und Medien.

(aus Hinz&Kunzt 231/Mai 2012)

Jeweils mehr als 5000 EURO fordert die Gewerkschaft für Angel Rodriguez Rey (rechts) und José Luis Lopez Ruiz. Im Hintergrund ihr ehemaliger Arbeitsplatz.

Am Abend des 18. September 2011 steigt José Luis Lopez Ruiz aus Barcelona in ein Flugzeug Richtung Estland. Endlich geht es aufwärts, denkt der 44-Jährige, der seit Monaten vergeblich Arbeit sucht. Eine Vermittlerin hat ihm einen Job auf einer Baustelle in Talinn in Aussicht gestellt, über eine Stellenbörse im Internet.

Die Frau aus Alicante verspricht ihm am Telefon einen Stundenlohn von acht Euro in den ersten zwei Wochen, anschließend soll es zehn Euro geben. Busfahrkarte und Unterkunft würden bezahlt. Den Arbeitsvertrag soll er in Estland bekommen. Ein ungutes Gefühl hat Ruiz schon bei der Sache. Doch sieht er keine Alternative. „In Spanien gibt es keine Arbeit“, sagt der kräftig gebaute Mann, der seit seinem 14. Lebensjahr auf dem Bau schuftet. „Deshalb nimmst du, was du kriegen kannst.“

Dass er kurze Zeit später auf einer Baustelle in Hamburg arbeiten wird, ahnt der Spanier da noch nicht. Zwei Wochen schuftet er in Talinn – dann ist plötzlich Schluss. „Die Bau­firma hat die Hälfte der Unterkunftskosten bezahlt und 30 Euro fürs Essen. Lohn habe ich keinen bekommen.“ In seiner Not schreibt der Geprellte der Vermittlerin aus Alicante eine Mail. Die antwortet, er solle nach Hamburg fahren. Dort warte besser bezahlte Arbeit auf ihn.

Am Eilbeker Weg 30 lässt eine Pensionskasse ein sechs­stöckiges Mehrfamilienhaus hochziehen. José Luis Lopez Ruiz und sein Landsmann Angel Rodriguez Rey – auch er wird von der Jobvermittlerin nach Hamburg geschickt – betreten die Baustelle erstmals am 23. Oktober 2011. Drei Monate lang werden sie hier arbeiten, sechs Tage die Woche, bis zu elf Stunden am Tag. Lohn bekommen sie jedoch nur unregel­mäßig und viel weniger als versprochen. Untergebracht sind sie mit fünf weiteren Wanderarbeitern in einer Drei-Zimmer-Wohnung, für die sie pro Kopf und Woche 80 Euro bezahlen. Einen Arbeitsvertrag sehen sie nie, obwohl sie immer wieder danach fragen.

Auf der Baustelle geht es offenbar zu wie in vorindustriellen Zeiten. In den ersten drei Wochen leitet der Freund der Arbeitsvermittlerin die Arbeiter an, insgesamt elf Männer hat sie aus Spanien auf die Baustelle vermittelt. Mitte ­November kommt sie einmal persönlich vorbei und drückt den Arbeitern jeweils 250 Euro in die Hand. Damit scheint ihr Part beendet. Chef auf der Baustelle ist für die Spanier nun Guido Ernst, Inhaber der Firma Normadekor mit Sitz im niedersächsischen Helpsen.

Doch auch der zahlt Lohn nicht oder nur unvollständig. Mitte November treten die Arbeiter deshalb in Streik und suchen Hilfe beim spanischen Konsulat. Das nimmt im Namen der Betroffenen eine Anzeige auf. Geld zum Leben haben sie damit trotzdem nicht. Nach und nach verlieren die Männer die Hoffnung, einer nach dem anderen kehrt in die Heimat zurück. Nur Ruiz und Rey bleiben. Als sie am 27. Januar ­wieder mal ausstehenden Lohn und einen Vertrag einfordern, schmeißt der Subunternehmer Guido Ernst sie raus.

Weder José Luis Lopez Ruiz noch Angel Rodriguez Rey sprechen Deutsch. Sie haben das Glück, dass sie Landsleute treffen, die ihnen helfen. Der Sekretär eines spanischen Freizeitheims begleitet sie zu Beratungsstellen und zum Jobcenter. Das möchte nicht helfen: Es sei nicht nachweisbar, dass sie in Deutschland gearbeitet haben, so die Begründung des Amts. Die gewerkschaftliche Beratungsstelle Migration und ­Arbeit kümmert sich um die beiden. Jeweils 5200 Euro Lohn fordert sie Mitte März in einem Schreiben an Normadekor. Als die Firma darauf nicht reagiert, schaltet die Gewerkschaft unterschiedliche Medien ein.

Normadekor und die spanische Jobvermittlerin lassen Anfragen von Hinz&Kunzt unbeantwortet. Nur der Generalunternehmer des Projekts, die Peter Ahrens Bauunternehmen GmbH, reagiert. Ihr Subunternehmer habe „ohne uns vorher zu informieren ein Nachunternehmen eingeschaltet“, erklärt Geschäftsführer Christian Peter Ahrens am 13. April. „Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, bedauern wir dies sehr und werden, gemeinsam mit der Firma Normadekor, alle uns möglichen Schritte unternehmen, damit die Arbeiter ihren zustehenden Lohn erhalten.“

Nachdem das „Hamburg Journal“ zwei Tage später über den Fall berichtet, deutet vieles darauf hin, dass sich der Kampf der Arbeiter gelohnt hat: Die Peter ­Ahrens GmbH hinterlegt 10.400 Euro bei einem Notar. Das Geld werde ausbezahlt, sobald die Ansprüche der Spanier ­geklärt seien, heißt es am 17. April in einer Pressemitteilung. Das Unternehmen lädt alle Beteiligten zum Gespräch (nach Redaktionsschluss). Für Lopez Ruiz und Rodriguez Rey ist klar: „Wir bleiben hier, bis wir das Geld bekommen haben.“ Ihre heimgekehrten Landsleute werden leer ausgehen.

Text: Ulrich Jonas
Mitarbeit: Cedric Horbach, Gabriele Koch
Foto: Mauricio Bustamante