Lebensmittelretter : Auf den Teller statt in die Tonne

750 Lebensmittelretter sorgen in ganz Hamburg dafür, dass Obst und Gemüse nicht auf dem Müll landen. Wir begleiteten Bodhi Neiser und Natiya Pisuthipornkul bei ihrem Beutezug über den Isemarkt in Eppendorf. 

(aus Hinz&Kunzt 263/Januar 2015)

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Ab in die Kiste! Bodhi Neiser, Natiya Pisuthipornkul und Fabiola Emser sind gemeinsam auf Gemüsepirsch auf dem Isemarkt. Die Markt­beschicker finden’s prima, dass ihre Ware nicht umkommt.

Keine Ahnung, was das glänzende, runde Ding ist, das der Gemüsehändler uns gerade in die Hand drückt. Sieht aus wie ein Plastikspielzeug. „Das ist eine sardische runde geflammte Aubergine“, erklärt der Marktbeschicker enthusiastisch. Der Händler strahlt, weil er das Gemüse, dessen lila Schale einige braune Flecken trägt und deshalb nicht mehr verkäuflich ist, nicht wegwerfen muss. Lebensmittelretter Bodhi Neiser rückt seine grüne Häkelmütze zurecht und legt die Frucht vorsichtig in eine Kiste, die ihm seine Kollegin Natiya Pisuthipornkul hinhält. „Wir lernen hier immer wieder Sorten kennen, die wir noch nie gesehen haben“, erzählt sie.

Die beiden sind ein eingespieltes Team. Fast jeden Freitag klappern die Foodsaver, wie sie sich nennen, mit drei bis vier weiteren Sammlern nach Marktende die Stände auf dem Isemarkt ab, um mitzunehmen, was nicht mehr verkauft werden kann, aber noch genießbar ist. Weil das oft beachtliche Mengen sind, haben die beiden ein Fahrrad mit Anhänger dabei. „Mehr als 20 Händler machen hier mit“, sagt Bodhi nach ­einem Blick auf eine Liste, die er auf einem Klemmbrett immer griffbereit hat. Hier hat alles seine Ordnung. Der 26-Jährige hat die Tour gut vorbereitet und weiß genau, welche Händler er ansprechen kann. Bodhi ist nicht nur Sammler, sondern einer der Mitbegründer der Organisation in Hamburg. „Im März 2013 ging es los. Da waren wir 20 bis 30 Leute. Jetzt sind wir rund 750“, sagt er. Im Internet können die Mitstreiter eintragen, wann und wo sie in Hamburg Lebensmittel retten wollen. So wird deutlich, welche Tour ausgelastet ist oder wo sich das Sammeln noch lohnt.

Bodhi schiebt das Rad weiter zum nächsten Marktstand auf der Liste. Auch hier bei den „Pastafrauen“ werden wir wie überall herzlich begrüßt. Zwei Plastiktöpfchen mit Mozzarellakugeln wandern über den Tresen und sind schnell im Hänger verstaut. „Die können wir später prima im Salat verwenden“, sagt Natiya Pisuthipornkul. Die 41-jährige Sozialarbeiterin und Bildhauerin ist seit mehr als einem Jahr dabei und ernährt ihre Familie fast ausschließlich mit Lebensmitteln, die sonst im Müll gelandet wären. „Mein Mann und meine beiden Kinder stehen voll dahinter. Es stört sie nicht, dass sich unser Speiseplan nach dem richtet, was ich mitbringe.“ Wenn die Vielfalt so groß ist wie heute, ist die Familie nicht zu bedauern: Zucchini, Tomaten, Kürbis, Zwiebeln, Quitten, Kräuter und Tomaten stapeln sich schon in den Kisten. Manche sehen etwas mitgenommen aus, sind aber genießbar.

Nach einer Stunde nähern wir uns dem Ende der Tour. Dort treffen wir auf drei weitere Lebensmittelretter, die den langen Markt von der anderen Seite aus abgegrast haben. Bodhi wirft wieder einmal einen Blick auf seine Liste und prüft, ob alle gekommen sind, die sich vorher via Internet angemeldet haben. So wie Fabiola Emser. Die 19-Jährige ist heute zum ersten Mal dabei. Sie wird drei Mal mit den alten Hasen mitgehen und quasi angelernt, um später allein losziehen zu können. Zufrieden präsentiert sie den Inhalt ihrer prall gefüllten Tasche: Paprika, Töpfe mit Chilischoten und Thymian und eine Tüte mit frischer Pasta hat sie ergattert. Die Studentin lächelt zufrieden. „Mein Vater ist Landwirt. In meiner Familie wird nichts vergeudet.“

Alle Sammler breiten nun ihre Fundstücke in mehreren großen Plastikkästen auf dem Boden aus. Jetzt wird aufgeteilt. Jede Menge Gemüse ist im Angebot, meist noch recht ansehnlich. Auch ein paar Fladenbrote sind dabei, ein paar Stücke Vollkornpizza, sogar eine Dose Kondensmilch und zwei Gläser Marmelade. „Das hat eine der Marktfrauen bei einer Haushaltsauflösung für uns eingesteckt und mitgebracht“, sagt Natiya. Das Retten von Lebensmitteln scheint ansteckend zu sein. Wie von einem reichhaltig gedeckten Tisch nimmt sich nun jeder das, was er gut für sich oder weitere Abnehmer gebrauchen kann. „Was ich nicht verwenden kann, teile ich mit den Nachbarn“, sagt Natiya. „Bisher ist noch immer alles weggegangen.“

20 Minuten später sind alle Lebensmittel verteilt. Beladen ziehen die Essenssammler von dannen. Wir halten uns an Bodhi, der mit Natiya in seiner Wohngemeinschaft gemeinsam etwas kochen möchte. „Wir sind zu viert und leben zu 80 bis 90 Prozent von Lebensmitteln, die sonst im Müll gelandet wären“, erzählt der Aktivist.

Kurze Zeit später erreichen wir die Wohnung im dritten Stock eines Jugendstilhauses. Routiniert schleppen Natiya und Bodhi die Kisten nach oben in die kleine Küche. Nach kurzer Diskussion entscheiden die beiden, einen Salat und Kürbissuppe zu servieren. Die restlichen Produkte werden für den nächsten Tag verstaut. Beim Schnippeln erklärt Natiya, warum sich immer mehr Menschen den Lebensmittelrettern anschließen. „Viele haben der Verschwendung jahrelang hilflos gegenübergestanden, jetzt bekommen sie die Möglichkeit, selbst etwas zu tun.“

Nach einer halben Stunde steht das Essen lecker duftend auf dem Tisch. Die Kürbissuppe ist schön cremig und dank der Chilischote angenehm scharf. Dazu gibt es gemischten Salat mit Mozzarella und Fladenbrot. Sieben Leute haben auf dem Teller, was sonst in die Tonne gekommen wäre. Beim Gedanken daran schmeckt es doppelt gut. •

Alle Hamburger sind eingeladen, überschüssige Lebensmittel ­anzubieten oder abzuholen.Die Registrierung erfolgt über www.foodsharing.de. Alle Mitglieder arbeiten ­ehrenamtlich und verpflichten sich, die Lebensmittel ausschließlich unentgeltlich weiterzugeben. Das Foodsaving ist eine Ergänzung zu anderen gemeinnützigen Organisationen wie der Hamburger Tafel und verzichtet bewusst auf Geldspenden, einen eigenen Fuhrpark und eine aufwendige Organisation.

Text: Sybille Arendt
Foto: Dmitrij Leltschuk