Obdachlose als Häuslebauer : Alles muss man selbst machen

Weil in Hamburg zwar viele Wohnungen leer stehen, sie aber keine abkriegen, würden sich ein paar Hinz&Künztler am liebsten selbst ans Häuslebauen machen. Vorerst sind es allerdings nur Knusperhäuschen.

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„Eigentlich könnte ich auch ein richtiges Haus bauen – abgesehen vom Dach“, sagt der obdachlose Trockenbauer Rafael (rechts).

Torstens Traumwohnung steht am Polarkreis. „Am liebsten würde ich dort in einem Baumhaus wohnen“, so der Hinz&Kunzt-Verkäufer. Das liegt wahrscheinlich an der ausgedehnten Skandinavien-Wanderung, die der 51-Jährige in diesem Sommer unternommen hatte. Echtes Holz können wir heute leider nicht verbauen. Dafür stellen wir aus frisch gebackenem Lebkuchenteig Knusperhäuschen her, um dabei über Wohnungsnot ins Gespräch zu kommen.

Möglich wurde die Aktion durch Konditormeister Thomas Horn, mit dem wir schon öfter gemeinsam gebacken haben. Ein Freund des Hauses sozusagen. In seiner Lokstedter Backstube hat er für uns Lebkuchenteigplatten in allen Größen und jede Menge Zuckerzeug zum Verzieren bereitgestellt. Der dynamische 51-Jährige drückt allen Spritztüten mit Eiweißmasse in die Hand und packt auch selbst mit an. „Los, los, nicht so schüchtern“, ermuntert Horn die Hinz&Künztler.

Rezept Knusperhaus

Honigkuchenteig: 750 g Weizenmehl, 500 g Honig, 100 ml Wasser, 75 g Butter, 50 g Zucker, 12 g Salz,
8 g Hirschhornsalz, 4 g Pottasche, 2 g Zimt, 24 g Honigkuchengewürz

Alles zusammen langsam zu einem Teig kneten. 24 Stunden ruhen lassen. Den Teig 0,5 cm dick ausrollen
und bei 180 Grad ca. 15 Minuten backen.

Maße für die Bauteile: 1 Bodenplatte 20 x 30 cm, 2 Seitenteile 5 x 20 cm, 2 Giebel 15 cm breit, 18 cm hoch, 2 Dachplatten 15 x 22 cm, Fenster und Türen nach Bedarf ausstechen.

Eiweißspritzglasur: 500 g Puderzucker, 90 g Eiweiß, 5 g Zitronensaft

Alles mit dem Mixer zu einer steifen Masse aufschlagen.

Die Teile mithilfe einer Spritztülle und der Eiweißspritzglasur zusammensetzen und nach kurzer Trocknungsphase verzieren. Mit Süßigkeiten oder Keksen bekleben.

Torsten beginnt zu kleben und zu erzählen. Acht Jahre lang hat er in Hamburg in leer stehenden Häusern gewohnt. Davon gab es immer reichlich: Bürohäuser, Gaststätten, Villen und Einfamilienhäuser. Dabei hat er sich wie ein Gentleman verhalten. „Ich habe immer einen Zettel hingelegt und gefragt, ob ich als Wohnungsloser dort eine Weile bleiben darf.“

Manchmal wurde er geduldet, manchmal auch nicht. „Einmal wurden meine ganzen Sachen aus dem Fenster in den Vorgarten geworfen. Ein anderes Mal wurden extra die Sanitäranlagen zerstört, damit ich dort nicht bleiben konnte.“ Vor 15 Monaten hat Torsten endlich ein Zimmer zur Untermiete gefunden. Darüber ist er sehr froh: „Es ist sehr anstrengend, immer unterwegs sein zu müssen.“

Rafael verziert sein Häuschen ganz systematisch, eine Reihe Gummiteile, eine Reihe Spekulatius. „Eigentlich könnte ich auch ein echtes Haus alleine bauen – abgesehen vom Dach.“ Der 27-Jährige ist gelernter Trockenbauer und hat jahrelang auf dem Bau gearbeitet. „Ich hatte ein ganz normales Leben: Arbeit, Freundin und Wohnung.“

Doch dann gerät der Pole an einen Arbeitgeber, der ihm seinen Lohn nicht bezahlt. Rafael verliert seine Wohnung und landet im Frühjahr 2015 auf der Straße. Seitdem zeltet er im Hamburger Osten. „So finde ich auch keinen Job: keine Wohnung, keine Arbeit.“ Als wir die Häuschen verzieren, hofft er noch auf einen Containerplatz im Winternotprogramm. Und tatsächlich: Er bekommt einen. „Jetzt habe ich wieder eine Adresse und finde hoffentlich auch einen Job.“

Frank hingegen ist schon seit 23 Jahren wohnungslos. Der 48-Jährige hat Platte gemacht und zwischendurch immer mal bei Freunden und Bekannten übernachtet. Jetzt ist er gerade im Haus Bethlehem untergekommen und freut sich über ein Dach über dem Kopf. „Ein Zimmer reicht mir, mit einer Wohnung komme ich nicht klar.“ Sein Lebkuchenhaus verziert er liebevoll, aber nicht zu bunt. „Das Haus möchte ich den Schwestern in Haus Bethlehem schenken, da passt eher etwas Schlichtes hin.“

Bescheiden sind auch die Wünsche der Hinz&Künztler, was das Wohnen angeht. Den meisten genügt ein Zimmer, bei dem sie die Tür schließen können, und ein Briefkasten, in dem sie Post empfangen können. Es wäre schön, wenn sie sich einfach welche backen könnten.

Text: Sibylle Arendt
Fotos: Dmitrij Leltschuk