Acht Mann in einem Boot

Der Hamburger und Germania Ruderclub wird 175 Jahre alt. Unter den Mitgliedern gibt es eine Gruppe, die ebenfalls schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. Doch für sie gilt: rüstig statt rostig.

(aus Hinz&Kunzt 220/Juni 2011)

Alle Mann anfassen! Beim Hamburger und Germania Ruderclub ist Teamwork gefragt
Beim Hamburger und Germania Ruderclub ist Teamwork gefragt

Die Würstchen sind gut in Form. Wie jeden Mittwoch. Ein gestandenes Team in Weiß-Rot. Acht trainierte Herren zwischen 55 und 85 Jahre, eben trugen sie noch feinen Zwirn, jetzt schlabbern abgenutzte Sportklamotten an ihnen herunter. Jeder packt mit an, als der Achter mit Aufschrift „Die Würstchen“ vom Bootshaus aus zu Wasser gelassen wird. Dann noch ein bisschen Gerangel, wer sitzt heute auf welchem Platz?
Und schon geht es los: Mit kräftigen Schlägen rudert die Gruppe weit auf die Alster hinaus. Zurück bleibt Hans von Lacroix, 75 Jahre alt: Der „Chef“ der Gruppe darf heute nicht mit, er führt Aufsicht, hat den sogenannten Stegdienst. „Steakdienst?“, flachst ein Ruderkamerad, „sind wir hier etwa beim Block House?“ Nein, nicht ganz. Wir sind beim Würstchenkreis – der ältesten Rudergruppe im Hamburger und Germania Ruderclub, laut Eigenwerbung  der älteste Ruderclub Deutschlands und der zweitälteste der Welt: Er feiert in diesem Jahr sein 175. Jubiläum.
„Unsere Rudergruppe ist nicht ganz so alt, aber es gibt sie nun auch schon seit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg“, erzählt Hans von Lacroix, der 1948 als Schüler des Johanneums im Club zu rudern anfing. Zur gleichen Zeit begann eine Gruppe von Kriegsheimkehrern, sich regelmäßig mittwochnachmittags zum Rudern und anschließendem Essen im Clubgebäude zu treffen. „Das Problem war nur: Es gab ja damals kaum was zu essen“, berichtet Hans von Lacroix. „Einer von aus der Mannschaft konnte allerdings von irgendwoher Würstchen beschaffen.“
Und so wurde erst gerudert, dann wurden die Würstchen verdrückt. „Erhitzt mit einem Tauchsieder“, erzählt von Lacroix lächelnd, „das ging wunderbar.“ Der Würstchenkreis war geboren – und trägt seinen Namen bis heute mit Stolz. Immer noch treffen die Mitglieder sich jeden Mittwochnachmittag zur gemeinsamen Ausfahrt, anschließend sitzen sie im Restaurant des Clubs zusammen und speisen. Da darf es mittlerweile auch mal Fisch oder Schnitzel sein, aber wenn einer der Kameraden Geburtstag hat, gilt: Alle anderen werden eingeladen – zu Kartoffelsalat mit Würstchen. „Was anderes kommt dann nicht auf den Tisch“, sagt Hans von Lacroix ernst. „Das ist Tradition.“
Gegründet wurde dieser 1836 von elf jungen Hamburger Kaufleuten, bis heute stammen viele Mitglieder aus dem wohlhabenden Bürgertum. „Ganz ehrlich“, erzählt Hans von Lacroix, selbst pensionierter Jurist, „dies war nie ein Arbeiterruderclub.“
Auch in der Mittwochsrunde tummeln sich überwiegend Geschäftsleute, Juristen – und natürlich Ärzte: „Denen passt der Termin natürlich besonders gut“, sagt Hans von Lacroix. „Mittwochnachmittags haben ja die meisten Praxen zu.“ Grundsätzlich stehe die Gruppe aber heute jedem Interessierten offen. „Einfach mal herkommen und mitmachen – dann wird man schon sehen, ob’s passt.“
Rund anderthalb Stunden, entweder zum Stadtparksee oder zur Ohlsdorfer Schleuse, rudern die Herren bei ihren wöchentlichen Treffen. So gern sie vorher und hinterher auch plaudern, diskutieren oder herumalbern – im Boot gilt: Klappe halten! „Sonst kommt man aus dem Takt“, erklärt Hans von Lacroix. Und ein gleichmäßiger Schlag sei beim Rudern im Achter alles. „Das funktioniert nur, wenn jeder im Team achtsam ist und mitzieht.“ Genau das hat Hans von Lacroix auch von Anfang an am Rudern begeistert: „Das Zusammenspiel als Mannschaft war mir immer wichtig.“ Was übrigens schon für die Gründer galt: „Der Ruderclub ist ein geselliger Verein, dessen Hauptziel gemeinschaftliche Ruderübungen sind“, heißt es im Gründungsdokument.
Aber auch sportlicher Ehrgeiz gehört zur Clubtradition: 1900 gab es bei den Olympischen Spielen in Paris sogar eine Goldmedaille. Bis heute nehmen Mitglieder erfolgreich an nationalen und internationalen Wettkämpfen teil, darunter nicht nur Jungspunde: Einige aus der Mittwochsrunde kommen gerade aus London von einem Altherrenrennen zurück. „Nur unsere wöchentlichen Ausfahrten wären denen zu lahm“, sagt Hans von Lacroix lächelnd.
Dass im Club neben den Schüler- und Jugendgruppen viele Ältere aktive Mitglieder sind, findet er nicht weiter überraschend: „Zum einen haben wir Alten viel Zeit“, erklärt er, „zum anderen sind wir schon eine sehr viel fittere Generation als die unserer Eltern.“  Und außerdem gilt: Mit dem Rudern sei es schließlich wie mit dem Fahrradfahren. „Wenn man früh anfängt, verlernt man es nicht mehr. Rudern kann man fast ewig.“ So wie der Senior der Gruppe, Dr. Hans-Helmut Killinger, der mit knapp 85 Jahren noch jede Woche konsequent in den Achter springt. „Topfit ist der“, sagt Hans von Lacroix bewundernd. „Ob ich das in zehn Jahren noch so gut hinbekomme, weiß ich nicht.“ Von Ehrgeiz aber lasse er sich nicht antreiben. „Ich genieße das Rudern lieber. Für mich ist der Weg das Ziel.“
Neben den Fahrten auf der Alster schwärmt Hans von Lacroix deshalb vor allem von den gemeinsamen Wanderfahrten, die er häufig selbst organisiert. Da geht es dann für mehrere Tage auf die Donau, die Weser oder den Neckar, auch die Flusslandschaft in Mecklenburg-Vorpommern oder rund um Berlin habe unglaublich viel zu bieten. „Im Grunde sind wir überall unterwegs, wo es nur geht.“
Schon zu DDR-Zeiten fuhr die Gruppe regelmäßig ein Mal im Jahr von Lübeck nach Ratzeburg, von dort aus ging es weiter auf den Schaalsee. Die Grenze verlief damals mitten durch den See, gekennzeichnet durch Bojen. „Im Mai 1990 sind wir das erste Mal auf die Ostseite rübergerudert, das war ein tolles, erhabenes Gefühl“, erinnert sich Hans von Lacroix. „Wir haben dort angelegt, sind in eine Gaststätte gegangen und haben nach dem Essen mit Westmark bezahlt – da haben die Leute nicht schlecht geguckt.“ Auf diese Tour freut Hans von Lacroix sich deshalb jedes Jahr besonders. „Das ist ein Ausflug in die Geschichte.“
Eine andere Clubtradition ist ihm hingegen weniger wichtig: Hier im Club rudern – abgesehen von den Schülergruppen – bis heute nur Herren. „Es gab zwar schon mal die Überlegung, auch Frauen aufzunehmen“, sagt Hans von Lacroix. Aber die Mehrheit der Mitglieder stimmte dagegen. „Übrigens nicht die älteren, sondern gerade die jüngeren Männer“, fügt er hinzu. Und hat auch schon eine Idee, woran das liegen könnte: „Da stecken sicher die Ehefrauen hinter“, meint er verschmitzt. „Die wollen hier keine Konkurrenz.“

Text: Maren Albertsen
Foto: Philipp Reiss