Operndiven : „Hauptsache:
raus auf die Bühne“

Wie fühlt es sich für gestandene Operndiven an, wenn der Lover auf der Bühne der eigene Sohn sein könnte? Hellen Kwon und Gabriele Rossmanith kennen das. Sie gehören seit fast drei Jahrzehnten zum Ensemble der Hamburgischen Staatsoper.

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Hellen Kwon (links) und Gabriele Rossmanith: „Bühnenluft macht glücklich.“

Hinz&Kunzt: Wollten Sie beide schon als Kind Sängerin werden?

Gabriele Rossmanith: Ich hätte ja nie gedacht, dass ich Sängerin werden kann. Meine erste Lehrerin meinte, meine Stimme sei nicht groß genug für Oper und ich hätte kein Spieltalent. Dann hab ich aber doch viele Konzerte bekommen, das wurde mehr und mehr. Und da habe ich mit Mitte 20 doch noch die Aufnahmeprüfung für Gesang gemacht in Stuttgart.

Hellen Kwon: Und ich wollte immer Ärztin werden, die beste Chirurgin der Welt. Weil mein Vater immer im Bett lag, und kein Arzt der Welt konnte ihm helfen. Es ist dann doch anders gekommen. Ich habe mit 17 schon Abi gemacht und stand mit 22 auf der Bühne.

Erinnern Sie sich an Ihren ersten Auftritt?

Rossmanith: Einer meiner ersten Auftritte, ein aufregender, wichtiger, war in der Liederhalle in Stuttgart, ein Konzert mit Chor. Dort als Solistin zu singen – das war für mich wie im Film. Ich habe sehr die Aufmerksamkeit genossen, der Rest war drittrangig, aber das verändert sich mit der Zeit. Das Publikum, und dass ich es anrühren kann, das hab ich erst viel später gefühlt. Das ist für mich jetzt zentral wichtig geworden.

Kwon: Mein erster Bühnenauftritt war in „Lohengrin“ als Edelknabe, in der Dortmunder Oper, mit Karl Ridderbusch und René Kollo. Als Kind war ich sehr schüchtern, im Mittelpunkt zu stehen war mir immer peinlich. Auf der Bühne verkörpert man aber eine Figur – und das wollte ich. Wenn einem das Publikum dann zujubelt, ist das schön, aber nicht so wahnsinnig wichtig.

Rossmanith: Der Applaus ist wirklich nicht entscheidend, mir ist er fast ein bisschen unangenehm. Ich verbeuge mich oft so schnell, dass Freunde mir sagen: Jetzt bleib mal ein bisschen, wenn da Bravos sind.

Was sind Ihre Kriterien für Erfolg?

Kwon: Wenn ich für etwas sehr, sehr hart gearbeitet habe und wenn es mir dann gelingt.

Rossmanith: Wir arbeiten beide sehr hart, sonst würden wir nicht mehr singen in unserem Alter. Als junge Sängerin kann man vieles irgendwie hinschieben. In unserem Alter kommt nichts mehr von selbst, man feilt an jedem Ton.

Das provoziert ja nun die uncharmante Frage nach Ihrem Alter.

Kwon: Ich bin Jahrgang 61, und du …

Rossmanith: … 1956. Bei Wikipedia steht das falsch.

Es ist schon ungewöhnlich, in Ihrem Beruf so lange zu bestehen.

Rossmanith: Wir konnten unsere Stimmen über lange Zeit solide entwickeln. Heute bekommen Sänger diese Zeit nicht mehr, und junge Sänger wollen vor allem schnell, viel und groß.

Kwon: Außerdem ist alles sehr visuell geworden – ob jemand gut aussieht. Aber wenn man gut singt und weiter daran arbeitet, was spricht dagegen, lange zu singen?

Rossmanith: Na, zum Beispiel, dass es für einen leichteren Sopran wie mich in diesem Alter keine Rollen mehr gibt. Du singst ja ein anderes Fach.

Kwon: Gabi hat angefangen als lyrische Soubrette und ich als Koloratursopran. Ich hatte die Möglichkeit, die Stimme so weiterzuentwickeln, dass ich jetzt im jugendlich-dramatischen Fach singe, gerade war es in „Elektra“ die Chrysothemis. Unsere Stimmen sind dunkler geworden, das Volumen ist gewachsen.

Rossmanith: Aber es gibt Grenzen.

Man muss die Stimme, haben Sie mal erzählt, ganz neu trainieren.

Rossmanith: Auf den Körper nach der Schwangerschaft, auf die neue hormonelle Lage; man fängt praktisch von
null an.

Die Diven auf der Bühne


„La Belle Hélène“ mit Gabriele Rossmanith, 19., 23. und 25.6., 19.30 Uhr.
„Das schlaue Füchslein“ mit Hellen Kwon, 30.10. und 5., 8. und 14.11.,
jeweils in der Hamburgischen Staatsoper, Dammtorstraße 28, 19.30 Uhr, Karten ab 5 Euro. Mehr Infos unter www.hamburgische-staatsoper.de
Wie stark spüren Sie Druck durch das Älterwerden?

Rossmanith: Na, ich bekomme sehr viel kleinere Rollen, weil es einfach keine größeren mehr gibt. Aber da ich ein wunderbares Privatleben hab, kann ich gut damit leben. Außerdem mache ich mit tollen Musikern hier aus dem Orchester Liederabende, Chansonabende – gerade „Some other time“ über das Älterwerden von Frauen. Und ich hab gerade im Medienbunker zwei Konzerte gemacht. Ich kann da viel mehr feine Farben ausprobieren, die auf der Opernbühne nicht gehen, mit Sprache und Worten spielen.

Kwon: Wir sind da schon ziemlich unterschiedlich, mich interessiert so was weniger. Ich singe die Gräfin 2016, und es kommen noch andere große Rollen.

Was hat Sie denn so lange an der Hamburger Staatsoper gehalten?

Rossmanith: Wir haben ein Riesenglück mit unseren Festverträgen. Wenn man an so einem Haus eine Stelle kriegt, bleibt man. Es gab natürlich Versuchungen. Das war bei mir so vor 20 Jahren – ich bin so froh, dass ich geblieben bin. Wo wäre ich heute? Ich würde irgendwo unterrichten.

Kwon: Ich unterrichte schon. Aber für eine Professur müsste ich die Bühne aufgeben. Und Bühnenluft macht glücklich.

Rossmanith: Egal, ob die Rolle groß ist oder klein, Hauptsache: raus auf die Bühne.

Bald wechselt die Intendanz – wird man da neu einsortiert?

Rossmanith: Ich werde sehr wohlwollend einsortiert und gefragt: „Was wollen Sie denn singen?­“ Und musste sagen: „Es gibt kaum etwas, es sei denn in der neuen Musik.“ Wie in „Le Bal“ die Mutter. Oder mal ein Blumenmädchen in „Parsifal“. Aber wenn ich die Zerlina (in Don Giovanni, die Red.) singe – und die Massettos könnten fast meine Enkel sein …

Sie gehen doch beide locker als Mädchen durch.

Rossmanith: Von Weitem mit viel Schminke … (lacht).

Kwon: Aber es ist schon seltsam, wenn mein Liebhaber auf der Bühne, etwa der Rodolfo in „La Bohème“, so um die 30 ist.

Wie fühlt sich das an, wenn nun Jüngere die Rollen singen, in denen man selber gefeiert wurde? Die Blanche in „Dialogues des Carmélites“ oder die Mélisande in „Pelléas et Mélisande“?

Rossmanith: Das passiert mir gerade, es ist nicht schön. Wenn jemand wie Christiane Karg die Mélisande singt, die das toll macht, kann ich damit leben. Aber es gibt immer einen kleinen Stich, und jeder, der etwas anderes sagt, lügt.

Kwon: Partien abgeben gehört aber auch zum Prozess unserer Entwicklung, wir bleiben ja nicht stehen. Man weint nicht den alten Sachen nach. Ärgern würde man sich, wenn man sagen müsste: Ich hätte das besser gesungen.

Wird man nicht unbequemer, wenn man jede Regieidee schon dreimal hat scheitern sehen?

Rossmanith: Ich würde sagen: gelassener. Ich halt manchmal meinen Mund und denke: Das richtet sich schon.

Kwon: Wir sind ja viel flexibler als diese italienischen Sänger, die mit nur fünf Partien durch die Welt reisen.

Wie viele Partien haben Sie einstudiert?

Kwon: Bei mir sind es an die 50, allein die „Königin der Nacht“ hab ich über 400-mal gesungen.

Rossmanith: Meine häufigste Rolle war die Musette in der „Bohème“.

Denken Sie manchmal darüber nach, wie es wäre ganz aufzuhören?

Kwon: Nö.

Rossmanith: Ich schon. Du bist ja noch ’nen Tick jünger. Wenn man sich überhaupt nicht mit dem Alter befasst, holt es einen irgendwann böse ein.

Sie sind beide am selben Tag vom Senat mit dem Titel „Kammersängerin“ bedacht worden. Was bringt Ihnen der?

Kwon: Die Ehre.

Rossmanith: Vor allem in Österreich – da sagen sie alle „Frau Kammersänger“, das ist dort ganz viel wert. Ich hab mich über den Titel sehr gefreut, war sehr glücklich und stolz. Ich sehe ihn als eine Art Belohnung.

Sind Sie die Dienstältesten im Ensemble?

Rossmanith: Ich bin die Älteste. Die Dienstältesten im Festengagement sind Peter Galliard und Renate Spingler. Ich nenne mich selbst manchmal Dinosaurier. Aber wir sind hier einfach glücklich.

Kwon: Und wir haben unsere Kinder, die uns brauchen. Das ist was ganz Besonderes. Meiner wird 16 im Herbst, deiner ist 17.

Rossmanith: Und wir sind beide schon ewig mit unseren Männern zusammen.

Keine Chance für italienische Tenöre?

Beide: Nein (lachen).

Interview: Hans-Juergen Fink
Foto: Dmitrij Leltschuk