Leichte Sprache : „Kunst war das Einzige, das ich machen konnte.“

Leichte Sprache
Hanadi Chawaf ist Künstlerin. Sie lebt in Hamburg. Foto: Mauricio Bustamante.

Street-Art in arabischen Ländern und in Hamburg

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Es gibt viele Arten von Kunst.
Zum Beispiel Bilder, Fotos oder Figuren aus Stein.
Street-Art ist auch Kunst.
Street-Art ist Englisch und heißt auf Deutsch Straßen Kunst.
Ein anderes Wort für Street-Art ist auch Graffiti.
Street-Art und Graffiti sind oft politisch.
Politisch heißt: Diese Kunst zeigt die Probleme in einem Land.

Street-Art gibt es auf der ganzen Welt,
also auch in arabischen Ländern.
Arabische Länder sind Länder,
in denen die Menschen die Sprache Arabisch sprechen.
In arabischen Ländern hat sich in den letzten 10 Jahren viel verändert.
Die Menschen wollen ein besseres Leben.
Sie wollen Freiheit und Sicherheit und gute Regierungen.
Dafür kämpfen die Menschen in arabischen Ländern.
Sie kämpfen dafür zum Beispiel auch mit Street-Art.

In Hamburg gibt es das Museum für Kunst und Gewerbe.
Das Museum zeigt Kunst, Kunst-Handwerk und Fotografie.
Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt auch Street-Art.
Besucherinnen und Besucher können dort
politische Street-Art aus arabischen Ländern sehen.

Hanadi Chawaf ist eine Frau aus Syrien.
Syrien ist ein arabisches Land.

Hanadi wohnt jetzt in Hamburg.
Ihr Beruf ist Künstlerin.
Sie macht zum Beispiel Street-Art.
Sie klebt Bilder an Haus-Wände.
Die Bilder sind wichtig für Hanadi.
Mit den Bildern erzählt sie Geschichten.
Die Geschichten sind über die Menschen und das Leben in Syrien.
In Syrien ist schon sehr lange Krieg.

Hinz und Kunzt ist mit Hanadi Chawaf
in das Museum für Kunst und Gewerbe gegangen.
Sie haben dort die Ausstellung über Street-Art in arabischen Ländern angesehen.

Weinende Kinder

An einem Morgen im Jahr 2014 war Hanadi im Stadt-Teil Winterhude.
Sie saß dort auf einer Bank.
In der Nähe gab es einen Laden für Luft-Ballons.
Hanadi hatte ein Bild an die Haus-Wand von dem Laden geklebt.
Es war ein Bild von einem kleinen Jungen.
Der Junge war traurig und hat geweint.
Das Bild von dem Jungen ist genau unter dem Schild vom Luft-Ballon Laden.
Aber Street-Art ist eigentlich verboten.
Kein Mensch darf einfach Bilder an fremde Häuser malen oder kleben.
Die Polizei nennt das dann Sach-Beschädigung.
Das heißt: Jemand macht etwas kaputt, das ihr oder ihm nicht gehört.

Die Besitzerin von dem Luft-Ballon Laden wollte keine Street-Art
an ihrer Haus-Wand.
Hanadi hat gesehen,
wie die Besitzerin das Bild weg gemacht hat.

Hanadi war sehr traurig darüber.
Das Bild war nämlich sehr wichtig für Hanadi.
Hanadi wollte den Menschen in Hamburg mit dem Bild sagen:
Den Menschen in meiner Heimat Syrien geht es schlecht.
Den Kindern in Syrien geht es besonders schlecht.
Es ist sehr schlimm dort.
Das Leben ist traurig und schwer.

Die Menschen in Syrien wollen schon lange eine andere Regierung.
Deshalb gab es viele Demonstrationen und Probleme.
Bei einer Demonstration treffen sich viele Menschen auf der Straße.
Die Menschen sagen dann laut,
was ihnen nicht gefällt.

Seit mehr als 10 Jahren gibt es Krieg in Syrien.
Man sieht jeden Tag in den Nachrichten:
Die Menschen in Syrien gehen auf die Straße.
Dann kommen Soldaten und schießen.
Die Soldaten verletzen die Menschen oder töten sie.

Auch Hanadi Chawaf hat die Nachrichten gesehen.
Hanadi sagt:
„Kunst war das einzige,
das ich machen konnte.
Ich wollte den Menschen in meinem Land helfen.
Aber ich war hier in Hamburg.
Ich konnte nicht einfach nach Syrien gehen.“

Hanadi war sehr traurig und wütend,
weil sie ihren Leuten nicht richtig helfen kann.
Deshalb fühlt sie sich oft sehr schlecht.

Dann hat Hanadi Street-Art gemacht.
Die Menschen sollten die Wahrheit wissen:
Die Regierung von Syrien ist böse.
Männer, Frauen und Kinder werden sehr schlecht behandelt.
Die Menschen haben Angst und es gibt viel Gewalt und Krieg.
Zum Beispiel:
Kinder haben 2011 in der syrischen Stadt Daraa ein Graffiti gemacht.
Das Graffiti war gegen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad.
Die Polizei hat die Kinder dann verhaftet und sie schlimm geschlagen.
Das sollen die Menschen wissen,
in Hamburg und überall auf der Welt.

In vielen arabischen Ländern gibt es viel Street-Art gegen die Regierungen.
Zum Beispiel in den Ländern Tunesien und Ägypten.
Street-Art ist sehr wichtig für die Menschen dort.
Sie können mit den Graffitis schnell sagen,
was sie möchten und was ihnen nicht gefällt.
Viele Menschen lesen und verstehen das.

Hanadi Chawaf macht in Hamburg ganz viel Street-Art.
Ihre Kunst zeigt viele traurige und weinende Kinder.
Das nennt man dann eine Bilder-Serie.
Hanadis Bilder-Serie heißt: Weinende Kinder.
Die weinenden Kinder gibt es nicht nur in Hamburg.
Hanadi ist an vielen Orten gewesen.
In vielen Ländern hat sie ihre Street-Art gemacht:
In Deutschland, in Frankreich, in Dänemark und in Amerika.
Überall wo Hanadi Chawaf gewohnt hat,
gibt es Bilder mit weinenden Kinder von ihr.

Bilder in der Haut sind wie Erinnerungen

Mit 20 ist Hanadi Chawaf von Syrien nach Amerika gezogen.
Sie hat in der Stadt Los Angeles gewohnt.
Dort hat sie Kunst an der Universität studiert.
2008 kam Hanadi nach Hamburg.
Sie hat in Hamburg geheiratet und eine Tochter bekommen.

Hanadi ist auch Tätowiererin.
Sie hat einen Tätowier-Laden in Hamburg.
Der Laden heißt: Hanadis Garage.
Tätowieren heißt:
Mit einer Nadel werden Bilder unter die Haut gemalt.
Das tut nur ein bisschen weh.
Die Bilder gehen dann nie wieder weg.

Seit 2015 wohnen viele Menschen aus Syrien in Hamburg.
Sie sind vor dem Krieg und der Regierung in Syrien geflohen.
Ein paar junge Syrer sind in Hanadis Tätowier-Laden gekommen.
Ein Junge heißt Moaeed.
Moaeed hat sich ein Bild von Hanadi ausgesucht:
Ein Junge mit einer kaputten Puppe im Arm.
Hanadi hat das Bild Moaeed auf die Haut tätowiert.
Hanadi und Moaeed sind heute Freunde.

Hanadi sagt:
„Meine Kunst ist meine Therapie“.
Therapie heißt:
Ihre Bilder helfen ihr.
Sie fühlt sich besser,
wenn sie Kunst macht.

Hanadi Chawaf sieht manchmal Menschen,
die sich ihre Street-Art genau ansehen.
Sie bleiben stehen und machen Fotos.
Manchmal reden sie auch miteinander über die Bilder.
Das mag Hanadi besonders gerne.
Sie findet Street-Art gut,
weil dann jeder die Kunst sehen kann.
Oft gibt es Kunst aber nur im Museum.
Dann können nur einige Menschen die Kunst sehen.

Street-Art im Museum

Heute ist Hanadi zusammen mit Hinz und Kunzt im Museum.
Es ist ein Mittwoch-Nachmittag im Juni.
Sie hat ein schwarzes T-Shirt und eine weite bunte Hose angezogen.
Man sieht die Tätowierungen auf ihren Armen.
Hanadi ist eine tolle und coole Frau.
Sie ist immer ganz ruhig,
auch wenn sie über ihre Gefühle redet.

Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt Hanadis Kunst
ein Jahr lang in einer Ausstellung.
Die Ausstellung heißt: Be with the revolution.
Das ist Englisch und heißt: Sei bei der Revolution dabei.
Revolution heißt:
Die Menschen in einem Land kämpfen gegen die Regierung.
Revolutionen gibt es oft dann,
wenn es den Menschen in dem Land schlecht geht.
Und wenn die Regierung die Menschen ungerecht behandelt.

Die Ausstellung in Hamburg zeigt
die Kunst von 13 Künstlerinnen und Künstlern.
Alle machen politische Kunst über das Leben in den arabischen Länder.
Manche arbeiten in ihrem Heimat-Land.
Manche sind aus ihrem Heimat-Land geflohen und leben jetzt woanders.

Hanadi Chawaf wohnt als einzige Künstlerin in Hamburg.
Die anderen Künstlerinnen und Künstler wohnen in arabischen Ländern.
Die Künstlerinnen und Künstler sind zum Beispiel aus:

·      Ägypten

·      Tunesien

·      Libanon

·      Palästina.

 

Hanadi Chawaf war bei der Eröffnung der Ausstellung in Hamburg
als einzige Künstlerin im Museum dabei.

Hanadi sagt:
Man sieht in ihren Bildern,
dass sie in Deutschland lebt.
Man sieht auch,
dass sie in Sicherheit war,
als die anderen Menschen Krieg und Revolution erlebt haben.
Sie sagt auch:
„Die Menschen dort haben den Tod gesehen.“

Das Street-Art Bild vom Luft-Ballon Laden ist auch in der Ausstellung.
Darüber hängt ein Bild von einem anderen Künstler.
Auf beiden Bildern ist ein weinender Junge.
Trotzdem sind beide Bilder sehr verschieden.
Das Bild von dem anderen Künstler sieht sehr echt aus.
Das Bild sieht fast aus wie ein Foto.
Das Bild hat sehr bunte Farben.
Es sieht so aus,
als ob der Junge gleich aus der Wand kommt.

Der Künstler von dem Bild heißt Ammar Abo Bakr.

Der Junge auf dem Bild ist ein Straßen-Kind in Kairo in Ägypten.

Der Junge auf dem Bild weint um seinen Bruder.
Der Bruder ist gestorben.
2013 haben Soldaten in Ägypten an einem Tag über 1000 Menschen getötet.
Die Menschen haben auf einem großen Platz in der Stadt Kairo
eine Demonstration gemacht.
Der Bruder von dem weinenden Jungen war damals dabei.
Jetzt ist er tot.

Arabische Frauen und Street-Art

Bahiha Shehab ist eine Frau aus Ägypten.
Sie macht auch Street-Art.
Ihre Bilder zeigen oft einen blauen BH.
BH ist die Abkürzung für Büsten-Halter.
Das ist Unter-Wäsche für Frauen.
Unter-Wäsche sieht man eigentlich nicht auf der Straße.

2011 gab es eine große Demo in Kairo.
Auf der Demo haben Soldaten eine Frau festgehalten.
Die Soldaten haben der Frau das Kleid kaputt gemacht.
Dann haben die Soldaten die Frau mit Gewalt über die Straße gezogen.
Dabei konnte man den blauen BH von der Frau sehen.

Es gibt Fotos von den Soldaten und der Frau.
Viele Menschen haben sich darüber beschwert.
Man darf Frauen nicht so respektlos behandeln.
Die Ägypter denken sofort an ihre Revolution,
wenn sie einen blauen BH sehen.
Der blaue BH ist ein Zeichen für die Revolution in Ägypten.

Bahiha Shehab malt deshalb oft blaue BHs.
Ein Bild von ihr heißt zum Beispiel:
1000 Mal Nein!
Sie hat viele blaue BHs zwischen Verbots-Schilder an Haus-Wände gemalt.
Ein anderes Bild von Bahiha Shehab heißt:
Ein vergessener blauer BH.

Hanadi Chawaf zeigt in ihrer Kunst oft arabische Frauen.
Hanadi findet die Meinung der Frauen besonders wichtig.
Sie findet es wichtig,
dass die Frauen ihre Meinung sagen.
Sie will mit ihrer Kunst zeigen,
wie das Leben von Frauen in Europa und den arabischen Ländern ist.

Viele arabische Frauen dürfen oft nicht frei über ihr Leben bestimmen.
Das hat viel mit dem Glauben und der Geschichte der Länder zu tun.
Die Männer bestimmen in arabischen Ländern oft über die ganze Familie.
Es gibt viele Regeln,
die das Leben für Frauen schwer machen.

Mädchen dürfen keine Künstlerinnen sein

Auch für Hanadi Chawaf war das Leben in Syrien schwer.
Sie musste einen Beruf lernen,
den sie nicht mochte.
Sie wollte frei sein,
aber das klappte nicht.
Die Regierung in Syrien und die Menschen in Syrien waren sehr streng,
besonders zu Mädchen und Frauen.

Deshalb ist Hanadi nach Amerika gegangen.
Sie hat ihrer Familie gesagt,

sie kommt bald zurück.
Das war eine Lüge.
Aber Hanadi musste lügen.
Sonst hätte man ihr die Fahrt nach Amerika verboten.
Hanadi wollte nicht mehr in Syrien leben.
Sie war nicht glücklich in Syrien.
Hanadi wollte selbst-bestimmt leben.

„Mit einer Tätowierung kommst du in die Hölle“

In Syrien sagen viele Menschen:
Tätowierungen sind sehr schlecht.
Mit einer Tätowierung kommt man in die Hölle.
Die Hölle ist ein sehr schlechter Ort,
an den viele Menschen glauben.
Viele Menschen glauben:
Nach dem Tod kommen alle bösen Menschen in die Hölle.

Hanadi Chawaf glaubt das nicht.
Hanadi hat sich eine Fleder-Maus auf ihre Haut tätowieren lassen.
Fleder-Mäuse sind kleine Tiere,
die Nachts durch die Luft fliegen.

Die Fleder-Maus ist für Hanadi eine Erinnerung an Zuhause.
Nachts gibt es in der Stadt Damaskus sehr viele Fleder-Mäuse.
Unter der Fleder-Maus Tätowierung von Hanadi steht:
„straight to hell“.
Das ist Englisch und heißt: direkt in die Hölle.

Der schwere Weg zum Traum-Beruf

Hanadi Chawaf wollte schon immer Künstlerin werden.
Das war aber nicht leicht.
Auch in Amerika war es nicht leicht für Hanadi.
Aber Hanadi hat es immer weiter versucht.
Sie wollte an die Universität.
Dort wollte sie Kunst studieren.
Sie hat sich an einer Kunst-Universität beworben.
Die Universität sagte sofort ja,
weil Hanadis Bilder sehr gut waren.
Aber die Universität kostet in Amerika sehr viel Geld:
Alle paar Monate kostet es viele Tausend Dollar.
So viel Geld hatte Hanadi nicht.
Sie hat als Kinder-Mädchen gearbeitet.
Dabei verdient man nicht viel Geld.

Ein paar Monate später ging sie wieder zu der Universität.
Sie hat gefragt,
ob sie jetzt studieren darf.
Die Universität hat gesagt:
Du kannst für den halben Preis bei uns studieren.
Aber das war immer noch zu viel Geld für Hanadi.

Hanadi hat wieder ein paar Monate gewartet.
Dann hat sie die Universität noch einmal gefragt.
Dieses Mal hatte Hanadi ganz viele sehr große Bilder gemalt.
Die Bilder hat sie der Universität gezeigt.
Die Universität fand die Bilder sehr gut.
Hanadi hat deshalb ein Stipendium bekommen.
Stipendium heißt: Man darf umsonst studieren.

Nuri, die arabische Meer-Jungfrau

Hanadi Chawaf hat sich viele Figuren ausgedacht,
die sie immer wieder malt.
Oder sie tätowiert Menschen die Figuren auf die Haut.
Manchmal macht sie auch Street-Art mit den Figuren.
Die Street-Art klebt sie dann an Häuser-Wände.

Eine Figur malt Hanadi immer wieder:
Es ist eine Frauen-Figur mit einem Kopf-Tuch.
Nur diese Figur hat auch einen Namen.
Der Name von der Figur ist Nuri.

In der Ausstellung im Museum gibt es ein besonderes Bild von Nuri:
Sie hat einen Fisch-Schwanz.
Nuri ist jetzt eine Meer-Jungfrau.
Das hat Hanadi Chawaf mit Absicht so gemalt.
Sie hat zwei Ideen,
warum Nuri eine Meer-Jungfrau sein soll:

  • Mit ihrem Fisch-Schwanz kann Nuri durch das Meer
    und in ein anderes Land schwimmen.
    Dort wird Nuri ein besseres Leben ohne Krieg und Gewalt haben.
  • Die Menschen sollen Nuri mit ihrem Fisch-Schwanz sehen.
    Dann denken die Menschen an die vielen Flüchtlinge,
    die im Meer ertrunken sind. Dann werden die toten Flüchtlinge nicht vergessen.

Information zur Ausstellung:

Name der Ausstellung: Be with the Revolution. Street-Art und Grafik-Design in den Arabischen Protesten seit 2011“.
Datum der Ausstellung:
bis zum 02.04.2023
Ort:
Museum für Kunst und Gewerbe
Adresse: Steintorplatz, 20099 Hamburg

Übersetzung in Leichte Sprache: Capito Hamburg

Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.

Weitere Artikel zum Thema