„Vergesst uns nicht!“

Zimbabwe 2005: Dikatator Robert Mugabe vertrieb 700.000 Menschen aus ihren Hütten. Ein Jahr später sind immer noch Hundertausende obdach- und arbeitslos. Die Opposition ist gelähmt – und hofft auf Hilfe aus dem Ausland

(aus Hinz&Kunzt 161/Juli 2006)

„Weg mit dem Müll!“ So ähnlich lässt sich „Murambatswina“ übersetzen. Selbst die sonst misstrauische Opposition in Zimbabwe glaubte ursprünglich an eine gute Aktion. Doch was Diktator Robert Mugabe unter Müllbeseitigung versteht, machte er innerhalb weniger Wochen deutlich: 700.000 Menschen verloren zwischen Mai und Juli 2005 im ehemaligen Rhodesien ihr Dach über dem Kopf. Ein Jahr ist das her – und bis heute sind die meisten von ihnen obdachlos. Ein Bericht von Birgit Müller.

Mai 2005. Es ist früher Morgen, die meisten Menschen schlafen noch in Mabvuku, in Tafara und anderen Armenvierteln des Landes. Mit Bulldozern und Lastwagen mit schwerem Gerät stehen die Polizisten und Soldaten plötzlich vor den Türen. „Entweder ihr reißt eure Häuser selbst ab oder wir tun es“, sagen die Polizisten und beginnen schon mal mit den „Aufräumarbeiten“: Die Häuser, Behelfshütten und Buden werden abgerissen, die Bewohner selbst verprügelt und verjagt. Gegen ihren Willen werden Tausende Township-Bewohner wahllos in irgendwelche ländlichen Regionen verfrachtet und dort ausgesetzt. Gestoppt wird die „Aufräumaktion“ im Juli 2005 nur durch eine Intervention der UN.

Knapp ein Jahr später stehen wir in einem der Armenviertel. Sehen die vielen Steine, die abgetragen wurden, und die ärmlichen Marktstände. Wir sind mit Winston, einem Mitarbeiter einer Menschenrechtsorganisation, unterwegs. Winston heißt in Wirklichkeit anders, aber es ist für ihn schon gefährlich, uns überhaupt in die Armenviertel mitzunehmen, deshalb ändern wir seinen Namen.

„Die Menschen sollten vertrieben werden“, sagt Winston. Es war ein Racheakt. Rache dafür, dass sie es gewagt hatten, mehrheitlich die Oppositionspartei MDC zu wählen. Und das hat seinen Grund: Viele der Bewohner aus den Elendsvierteln sind Flüchtlinge vom Land. Früher arbeiteten sie auf den riesigen Farmen. Doch Mugabe hat die meist weißen Großfarmer verjagt. Statt die enteigneten Großbetriebe wenigstens den Farmarbeitern zu überschreiben, hat er auch diese verjagt und die Farmen an Leute verschenkt, die er unbedingt braucht, um an der Macht zu bleiben. Und die haben wiederum keine Ahnung von Landwirtschaft. So kommt es, dass Tausende von Farmarbeitern arbeitslos wurden, Felder veröden und Tiere verhungern. Die Arbeiter wanderten in die Städte ab – und wählten bei den Wahlen mehrheitlich die Opposition.

Mit der „Operation Murambatswina“ wollte Mugabe auch vorbeugen. Er befürchtete Volksaufstände, auch weil die Menschen in Afrikas ehemaliger Kornkammer inzwischen hungern müssen. „Murambatswina sollte dafür sorgen, dass die Menschen so verwirrt sind und so viel mit sich selbst und ihrer Existenz zu tun haben, dass sie keinen Mut und keine Kraft für Aufstände mehr haben“, sagt Winston. Jetzt, ein Jahr später, sind viele Township-Bewohner zurückgekehrt. „Auf dem Land ist die Situation noch schlimmer als in der Stadt“, sagt Winston. „Es gibt keine Arbeit und nichts zu essen. Deshalb haben die Menschen gar keine andere Chance, als wiederzukommen.“

Und langsam machen sie sich daran, ihre Häuser wieder aufzubauen. Wer sein Haus selbst abgerissen hat, hat Stein für Stein abgetragen und schichtet jetzt Stein auf Stein wieder aufeinander. Die Menschen sind ärmer als je zuvor. Auf den Marktplätzen der Armenviertel wird kaum etwas feilgeboten, die Supermärkte in den Städten sind fast leer. Nur in den Malls mit ihren Geschäften und Läden kriegt man von all dem nichts mit. Wir könnten uns sogar gegen eine entsprechend hohe Summe eine Pizza in unser abgelegenes Feriendomizil liefern lassen.

Benzin ist unerschwinglich geworden. Viele, und das trifft immer mehr auch die Mittelschicht, können es sich nicht mehr leisten, zur Arbeit zu gehen, weil die Fahrtkosten schon weit höher sind als ihr Lohn. Die Inflationsrateliegt bei 1100 Prozent, und auch wir laufen mit einem Rucksack voller Scheine herum. Wie früher holen die Frauen wieder Reisig zum Feuern, weil kaum noch Brennspiritus erhältlich ist. Und wie zum Hohn auf den Slogan Murambatswina stapelt sich überall der Unrat. Nach der „Säuberungsaktion“ lässt Mugabe die arme Bevölkerung jetzt im Müll ersticken. Besonders schlimm hat es Mbare getroffen. Es stinkt schon, als wir von der Hauptstraße in die erste Straße des Viertels einbiegen. Abwasserleitungen sind gebrochen. Und auch fließend Wasser gibt es nur noch in der Hälfte der Haushalte. Nach der Operation sind kaum noch kleinere Häuser übrig geblieben. Alles starrt vor Dreck. Der große Platz in der Mitte war vielleicht mal ein Marktplatz, jetzt ist er eine riesige Müllkippe. Und nicht nur das: Mitten auf dem Platz, mitten im Abfall, spielen die Kinder. „Nachts“, sagt Winston, „kommen ganze Familien und schlafen hier.“

Wen wunderts, dass es hier einige Fälle von Cholera gegeben hat. Die Behörden spielen das herunter. Angeblich hat das mit Armut und mangelnder Hygiene nichts zu tun. Der Fisch sei verdorben gewesen, den die Betroffenen gegessen hätten. „Wenn der Fisch durchgebraten oder gekocht gewesen wäre, wären die Erreger abgetötet worden“, sagt Winston. Und warum waren sie nicht abgetötet? „Weil die Menschen kein Geld mehr haben für Brennspiritus und die Kochhitze nicht hoch genug war“, vermutet Winston.

Vielleicht hat Murambatswina die Menschen mundtot gemacht – für eine Weile. Doch die „Säuberungs“-Aktion hat Konsequenzen: Wahllos hat Mugabe Häuser abreißen lassen und Menschen vertrieben. Auch viele seinerAnhänger sind betroffen. „Ich hasse ihn“, sagt ein Sicherheitsmann, der früher mit ihm im Befreiungskrieg gekämpft und ihn bewundert hat. Mit eigenen Händen habe er sein Haus abreißen müssen. Dabei sei er sogar Mitglied der Mugabe-Partei Zanu-Pf. Nie habe er geglaubt, dass sich Mugabe auch gegen ihn richten könnte. Er ist nicht der Einzige, der so denkt. „Sogar die Häuser von Polizisten sind abgerissen worden“, sagt Winston. Und er hofft: „Das wird sich irgendwann rächen.“

Doch das wird vermutlich dauern. Denn die „Operation Murambatswina“ hat der Opposition das Rückgrat gebrochen. Seit Mai 2005 hat es kaum Demonstrationen gegeben, geschweige denn Streiks oder Aufstände.Keine Großmacht hat noch echtes Interesse an Zimbabwe. Deswegen sind auch fast alle Menschen, mit denen wir reden, verzweifelt begeistert, wenn sie Menschen aus dem Ausland treffen. „Schreibt über uns!“, sagte ein Kollege von Winston eindringlich. „Vergesst uns hier nicht.“

Birgit Müller

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