„Ich bin dankbar, dass ich am Leben bin“

Ken Hensley war ein Rockstar: als Keyboarder und Kopf der Hardrockband Uriah Heep. Doch es gibt ein Leben nach dem Erfolg – und dem Absturz

(aus Hinz&Kunzt 183/Mai 2008)

Uriah Heep? Wo deren Platten stehen? Den Plattenhändler meines Vertrauens kann eigentlich nichts erschüttern. Doch diesmal zucken seine Mundwinkel merklich und er sieht mich starr an. Mit einem Kopfnicken weist er mich dann doch in die richtige Richtung. Da stehen sie ja: ein Dutzend Platten von Uriah Heep. Die mit dem Spinnenwebengesicht drauf, „Very ’eavy, very ’umble“ und das Live-Doppelalbum vom Januar 1973, ganz in Schwarz gehalten. Im Beiheft ein Foto: der damalige Kopf der Band, Ken Hensley, an der Orgel, in grelles Scheinwerferlicht getaucht. Ach, Kinder, ist das lange her! Mehr als 35 Jahre …

Einen Abend später sitze ich Ken Hensley gegenüber. Um uns herum tobt das reinste Chaos. Ken Hensley produziert die Hamburger Newcomerband „Maks and the Minors“, die hat heute einen Auftritt, und er will ihnen als Freund und Fan zur Seite stehen, sich auch zu zwei, drei Songs an die Orgel stellen. Von daher stehen nicht die sechs Hamburger Jungs im Mittelpunkt, sondern Ken als Urgestein des Hardrock.

Die Tür wird aufgerissen, einer ruft: „Radio Bremen wird das Konzert mitschneiden und irgendwann senden.“ Er hebt den Daumen. „Großartig“, murmelt Ken, nimmt einen Schluck Kaffee, nestelt nach seinen Zigaretten. Aber so schnell kommt er jetzt nicht zum Rauchen vor die Tür. Immer neue, bis zum Anschlag gut gelaunte Radiomoderatoren irgendwelcher Regionalsender zwischen Lingen und Niebühl halten ihm im Zehn-Minuten-Takt ein Aufnahmegerät unter die Nase.

„Hi!“, sagt Ken mit seiner rauchigen Stimme und erzählt noch einmal, dass er von diesen neumodischen Casting-Shows nicht das Geringste hält und dass er mit seinen einstigen Bandkollegen von Uriah Heep nur dann telefoniert, wenn sie mal wieder die Tantiemen aufteilen müssen.

63 Jahre ist er jetzt alt, und er hat die Ruhe weg, während um ihn herum die nächste Generation ihre Stiefel schnürt, um nach ganz oben in den Pophimmel zu klettern.

„Ich hatte eine ganz normale, gute Kindheit; mein Vater hat bis zum Anschlag malocht und meine Mutter hat sich um uns Kinder gekümmert. Wir hatten nicht viel, aber wir hatten genug“, beginnt Ken zu erzählen, und es wird ruhig im Raum. Eines steht früh fest: Er will Musiker werden und berühmt, beides gleichzeitig und das nicht irgendwann, sondern möglichst schnell. Noten lernen – wo doch seine Mutter Konzertpianistin ist? Dafür hat er keine Zeit. Er bringt sich einigermaßen Gitarre bei, er setzt sich ans Klavier, bis es so halbwegs geht. „Ich wollte zu meinen Gedichten – und ich habe schon als kleiner Junge immer Gedichte geschrieben – die richtige Melodien haben.“ Mit Schulfreunden gründet er eine erste Band, macht weiter, tingelt durch die Bars und Clubs, bis er seinen ersten Plattenvertrag erhält: gleich bei einem der ganz Großen der Branche. Dann der Knaller mit der Band Uriah Heep: „Es war eine verrückte Zeit damals. Wir strotzten nur so vor Energie – doch niemand war da, um das irgendwie zu kanalisieren. Ehrlich gesagt, wussten wir selbst oft nicht, was wir da taten.“ Manager, Agenten oder andere Leute, die sich hätten um einen kümmern können, das habe es damals alles nicht gegeben.

Uriah Heep fädeln sich mit höchstem Tempo auf der Erfolgsspur ein und brausen davon. Ihre Tourneen sind stets ausverkauft, ihre Platten verkaufen sich millionenfach. Jeder, der sich nur halbwegs für Rockmusik interessiert und nicht zu den Strebern in Stoffhosen gehören will, kennt ihren Namen; kann „Lady in Black“ schmachtend nachsummen oder schüttelt auf den Schulfesten die länger werdenden Haare zu den stampfenden Klängen von „Easy livin’“ hin und her.

Ja, das sei schon eine großartige Zeit gewesen, einerseits. Ken legt die Hände vor sich auf den Tisch und macht eine Pause, denn gleichzeitig ging so einiges schief: „Niemand hat uns darauf vorbereitet, wie es ist, reich zu sein. Das Geld floss und es hörte nicht auf zu fließen.“ Es dauert nicht lange und er verliert den Boden unter den Füßen: „Das Leben eines Rockstars ist so bizarr, so seltsam, auch so a-moralisch. Ich war am Ende 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche ein Rockstar. Ich war mit meiner Karriere verheiratet und nicht mit meiner Frau. Ich war mit meiner Karriere befreundet und nicht mit meinen Kumpels.“

Der Erfolg putscht ihn auf, treibt ihn voran; ist er mal wieder zu Hause, ergreift ihn die große Leere: „Wenn ich von einem Konzert kam, bin ich durch die Wohnung gegangen wie über eine Bühne und habe auf meine Fans gewartet, dass sie die Arme hoch strecken und mir zujubeln. Das geht natürlich nicht gut.“ Ken Hensley probiert Drogen, landet beim Kokain. Er bleibt bei dem weißen Pulver, auch als sich Uriah Heep auflösen, neue Bands folgen. 16 Jahre lang.

Was ihn davon weggebracht hat? Ken drückt den Rücken durch und sagt ein einziges Wort: „Gott.“ Der habe noch etwas anderes mit ihm vorgehabt. „Von einem Tag auf den anderen habe ich aufgehört. Kein Arzt, keine Therapie – jedenfalls keine irdische Therapie.“ Er lacht kurz auf, wird wieder ernst: „Mir haben natürlich viele Leute gesagt, dass ich mit den Drogen aufhören muss – aber niemand wusste, wie ich das anstellen soll.“ Was nicht heißt, dass er nun der große Missionar geworden ist, auch wenn auf seinen neuen Platten oft von Gott die Rede ist: „Ich renne nicht rum, haue den Leuten mit der Bibel auf den Kopf und sage: Du musst an Jesus glauben! Jesus ist deine Rettung! Aber ich erzähle, was ich durchlebt habe, wenn es jemand wissen will. Ich bin dankbar, dass ich noch am Leben bin.“

Daher kann man ihn jederzeit ansprechen, hat man Probleme mit Drogen oder hat man die wirre Idee, man könne ja mal welche probieren. Er meint das ernst – und reicht eine Visitenkarte: darauf ein Schmetterling, vier Herzen, der Schriftzug „Esperanza Street Agost“ – der Name der Stiftung, die er mit seiner zweiten Frau Monica in Spanien jüngst gegründet hat, wo er seit längerem lebt. Als nächstes

wollen sie Land kaufen, Unterkünfte darauf errichten, für Menschen, die nicht wissen, wohin – und auch für herrenlose Tiere. Wenn alles gut geht, vielleicht nimmt er dann doch ein Projekt in Angriff, das ihn schon lange beschäftigt: Eine Hilfseinrichtung für Drogenabhängige will er gründen und dort tätig sein. Eines will er noch mal klarstellen: „Wenn Gott gewollt hätte, dass wir Kokain nehmen, dann würde es in kleinen Beuteln an Bäumen hängen, so dass man nur zugreifen muss.“ Und – tut es das?

Frank Keil