Trendsport Parkour : Balanceakt im Hafen

Mauern, Treppen, Brückenpfeiler – beim Trendsport Parkour überwinden Könner scheinbar mühelos Hindernisse. Mehr Ideen, sich die Stadt zu erobern, liefert unser neues Sonderheft „Enter Hamburg!“*.

HÖHENANGST? Für Nils Krieger zum Glück ein Fremdwort. Foto: Cormelius M. Braun
HÖHENANGST? Für Nils Krieger zum Glück ein Fremdwort. Foto: Cornelius M. Braun

(aus Hinz&Kunzt 242/April 2013)

Geschmeidig wie Katzen laufen die Männer die Mauer entlang. Am Ende angekommen, springen sie herunter und rollen über die Schulter auf dem Pflaster ab. Sofort hat sich um die artistische Vierer-Gruppe auf den Magellan-Terrassen eine Menschentraube gebildet, die vor lauter Staunen die großen Pötte auf der Elbe und die schicken Glasfassaden der Neubauten vergisst. Die Sportler lassen sich von den neugierigen Blicken nicht beirren, denn sie benötigen die volle Konzentration für ihre Manöver. Außerdem sind sie daran gewöhnt, beobachtet zu werden, denn sie trainieren regelmäßig Parkour in der Hafencity. Uns haben sie eingeladen, dabei zuzusehen, wie man sich durch die Stadt bewegt, ohne Straßen und Bürgersteige zu benutzen wie Otto Normalverbraucher.

Michael, Daniel, Simon und Nils mögen die gleichen Orte, die Hamburger auch ihren Gästen zeigen: Elbphilharmonie, Michel, Planten un Blomen. Aber sie durchstreifen die Stadt nicht auf der Suche nach architektonischen Perlen, sondern nach Balancier-, Kletter- und Springgelegenheiten für ihre ungewöhnliche Fortbewegungsart. Parcours bedeutet auf Französisch Weg oder der Strecke. Der Sinn der aus Frankreich stammenden Sportart Parkour liegt darin, Wege und Hindernisse möglichst effizient und elegant zu bewältigen. Der Traceur genannte Sportler verzichtet auf vorgegebene Pfade, stattdessen wählt er die Abkürzung. Trainieren kann man überall: im Wald, im Park und in der Stadt.

Erfunden wurde Parkour in Lisses, einem tristen Vorort von Paris, von David Belle. Im Wald hatte der Junge mit seinem Vater, einem Vietnam-Veteranen, nach der „méthode naturelle“ trainiert. Diese Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Trainingsart will athletische Fähigkeiten mit Hilfsbereitschaft, Selbstlosigkeit und Tapferkeit verbinden, zu einem körperlich-geistigen Training in der Natur.

Hamburg bietet endlose Möglichkeiten zum Springen, Klettern und Laufen. David Belle passte das Training Ende der 80er-Jahre dem urbanen Raum an. Mauern, Treppen, Balkone, Hydranten: A les diente dem heute 39-jährigen Schauspieler als Trainingsgelände. Andere folgten seinem Beispiel, und der Sport trat von Frankreich aus seinen Siegeszug um die ganze Welt an.
Auch die Hansestadt bietet überall Trainingsmöglichkeiten. „Eigentlich sind verschandelte Plätze am besten“, meint Daniel Callhoff. Verschandelt ist die Hafencity natürlich nicht, dennoch ist Hamburgs jüngster Stadtteil ein Parkour-Paradies.

An den Mauern der Magellan-Terrassen mit ihren vorspringenden Steinen kann man sehr gut klettern. „Das machen uns oft Kinder nach und manchmal sogar Erwachsene“, sagt Daniel. Gefährlich ist das nicht, denn man muss ja schließlich nicht die drei Meter bis nach oben klettern. Aber man kann. Ein weiteres Element von Parkour ist das Balancieren. Hoch konzentriert üben die vier Männer das Gehen auf dem runden Metall eines Geländers. Ab und zu rudert mal einer stärker mit den Armen und springt ab. Kein Problem, neben dem Handlauf geht es nur einen guten Meter abwärts. Höher hinaus wagt sich Nils Krieger. Der 26-Jährige läuft über einen am höchsten Punkt vier Meter hohen Brückenbogen. Der Stahl ist zwar 30 cm breit, aber man darf nicht da- nebentreten und keine Höhenangst haben. Die hat Nils offensichtlich nicht, denn er läuft vollkommen cool über den Stahlträger. Zwischendurch bleibt er stehen und genießt die Aussicht. Er sah vor acht Jahren im Internet ein Parkour-Video. Als einer der Ersten in Hamburg begann er mit einem regelmäßigen Training. Ihm gefällt, dass der Sport nicht nur mit dem Körper, sondern vor allem mit dem Kopf zu tun hat.

Nils fuhr sogar nach Lisses, dem Wallfahrtsort der Traceure. Von den Sehenswürdigkeiten in Paris hat er damals nichts gesehen, er interessierte sich ausschließlich für die Atmosphäre vor Ort. „Da waren überall abgebrannte Autos, aber auch Touristen aus aller Welt.“ Keine gewöhnlichen Touristen, sondern junge Leute, die sich für den Sport und für dessen Philosophie interessierten. „Bei diesem Sport überschreitet man die eigenen Grenzen“, sagt Daniel. „Ich bin eigentlich ein Schisser, aber beim Parkour mache ich oft überraschend Fortschritte und traue mich Dinge.“ Das war nicht immer so, gibt der 31-Jährige zu. Früher sei er eher faul gewesen und habe sogar mal ein Partybäuchlein gehabt, meint er.

„Hier kann jeder individuell an seinen Stärken und Schwächen arbeiten.“

„Für jeden ist etwas anderes schwer“, sagt Michael Nischt. Der 33-Jährige entdeckte Parkour durch ein Breitensport-Angebot an der Uni. Seit zwei Jahren trainiert er. „Es ist ein Sport, bei dem jeder individuell an seinen Stärken und Schwächen arbeiten kann“, meint Michael. „Dabei entwickelt sich die Persönlichkeit. Die Konfrontation mit eigenen Ängsten und deren Überwindung nuützt auch im Alltag.“ Nach dem Klettern und Balancieren werden Sprünge trainiert: Auf dem Vasco-da-Gama-Platz, wo es geeignete Treppen gibt, wollen die Jungs von oben nach unten sprin-gen und den Abstand immer um eine Stufe vergrößern. Gelandet wird aber nicht banal auf dem Boden, sondern auf der dünnen Lehne einer Bank! Hier ist absolute Präzision erforderlich, denn bei der Landung werden starke Kräfte frei, die nicht zum Beispiel durch Abrollen umgeleitet werden können.

Abwechselnd stellt sich also einer der Sportler auf eine Stufe, ganz vorn auf die Kante, starrer Blick, Schwung mit den Armen geholt – und los. Daniel springt daneben. Nicht schlimm, aber zehn Liegestütze sind zur Strafe fällig. Eine interne Verabredung, um das Ganze noch spannender zu machen. Daniel hört bei sechs Stufen auf, genau wie Michael. Nils, der alte Hase, und Simon Wessling, das 19-jährige Küken der Truppe, erhöhen auf acht Stufen – immerhin knapp zwei Meter – , dann ist auch für sie Schluss.

Nach zwei Stunden Training lässt die Energie der Sportler nach, ihre Bewegungen werden langsamer. Zeit, Feierabend zu machen. Die Zuschauer wenden sich wieder der Elbe zu. Nils holt eine Zigarette aus seiner Sporttasche, zün- det sie an und zieht genüsslich. Förderlich ist das sicher nicht. Aber es ist eben für jeden etwas anderes schwer.

Parkour-Ausrüstung: bequeme Sportkleidung und Turnschuhe mit nicht zu dicken Sohlen. Hellnight: parkourbezogenes Krafttraining, jeden Di, 19 Uhr, offen für jeden, ohne Anmeldung. Eintritt frei. Public meeting: offenes Training für Anfänger und Fortgeschrittene, jeden letzten Sonntag im Monat, 12 Uhr, Eintritt frei. Treffpunkt unter www.parkour-hamburg.de checken!

* Unser neues Sonderheft „Enter Hamburg!“ mit vielen ungewöhnlichen Tipps zum Mitmachen und Entdecken erscheint Anfang Mai.

Text: Sybille Arendt
Foto: Cornelius M. Braun

Weitere Artikel zum Thema