Leichte Sprache :
„Als würde ich in der Luft schweben“

Kennt vieles, was sie in ihrem neuen Roman erzählt aus ihrem eigenen Leben: Autorin Jegana Dschabbarowa. Foto: Dmitrij Leltschuk
Kennt vieles, was sie in ihrem neuen Roman erzählt aus ihrem eigenen Leben: Autorin Jegana Dschabbarowa. Foto: Dmitrij Leltschuk
Kennt vieles, was sie in ihrem neuen Roman erzählt aus ihrem eigenen Leben: Autorin Jegana Dschabbarowa. Foto: Dmitrij Leltschuk

Wir treffen die Schriftstellerin Jegana Dschabbarowa.
Sie spricht über ihre Flucht aus Russland,
über ihre Katze und
ihren sanften Großvater aus Georgien.

Schwieriger Alltag ohne Katze

Zuerst zeigt Jegana Dschabbarowa Bilder von ihrer Katze.
Die Katze ist weiß, schwarz und braun gefleckt.
Sie hat neulich eine Maus gefangen.
Die Maus konnte aber gerettet werden.

Das Gespräch über Katzen hat einen ernsten Grund.
Im letzten Sommer kam Jegana mit ihrer Frau aus Russland nach Hamburg.
Sie hatten Schutz in Deutschland bekommen.
Sie bekamen ein Zimmer in einem Container.
Das war in einer Unterkunft für Geflüchtete.
Ihre Katze durfte aber dort nicht mit hin.
Sie musste sich Räume mit fremden Menschen teilen.
„Das war ein Schock“, sagt sie.

Am Anfang freute sie sich.
In dem Container lebten auch zwei Geflüchtete aus dem Iran.
Sie dachte: „Mein Lieblings-Regisseur ist Jafar Panahi aus dem Iran.
Vielleicht kann ich mit den Iranern über Literatur sprechen.“
Aber die Iraner wollten nicht darüber reden.
Der Alltag war schwierig.
Jegana sagt vorsichtig:
„Wir hatten andere Vorstellungen von einer sauberen Küche.“

Wohnung mit Katze, aber ohne Deutsch-Kurs

Das Paar lebt 10 Monate in einem Container.
Vor 3 Monaten finden sie eine kleine Wohnung.
Ein sozialer Verein hat geholfen, sie zu finden.
Die Wohnung ist bezahlbar.
Die Katze war die ganze Zeit bei einem Freund.
Jetzt lebt die Katze wieder bei Jegana und ihrer Frau.

Jegana sagt: „Mein Deutsch ist noch nicht so gut.“
Darum reden sie und der Autor dieses Textes auf Englisch.
Jegana und ihre Frau haben den Kurs Deutsch B1 geschafft.
Jetzt wollen sie den Kurs Deutsch B2 machen.
Doch die neue Regierung hat die B2-Kurse gestoppt.
Deshalb warten viele Menschen auf die Sprach-Kurse.
Jegana und ihre Frau hoffen auf einen Platz.
Jegana sagt: „Ich muss und will Deutsch lernen.“

Eine lange Geschichte

Jegana ist 1992 geboren.
Sie ist in der Stadt Jekaterinburg aufgewachsen.
Die Stadt liegt in Sibirien mitten im Ural.
Die Familie kommt aus den Ländern Aserbaidschan und Georgien.
Jegana sagt: „Unsere Geschichte ist lang
und auch sehr durcheinander.“

Jekaterinburg ist damals eine offene Stadt.
Die Menschen denken demokratisch.
Früher sind ehemalige Gefangene nach Jekaterinburg gezogen.
Heute leben dort ihre Kinder.
Jegana arbeitet an der Universität.
Sie macht ein Literatur-Festival.
Sie schreibt Bücher über Kolonialismus.
Sie hat auch ihren ersten Roman geschrieben.

Dann beginnt der Krieg von Russland gegen die Ukraine.
Seitdem ist vieles anders.
Viele Menschen in Russland sind für den Krieg.
Sie unterstützen den Präsidenten.
Sie suchen ständig nach Feinden.

Jegana ist queer.
„Queer“ ist Englisch und heißt:
Jegana lebt anders als die meisten Menschen.
Sie lebt mit einer Frau zusammen.
Sie ist Intellektuelle.
Sie ist gegen den Krieg.
Sie gehört zu einer Minderheit.
Darum ist sie mehrfach in Gefahr.

Drohungen und Hetzjagd gegen Jegana

Die Lage wird schlimmer bei einem Workshop.
Das Thema war „Kreatives Schreiben“.
Die Teilnehmer haben aus Zeitungen Buchstaben ausgeschnitten.
Sie haben daraus Texte gemacht.
Das war nicht politisch.
Trotzdem beginnt eine Hetzjagd gegen Jegana.
Ihr Handy vibriert ständig.
Sie bekommt viele Drohungen.
Die Menschen sagen:
„Wir wissen, wo du wohnst.“
„Wir kommen zu dir.“
„Wir werden dich umbringen.“

Die Drohungen kommen von russischen Menschen.
Später auch von Männern aus Aserbaidschan.
Sie wollen nicht, dass Frauen Bücher schreiben.
Jegana sagt: „Fast alle haben mich gehasst.“
Heute kann sie darüber lachen.
Damals hat sie das Haus fast nie verlassen.

Eine Flucht in der Nacht

Dann wurde ihr Handy plötzlich still.
Jegana hat gedacht: „Vielleicht haben sie mich vergessen.
Oder sie haben einen anderen Feind gefunden.“
Doch in der Nacht zum 16. Januar 2023 kommt eine neue Nachricht.
Die Nachricht klingt anders.
Eine Gruppe von Nationalisten ruft die Behörden auf,
Jegana zu verhaften.
Es sind nicht nur einzelne wütende Menschen:
Der russische Staat ist auf der Suche nach ihr.

Jegana schickt die Nachricht an eine Freundin.
Die Freundin ist Anwältin.
Sie sagt: „Du musst sofort das Land verlassen.
Sonst wirst du verhaftet.“
Noch in der Nacht bucht die Freundin einen Flug nach Istanbul.
Jegana packt schnell ein.
Sie nimmt ein paar Socken, ein T-Shirt und drei Sommerkleider.
Es ist Winter.
Sie ist völlig durcheinander.

Freundinnen und Freunde helfen ihr.
Sie sagen ihr, was sie am Flughafen tun muss.
Auch wenn Polizisten sie ansprechen.
Aber am Flughafen geht alles gut.
Die Freundinnen und Freunde sammeln Geld für Jegana.
Sie schicken es ihr.
Jegana sagt: „Niemand hat viel Bargeld zu Hause.
Man rechnet ja nicht mit einer Flucht.“

In Istanbul lebt sie 2 Monate in einem kleinen Zimmer.
Dann reist sie weiter nach Aserbaidschan.
Dort lebt ihr Vater.
Aber sie kann nicht bleiben.
Denn Aserbaidschan hat ein Abkommen mit Russland.
Das Land könnte Jegana jederzeit zurückschicken.
Zum Glück bekommt Jegana ein Visum für Deutschland.
Auch ihre Frau bekommt ein Visum.
Das Visum gilt für mehrere Jahre.
Es ist ein humanitäres Visum.
Das heißt: Jegana und ihre Frau bekommen Schutz in Deutschland.

Ein neues Leben in Hamburg

So kommt Jegana nach Hamburg.
Dort beginnt sie ein neues Leben.
Sie sagt: „Ich fühle mich, als würde ich in der Luft schweben.
Ich habe keinen festen Boden unter den Füßen.
Ich weiß nicht, was aus mir wird.
Ich weiß nicht, wer ich bin.“
Trotzdem ist sie Deutschland sehr dankbar.
Sie sagt: „Deutschland hat uns aufgenommen.
Deutschland hat mich gerettet.“

Jetzt gibt es Hoffnung für Jegana.
Ihr Roman erscheint in deutscher Sprache.
Der Titel ist:
„Die Hände der Frauen in meiner Familie waren nicht zum Schreiben bestimmt.“

Der Roman erzählt die Geschichte einer jungen Frau.
Sie will nicht den strengen Regeln der Familie folgen.
Sie will ein eigenes Leben führen.
Sie will selbstständig sein.
Sie will unverheiratet bleiben.
Aber sie möchte ihre Kultur trotzdem nicht verlieren.

Wie viel hat die Geschichte mit Jegana selbst zu tun?
Sie sagt: „Die Verbindung zwischen mir und meiner Heldin ist sehr eng.
Vieles kenne ich aus meinem eigenen Leben.“
Der Roman ist auch sehr körperlich.
Er beschreibt Schönheits-Regeln in Aserbaidschan.
Zum Beispiel:
Wie die Haare der Frauen sein sollen.
Wie die Augenbrauen sein sollen.
Wie Nase, Mund und Bauch aussehen sollen.

Eine seltene Krankheit

Die Erzählerin im Roman hat eine Krankheit.
Sie hat Dystonie.
Das ist eine Krankheit der Nerven.
Dabei verkrampfen die Muskeln plötzlich.
Jegana selbst hat auch diese Krankheit.

Die Ärzte konnten Jegana lange nicht helfen.
Viele Jahre wussten sie nicht, was sie hat.
Sie sagten: „Das ist nur Stress.
Schlaf dich mal aus.
Dann geht es besser.“

Aber ein Arzt in Jekaterinburg nimmt sie ernst.
Er findet die richtige Diagnose.
Ein anderer Arzt setzt ihr ein Gerät in den Kopf.
Das Gerät gibt kleine Strom-Impulse.
Die Impulse helfen den Muskeln.
Seitdem kann Jegana wieder sprechen.
Sie kann normal gehen.
Sie kann wieder schreiben.

Wegen der Krankheit ist Jegana lange in Russland geblieben.
Sie hat sich gefragt:
Werde ich in einem anderen Land richtig behandelt?
Kann ich dort auf die Ärzte vertrauen?
Bekomme ich eine Kranken-Versicherung?
Heute fühlt sie sich im UKE in Hamburg gut betreut.
Sie sagt lachend:
„Es gibt drei wichtige Männer in meinem Leben.
Die beiden Ärzte in Russland.
Und jetzt mein neuer Arzt im UKE.“

Der freundliche Großvater aus Georgien

Auch im Roman gibt es einen besonderen Mann.
Er ist freundlich und sanft.
Das Vorbild ist ihr Großvater aus Georgien.
Jegana erzählt:
„In Osteuropa ist es schwer, ein Mann zu sein.
Männer müssen stark sein.
Sie müssen alles schaffen.
Sie stehen sehr unter Druck.“

„Aber mein Großvater war anders.
Er sagte: ‚Komm, wir gehen spazieren.
Wir schauen auf den Fluss.‘
Von ihm habe ich gelernt, die Welt zu lieben.
Von ihm habe ich gelernt:
Du darfst anders sein.
Du kannst freundlich sein.
Es ist nichts festgelegt.
Du hast immer eine Wahl.“

Mit Tieren oder mit Menschen

Draußen ist gutes Licht.
Jegana steht auf einer kleinen Straße mit Kopfsteinpflaster.
Autos fahren langsam an den Rand oder halten an.
Jegana stellt sich für Fotos mal so, mal so hin.
In der Nähe ist ein Hundesalon.
Durch die Scheibe sieht man einen Labradoodle.
Der Hund bekommt das dichte Fell geschnitten.

Jegana schaut interessiert zu.
Dann sagt sie:
„Vielleicht schlage ich das nächste Woche meinem Berater vom Arbeitsamt vor.
Mit freundlichen Tieren zu arbeiten, wäre schön.
Mit Menschen ist es manchmal schwierig.“

Übersetzung in leichte Sprache: Grone barrierefrei

Autor:in
Frank Keil
Frank Keil

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