Ersatzfreiheitsstrafe

Volle Gefängnisse: Rot-Grün will Gesetz ändern

Weil in Hamburgs Gefängnissen viele Menschen wegen geringer Delikte wie Schwarzfahren einsitzen, will die rot-grüne Regierungskoalition Abhilfe schaffen. Eine Gesetzesänderung soll die Zahl und Dauer von Ersatzfreiheitsstrafen verkürzen – mithilfe gemeinnütziger Arbeit.

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„Irgendwas in mir hat Klick gemacht“

Das Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“ wird zehn Jahre alt. Ein 25-Jähriger, dem die Knackis geholfen haben sein Leben zu ändern, erzählt seine Geschichte

(aus Hinz&Kunzt 192/Februar 2009)

Er hat andere beklaut, ausgeraubt und war ein ortsbekannter Schläger. Erst durch das Projekt Gefangene helfen Jugendlichen ist er zur Besinnung gekommen.

„Bloßes Wegsperren ist gefährlich!“

Hamburger Appell an Justizsenator Roger Kusch: Weitere Strafvollzugsexperten fordern den Erhalt des offenen Vollzugs und der Sozialtherapie

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Noch wäre es nicht zu spät: Die Sozialtherapeutischen Anstalten in Hamburg könnten noch an Ort und Stelle erhalten werden. Der offene Vollzug könnte wieder ausgedehnt werden. Hamburgs Knäste könnten dezentraler bleiben, statt sie alle zu Großgefängnissen zusammenzufassen. Und vielleicht könnten – mit dem nötigen Fingerspitzengefühl – die Mitarbeiter wieder mehr ins Boot geholt werden. Aber leider prallt die Kritik der 16 Strafvollzugsexperten, die sich in der April-Ausgabe mit dem Hamburger Appell an Roger Kusch richteten, an diesem ab. Der Justizsenator hüllt sich in Schweigen. Jedoch stellte Behördensprecher Ingo Wolfram eine Stellungnahme für die Juni-Ausgabe in Aussicht. Indessen haben sich zahlreiche Experten aus Hamburg und dem Bundesgebiet dem Hamburger Appell angeschlossen.

Klamotten aus dem Knast

„haeftling.de“ verkauft Designer-Mode – und viele profitieren davon

(aus Hinz&Kunzt 135/Mai 2004)

Per Internet lässt sich heutzutage alles verkaufen. Warum nicht auch schicke Kleidungsstücke, die Strafgefangene im Knast gefertigt haben, fragte sich der Berliner Werber Stephan Bohle und stellte gemeinsam mit der Justizvollzugsanstalt Tegel ein einzigartiges Projekt auf die Beine.

Der Diebstahl

Neun Stifte, die niemand vermisst. Ein Hinz&Kunzt-Verkäufer soll sie gestohlen haben. Jetzt drohen ihm zehn Monate Gefängnis.

(aus Hinz&Kunzt 134/April 2004)

Die neun Stifte, die vor der Richterin auf dem Tisch liegen, werden in allen deutschen Karstadt-Filialen verkauft. Sie kosten zusammen 62,05 Euro. Doch Hinz & Kunzt-Verkäufer Frank Huml soll sie nicht bezahlt, sondern gestohlen haben. So haben es Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelt – von Amts wegen, ohne dass der Kaufhaus-Konzern den Verlust angezeigt hätte.

Kurztrip in den Knast

Warum Ümit und Benny nie wieder eine Zelle von innen sehen wollen

(aus Hinz&Kunzt 133/März 2004)

Über einen langen Flur folgt Ümit dem Mann in der Uniform. Es geht durch Gänge hindurch, an vielen Türen vorbei. Vor einer bleibt der Mann stehen, nimmt seinen Schlüsselbund und schließt sie auf. Das ist Ümits Zelle. Er geht an dem Wärter vorbei in den schmalen Raum und sieht sich um. Da fällt auch schon die Tür ins Schloss. Ümit sitzt im Knast. Zumindest für fünf Minuten. Dann öffnet der Wärter die Zelle wieder, und der Nächste ist an der Reihe. Denn Ümit ist Teilnehmer des Projekts „Gefangene helfen Jugendlichen“.

Häftlinge sahen schwarz

Spezialisten-Team sucht Drogen im Knast – Protest von Santa-Fu-Insassen

(aus Hinz&Kunzt 131/Januar 2004)

Was geschah an einem Novemberabend in Zelle 334 in Santa Fu? Ein Gefangener hat Mitarbeiter der „Schwarzen Gang“ angezeigt, die in den Hafträumen nach Drogen suchen: Sie hätten ihn misshandelt. Das Strafvollzugsamt schließt solche Vorfälle aus.

26. November, kurz nach 22 Uhr. Lärm auf der Station C III in Santa Fu, dem Gefängnis für schwere Straftäter im Stadtteil Fuhlsbüttel. Die Revisionsgruppe des Strafvollzugsamtes, die auf die Drogensuche im Knast spezialisiert ist, hat sich die Zelle 334 vorgenommen. In den Hafträumen gegenüber gelingt es zwei Gefangenen, die Gucklöcher in ihren Türen zu öffnen. Der Häftling aus Zelle 334, so berichten die beiden später, habe auf dem Boden gelegen, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Ein Beamter der Revisionsgruppe habe auf ihm gekniet, ein anderer habe mindestens zwei Mal zugeschlagen. Als die Beamten außerdem die fixierten Arme hochgerissen hätten, habe der wehrlose Mann vor Schmerz geschrien.

Diese Beobachtungen sind in Eidesstattlichen Versicherungen niedergelegt. Decken sie ein schweres Vergehen von Vollzugsmitarbeitern auf? Oder wollen Gefangene die Revisionsgruppe in Verruf bringen, die erfolgreich gegen den Drogenhandel im Gefängnis vorgeht? Die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass gegen zwei Beamte eine Anzeige wegen Körperverletzung eingegangen sei. Sprecher Rüdiger Bagger: „Die Ermittlungen laufen.“ Häftlinge in Santa Fu sammeln seit dem Vorfall Unterschriften, um „gegen die menschenverachtende und provozierende Vorgehensweise der Revisionsgruppe“ zu protestieren und sich „gegen jegliche Form von weiteren Übergriffen“ zu wehren. Bis Mitte Dezember hatten rund 50 Insassen unterschrieben.

Die Revisionsgruppe ist seit 1995 tätig. „Sie wird anstaltsübergreifend eingesetzt“, erklärt der stellvertretende Leiter des Strafvollzugsamtes, Hans-Jürgen Kamp. Jeder der zwölf Beamten führt einen Rauschgiftspürhund mit sich und ist geschult im Erkennen von Drogen. „Das Gesetz schreibt vor, Hafträume und Gefangene in Abständen zu durchsuchen“, sagt Kamp. In der Regel würden das die Beamten auf den Stationen übernehmen. Zusätzlich könnten die Anstalten die Spezialisten der Revisionsgruppe anfordern. „Sie sind rund um die Uhr tätig, also auch mal früh morgens oder nachts“, sagt Kamp. Die Gruppe habe keine Sonderrechte im Vergleich zu den Gefängnis-Mitarbeitern vor Ort.

Im vorvergangenen Jahr fanden die Spezialisten 1,5 Kilo Hasch, 50 Gramm Heroin und 36 Gramm Kokain – nach Einschätzung der Justizbehörde nur ein Bruchteil der Drogen, die in den Hamburger Gefängnissen gehandelt werden. Außerdem stellt die Revisionsgruppe immer wieder Messer, Schlagwerkzeuge und andere Gegenstände sicher, die als Waffe genutzt werden können, zum Beispiel spitz gefeilte Schraubenzieher.

Aktenkundig ist derzeit ein weiterer Vorwurf gegen die Revisoren, die wegen ihrer dunklen Schutzkleidung „Schwarze Gang“ genannt werden (wie die Drogenfahnder beim Zoll). Ein Santa-Fu-Häftling behauptet, zwei Beamte hätten ihm Rauschgift unterschieben wollen. Nach der Durchsuchung seiner Zelle hätten sie ihm einen durchsichtigen Beutel mit weißem Pulver vorgehalten. Der Gefangene bestritt den Besitz des Päckchens und sagte, er habe nie Drogen konsumiert. Einer der Beamten habe daraufhin geäußert: „Wir können das auch wieder verschwinden lassen, erzählen Sie uns, wo wir heute Abend noch Drogen finden können.“ Nach einer weiteren Drohung („Denken Sie genau nach, sonst finden wir hier öfter was“) sei die Durchsuchung beendet gewesen. Der Häftling erhob Dienstaufsichtsbeschwerde; von dem angeblichen Drogenfund hörte er nichts mehr.

Das Strafvollzugsamt weist die Vorwürfe entschieden zurück. „Ich schließe definitiv aus, dass Mitglieder der Revisionsgruppe Gefangene schlagen oder ihnen Rauschgift unterschieben könnten“, sagt Hans-Jürgen Kamp, der früher selbst Anstaltsleiter in Fuhlsbüttel war. „Für die persönliche Integrität der Mitarbeiter lege ich meine Hand ins Feuer.“ Kamp räumt ein, dass die Revisionsgruppe bei Gefangenen nicht unbedingt gut angesehen sei – aber gerade deswegen, weil sie bei den Durchsuchungen so erfolgreich sei. „Jeder Beschwerde gehen wir nach“, sagte er. „Sobald Vorwürfe strafrechtlich relevant sind, schalten wir auch von uns aus die Staatsanwaltschaft ein.“ Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Revisionsgruppe gebe es im Schnitt einmal im Monat, Strafanzeigen weit seltener. Kamp: „Mir ist aber kein Ermittlungsverfahren bekannt, das überhaupt zur Anklage geführt hätte.“

Die GAL-Abgeordnete Heike Opitz hat eine parlamentarische Anfrage gestellt, um Details zur Revisionsgruppe zu erfahren. Die Antwort lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Detlev Brockes