Bürgerinitiative „Rettet das Diekmoor“ : Kampf ums Grün

Gabriele Busch und Michael Heering wollen ihre Kleingartensiedlung retten. Foto: Mauricio Bustamante

Am Langenhorner Diekmoor will die Stadt mindestens 700 Wohnungen bauen, auf Kosten der Natur. Dabei gibt es Alternativen, meint eine Initiative – und leistet Widerstand.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Wenn Michael Heering zeigen will, was schiefläuft in Hamburgs Wohnungspolitik, lädt der Mann mit der schwarz umrandeten Brille und dem Dreitagebart zur Radtour durch seinen Stadtteil. Wenige Meter entfernt von der U-Bahn-Station Langenhorn-Markt stoppt der 53-Jährige zum ersten Mal. An der Tangstedter Landstraße wartet zwischen mehrstöckigen Bürobauten ein großes Areal auf Nutzung: die ehemalige Deutschlandzentrale des Autoverleihers Europcar.

Seit mehr als zwei Jahren steht der Komplex inklusive weitläufigem Parkplatz leer. Die Fläche gehört einer Grundstücksgesellschaft, die sie zum Kauf oder zur Miete anbietet. Die Stadt will hier weiter Gewerbe sehen. Michael Heering findet, sie sollte die Fläche kaufen: „Hier könnte man wunderbar bestimmt 250 Wohnungen bauen.“

Volksinitiative „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“

Die Bürgerinitiative Rettet das Diekmoor! hat nun auch eine Volksinitiative gestartet. Ihr Ziel: In Zukunft sollen alle Grünflächen in Hamburg, die größer als ein Hektar sind, nicht mehr vom Senat bebaut oder versiegelt werden dürfen. Weitere Infos zur Initiative gibt es hier.

Heering arbeitet als selbstständiger IT-Berater. In den vergangenen Monaten ist noch ein zweiter, ehrenamtlicher Job hinzugekommen: die Bürgerinitiative „Rettet das Diekmoor!“. Mindestens 700 Wohnungen will die Stadt in dem Landschaftsschutzgebiet im Norden Hamburgs bauen, dort, wo heute Menschen in ihren Kleingärten Ruhe finden und Pferde auf weitläufigen Koppeln grasen.

Auch Gabriele Busch müsste ihre 500-Quadratmeter-Parzelle aufgeben, im Tausch für eine kleinere irgendwo anders. Ist es das, was sie auf die Barrikaden treibt? „Natürlich wäre ich glücklich, wenn ich meinen Garten behalten kann“, sagt die 57-jährige Grafikerin, die in Eimsbüttel wohnt. „Aber mir geht es um mehr in dieser brisanten Zeit des Klimawandels. Ich habe für Grün gestimmt, seitdem ich wählen kann.“

Die Zukunft der Stadt

Glaubt man den Vorhersagen der Initiative, würde das umstrittene Großprojekt des Senats einen der letzten Biotopverbünde Hamburgs zerstören. Zwar sollen Moor und Wald laut Planung unberührt bleiben. Doch hätte der Wohnungsbau trotzdem weitreichende Folgen, so die Naturschützer:innen. Sickerflächen fürs Regenwasser gingen verloren, der Grundwasserspiegel würde sinken. Wege von Rehen und Füchsen würden zerschnitten, Rückzugsgebiete seltener Vögel und Insekten zerstört. Michael Heering zeigt auf seinem Smartphone eine Filmsequenz, die ein Reh auf dem Weg durch die Gärten zeigt: „Die fühlen sich bei uns richtig wohl.“

Kleingartenidyll am Diekmoor in Langenhorn. Foto: Mauricio Bustamante

Auch der BUND steht den Plänen kritisch gegenüber. Die Frage, die die Umweltschützer:innen aufwerfen, ist eine nach der Zukunft der Stadt: Müssen wir, weil dringend bezahlbarer Wohnraum benötigt wird, weitere wertvolle Grünflächen opfern? Oder ist es nicht höchste Zeit, Flächenfraß und Versiegelung zu stoppen und Stadtentwicklung neu zu denken? Nicht nur in Langenhorn melden Bürger:innen Zweifel an der Politik des Senats an. In Wilhelmsburg kämpft eine Initiative um den „wilden Wald“, der dem künftigen Spreehafenviertel weichen soll. In Oberbillwerder streiten sie für den Erhalt der Marschlandschaft. Und im Zentrum der Stadt, am Alsenplatz in Altona, geht es längst um jeden einzelnen Baum: 30 von ihnen sollen hier fallen für ein sechsstöckiges Studentenwohnheim – zum Unwillen von Anwohner:innen.

Alternativen zum Diekmoor

Dabei gibt es sie, die Alternativen, zumindest in Langenhorn, meint die Initiative „Rettet das Diekmoor“. Die Radtour führt in ein Gewerbegebiet, das wenige Meter vom bedrohten Grün entfernt liegt: den Oehleckerring. Ende der 1960er-Jahre wurden hier Handwerksbetriebe und mittelständische Unternehmen angesiedelt, seit vielen Jahren kommt es zu Leerständen. „Diese Gebäude könnte man schon mal fürs Wohnen umbauen oder abreißen“, sagt Heering. Das Gebiet sei weitläufig, ein- bis zweistöckig bebaut, biete viel Potenzial. „Von der Menge her könnte man hier locker das bauen, was bei uns geplant ist.“ Mitstreiterin Gabriele Busch ergänzt: „Und das ist alles schon versiegelt!“ Auch von dieser Idee hält das Bezirksamt Nord wenig. Der Oehleckerring sei „in seiner Funktion als Gewerbegebiet nicht geeignet“ für Wohnungsbau, erklärt eine Sprecherin.

„ Gerade für uns Grüne ist es schwierig, wenn Bäume gefällt werden, aber…“– Timo Kranz, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bezirk Nord

Hamburger Grünen-Politiker:innen sind derzeit nicht zu beneiden: Wie verkauft man etwas, das die Seele der Partei zu verraten scheint? Einer Partei, die im Bezirk Nord auch noch stärkste Kraft ist und den Bezirksamtsleiter stellt? „Gerade für uns Grüne ist es schwierig, wenn Bäume gefällt werden“, sagt der Fraktionsvorsitzende Timo Kranz. „Aber hier haben wir die Chance, ganz viel bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“ Weil die Fläche der Stadt gehört, kann sie hier auch frei bestimmen, was gebaut wird, erklärt der Bezirk. Mindestens 60 Prozent sollen gefördert sein, heißt es – das wären 420 Wohnungen. Doch wird sich die Stadt, wenn in frühestens fünf Jahren Vermarktung und Bau starten, an ihr Versprechen erinnern?

Auf diesem Stück Natur könnten bald Sozialwohnungen stehen. Foto: Mauricio Bustamante

Die Mitglieder der Initiative sind skeptisch. Die Radtour führt zur Wulffschen Siedlung – kleine Perle der Architekturgeschichte, große Sünde der Politik. Rund 550 kleinere Wohnungen sollen hier in den kommenden Jahren abgerissen werden, für den Bau von 700 größeren. Schon darüber ließe sich streiten, auch wenn sich das erst einmal nicht schlecht anhört. Der Skandal ist jedoch ein anderer. Mithilfe eines juristischen Kniffs hat der Bauherr die Stadt ausgetrickst: Nur 90, also nicht mal zehn Prozent der Neubauten werden Sozialwohnungen. Im Ergebnis wird also preiswerter Wohnraum vernichtet – damit sich ein Investor die Taschen füllen kann.

Gebetsmühlenartig wiederholen Politiker:innen der Rathausfraktionen ihr Mantra, Hamburg brauche 10.000 neue Wohnungen pro Jahr. Kürzlich hat der Senat sein Bündnis mit der Wohnungswirtschaft erneuert und die eigene Messlatte etwas höher gehängt. Statt eines Drittels sollen künftig 35 Prozent aller Neubauten Sozialwohnungen werden. Ein schönes Versprechen: Tatsächlich sind seit 2011 nur 28 Prozent aller neu entstandenen Wohnungen preisgebundene geworden. Anders gesagt: Drei von vier sind teure frei finanzierte oder Eigentumswohnungen.

Vorhandene Flächen nutzen

„ Ich finde es unglücklich, dass etwa am Diekmoor soziale gegen ökologische Belange ausgespielt werden.“– Jörg Knieling, Professor für Stadtplanung und Regionalentwicklung

„Warum macht man das, außer um das internationale Immobilienkapital zu bedienen?“, fragt Jörg Knieling. Der Professor für Stadtplanung und Regionalentwicklung forscht seit vielen Jahren an der Hafen City Universität – und fordert einen Kurswechsel in Hamburg: „Ich finde es unglücklich, dass etwa am Diekmoor soziale gegen ökologische Belange ausgespielt werden.“ Die Stadt müsse viel häufiger bereits versiegelte Flächen nutzen und nicht Grünflächen bebauen. „Das ist stellenweise zwar aufwendiger und dauert länger, doch geht dafür kein Grün verloren.“ Ein gelungenes Beispiel sei der Kleine Grasbrook. Hier wird auf altem Hafengebiet eine Mischung aus Wohnen und Gewerbe entstehen. Welche Möglichkeiten der Asphalt in der Stadt bietet, zeige eine Studie aus Kopenhagen. 20 Prozent der Verkehrsflächen dort, etwa Straßen und Parkplätze, sind nicht erforderlich, sodass die Stadt sie entsiegeln kann – ein Potenzial auch für den Wohnungsbau.

Alternativen zur Bebauung von Naturräumen: brachliegende Gewerbeflächen wie die
Dächer von Discountern. Foto: Mauricio Bustamante

Ein Musterbeispiel für die Zukunft könnte das Programm „LÜDIA“ sein, das der Bezirk Nord aufgelegt hat. Er will Discounter ermutigen, umweltfreundlich auf Dächern und Parkflächen ihrer Supermärkte Wohnraum zu schaffen. Hört sich gut an, läuft aber noch nicht. Bislang sei kein Projekt in Aussicht, so das Bezirksamt: „Der Zeitraum von Planung bis Umsetzung dauert in der Regel einige Jahre.“ Umweltschützer Heering zeigt einen Neubau an der Langenhorner Chaussee, der neben einer Discounterfiliale errichtet worden ist. „Hätte man hier auch den Supermarkt und den Parkplatz überbaut, wären viel mehr Wohnungen möglich gewesen.“

Sind die Würfel am Diekmoor gefallen? Ein Bürgerbegehren gegen das Großprojekt ist nicht mehr möglich, nachdem der Senat ihm „gesamtstädtische Bedeutung“ zugesprochen hat angesichts der wenigen freien Flächen, die es noch gibt. „Bei der Frage, was und wie gebaut wird, gibt es aber noch ganz viel Gestaltungsspielraum“, wirbt der Grüne Kranz. Wie die Beteiligung konkret aussehen wird, weiß er noch nicht. „Das wird erst erarbeitet.“

Für die Leute von „Rettet das Diekmoor!“ sind solch vage Ansagen kein Angebot. Sie werden prüfen, wie sie das Projekt mit rechtlichen Schritten stoppen können, sagt Michael Heering. Die Initiative fordert, alle Hamburger:innen zur Zukunft des Diekmoors zu befragen: „Ich bin mir sicher, dass das Ergebnis eindeutig wäre – zu unseren Gunsten.“ Mitstreiterin Gabriele Busch sagt, sie wolle nicht für Fehler des Senats verantwortlich gemacht werden: „Wir wissen, dass in Hamburg bezahlbare Wohnungen fehlen. Aber ich finde es unmöglich, uns damit mundtot machen zu wollen.“

Artikel aus der Ausgabe:

Ideen für die Stadt im Klimawandel

Wie Hamburg zur Schwammstadt werden kann, um den Klimawandel besser zu verkraften, was die Bäume an unseren Straßen damit zu tun haben und wieso trotzdem weiter Grünflächen für Wohnungsbau geopfert werden. Außerdem: Erinnern an Zwangsarbeit im Hafen, Beschwerden über Diskriminierung im Jobcenter und ein Gespräch mit Harald Welzer über Utopie.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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