Ina Müller im Interview : „Ich bin moderater geworden“

Lacht liebend gern – auch über sich selbst: Sängerin, Moderatorin, Entertainerin und Wahl-Hamburgerin Ina Müller. Foto: Sandra Ludewig.

Laut, hibbelig und immer einen lockeren Spruch auf den Lippen: So kennt man Ina Müller. Doch die Entertainerin kann auch anders: leise, entspannt und nachdenklich. Ihren 53. Geburtstag feiert sie mit zwei Konzerten im Stadtpark – und unterstützt damit auch Hinz&Kunzt.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Hinz&Kunzt: Ina, weißt du noch, was die Blut-Hirn-Schranke ist?

INA MÜLLER: Das Wort kommt mir bekannt vor, aber das muss schon lange her sein. Hat das was mit Männern und Frauen zu tun? Oder mit Alkohol?

Das hat mit deiner früheren Ausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen Assistentin (PTA) zu tun. Eine typische Prüfungsfrage.

Daher! Dann ist die Blut-Hirn-Schranke bestimmt eine permeable Membran, eine leicht durchlässige Schranke in der Gehirnwand. Bei mir blieb eher die Vasopressin-Hemmung hängen. Vasopressin ist ein Hormon, das für den Wasserrückfluss zuständig ist. Sobald du säufst, geht das Wasser nicht zurück in den Körper. Dadurch hast du am Morgen nach dem Trinken Brand wie eine Bergziege (lacht).

Bei deiner Arbeit als PTA in Apotheken hast du den Geruch dort sehr geliebt. Wie riecht denn die typische Apotheke?

Nach Trägerstoff, steifen gestärkten Kitteln und Vichy-Deospray! Nach Kaffee, Tabletten, Salben und Menthol. Ich wünsche mir, dass es den Geruch mal als Parfüm gibt, bevor die Apotheken alle weg sind.

Falls es nur noch Online-Apotheken gibt?

Das wäre ganz schlimm für mich. Ich liebäugele ja noch immer damit, wieder in die Apotheke zu gehen, wenn ich alles gesungen und gefilmt habe und alle Gäste da waren. Ich habe das wirklich gerne gemacht.

„Mit Zirkus, Dom und Karneval kannst du mich jagen“

Heute singst und moderierst du, nennst dich Entertainerin oder „altes Zirkuspferd“.

Ich sehe aus wie ein Zirkuspferd, fühle mich aber wie ein Zirkusdirektor (lacht). Wenn ich live auf der Bühne stehe, bin ich eher der Zirkusdirektor, der die Leute animiert zum Mitmachen, Aufstehen, Lachen und Mitsingen.

Warst du früher gern im Zirkus?

Überhaupt nicht! Da bin ich schon als Kind eingeschlafen.

Die Tiere fandest du nicht aufregend?

Ich hatte doch Tiere auf dem Bauernhof bei meinen Eltern. Ob da jetzt ein Kalb steht oder ein Pony. Wenn ich heute kleine Robben auf Helgoland am Strand liegen sehe, bewegt das mein Herz, aber eine Dressur in einem Zirkus hat mich noch nie begeistert. Oder Jahrmarkt, Karneval, Dom, der Kiez am Wochenende, das ist für mich einfach eine Qual.

Warum?

Ich habe neulich mal Asperger-Syndrom gegoogelt. Warum empfinde ich manchmal keine Freude an Dingen, an denen sich andere Menschen erfreuen?

Es ist schon lustig, wenn man bedenkt, dass du in der Unterhaltungsbranche arbeitest.

Ja, fast peinlich.

In einem aktuellen Song von dir heißt es „Ich bin die, die schnell mal auf die Nerven geht, Ich bin die, die brüllend auf ’m Tresen steht“. Ina Müller und laut, das scheint zusammenzugehören.

Ja, Ina Müller, die Kodderschnauze. Angeblich ist das lieb gemeint. Neulich stand irgendwo sogar Schnodderschnauze. Aber muss man sich als Frau mit über 50 Jahren immer noch so betiteln lassen? Ich spiele so schöne Konzerte und habe eine professionelle Band. Ich brülle ja nicht die ganze Zeit auf der Bühne herum, es geht bei mir auch um Inhalte. Ich singe auch traurige Balladen, bei denen ich sehen kann, dass die Leute Tränen in den Augen haben. Wenn dann das einzige Prädikat Kodderschnauze, oder noch schlimmer, Schnodderschnauze ist, dann ist das schon hart.

Mit lauten Frauen tut man sich in Deutschland immer noch schwer, siehe zuletzt Andrea Nahles.

Aber nur laut ist auch schwierig. Ich weiß, was sie will und warum sie es tut. Das ist dieses „Ich lass mich von euch Jungs nicht unterkriegen“, aber es lässt sie so unsicher wirken.

Männliche Politiker werden eher selten für ihr lautstarkes Auftreten kritisiert.

Die haben aber eine andere Stimmlage, die schneidet nicht so ins Ohr. Da musst du nicht den Fernseher leiser machen. Obwohl: Ich bin wahrscheinlich für viele Zuschauer bei „Inas Nacht“ auch zu laut.

Die drehen auch den Fernseher leiser?

Ja, ich glaube, die schalten um, wenn es zu laut wird. Ich war früher immer der Meinung, dass es direkt laut losgehen muss. Bis ich dann nach Jahren raus hatte: Das ist gar nicht so. Du kannst ganz leise mit einem schönen Song anfangen. Das hat sich in der Sendung in den vergangenen zwei Jahren etwas verändert. Ich bin moderater geworden.

Wenn du Ruhe suchst, gehst du in deine kleine Sauna zu Hause. Da hast du angeblich die besten Ideen.

Ja, weil da nichts ist. Das bringt mich zur Ruhe. Andere Menschen meditieren oder machen Yoga.

Du bist eine öffentliche Person. Kannst du dich in Hamburg frei bewegen?

Ich gehe selten zu öffentlichen Events in der Stadt, obwohl ich zu vielen eingeladen werde. Bei Preisverleihungen habe ich früher auch immer geguckt, wie kommt man hinten über die Küche rein? Jetzt kann man sagen: „Na, da hast du dir wohl den falschen Beruf ausgesucht!“ Aber ich mache meinen Beruf ja gerne! Nur dieses überbordende Selfie-Machen – puh!

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Lehnst du ab?

Immer öfter. Ich biete den Leuten an, sie  kurz zu drücken und ihnen in die Augen zu schauen, wenn ich dafür kein Selfie machen muss. Ich mag es einfach nicht. Ich bin ja nicht Knut, der Eisbär im Zoo, der wurde damals totfotografiert.

Du hast gesagt, du hast das Gefühl, dass du gerade ganz oben bist und es nun nur noch schlechter werden kann. Ängstigt dich das?

 

Nein, ich weiß, Karrieren sind immer wellenförmig, alles ist im Fluss. Das ist o.k., ich habe auch oft schon in meinem Leben mit Dingen aufgehört, mit meinem Job in der Apotheke oder mit Edda Schnittgard als Queen Bee (Kabarettund Musik-Duo, aktiv zwischen 1994–2005, die Red.).

Ina Müller live

Konzerte am Di, 24.7. (Karten erhältlich) und Mi, 25.7. (ausverkauft), Stadtpark Freilichtbühne, Saarlandstraße/Ecke Jahnring, 19 Uhr, 49,25 Euro.

Was bedeutet Versagen im Beruf für dich?

Als ich mit Queen Bee unterwegs war, hatte ich schwerste Panikattacken. Ich habe teilweise die letzte Zugabe gar nicht mehr geschafft. Ich konnte einfach nicht mehr. Bei einer Panikattacke brauchst du Bewegung, Luft, du stirbst eigentlich gerade, aber ich stand unbeweglich am Mikro und sang eine Ballade. Ich habe das irgendwann in den Griff gekriegt. Seitdem ich auf der Bühne genau das mache, was ich immer machen wollte. Ich habe ein Team um mich, das ich sehr mag. Das zeigt mir, die Panik kommt dann, wenn ich mich nicht wohlfühle.

„Ich lese keine Kommentare“

Manchmal meint man zu versagen, aber andere finden gar nichts auszusetzen.

Wenn man älter wird, lernt man zu sagen: „Leck mich, das war einfach ein guter Abend.“ Früher habe ich das  nicht zulassen können. Da saß ich oft weinend in der Garderobe und habe mit mir geschimpft. Ich war mein Leben lang so streng zu mir. Das möchte ich nicht mehr. Ich hinterfrage nicht mehr alles.

Hast du dich schon mal bei einem Kritiker beschwert?

Den Rest Würde noch verlieren und den Kritiker anrufen? Das ist ja peinlich. Nee, aber ich habe vor 20 Jahren mal eine sehr schlechte Kritik in der „Welt“ bekommen. Das ging mir an die Substanz. Da habe ich gemerkt, wie sehr einem das die Schere ins Gehirn treibt, wie man unsicher wird. Seitdem ist mir das nie wieder passiert, weil ich diese Kritiken nicht mehr lese. Ich lese auch keine Kommentare. Was soll mir eine Kritik von Bumsi_2000 denn sagen? Ich weiß selber, wann ich gut oder schlecht war.

„Obdachlosigkeit begegnet mir jeden Tag“

Du sagst, dass du kein Vorbild bist. Du spendest aber immer wieder Geld: für die Bahnhofsmission, die Sternenbrücke und nun auch für Hinz&Kunzt aus dem Konzert.

Ich finde die Arbeit von Hinz&Kunzt echt wichtig, und Obdachlosigkeit begegnet mir ja jeden Tag. Hinz&Kunzt fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, ein kleines Konzert für sie zu spielen, und ich sagte: „Klar, aber dann lass uns doch gleich ein großes machen.“ Ich würde mich gerne trauen, auch mal vor Ort zu helfen, aber das pack ich emotional nicht … noch nicht!

Erkennen dich Obdachlose und sprechen dich an?

Ja – und da bin ich manchmal überschwänglich und manchmal aber auch nicht. So wie die Obdachlosen auch manchmal freundlich sind und manchmal nicht. Neulich wollte ich einem alten Mann in Stuttgart, der total fertig aussah, Geld geben. Das hat er sehr unfreundlich abgelehnt.

Weil er kein Opfer sein wollte?

Ich weiß es nicht. Ich war nur überrascht, dass es mich so verletzt hat. Es fiel mir schwer, das zu respektieren. Aber so war es eben.

Autor:in
Simone Deckner
Simone Deckner
Simone Deckner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Kultur, Gesellschaft und Soziales. Seit 2011 arbeitet sie bei Hinz&Kunzt: sowohl online als auch fürs Heft.

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