Hamburger Hinterhöfe : Diese Orte der Kreativität und des Zusammenlebens sind bedroht

April-Ausgabe
Bedrohte Hinterhofidylle bei SillemsAlabim in Eimsbüttel: Viele Mietverträge der Hofgemeinschaft laufen aus. Foto: Dmitrij Leltschuk

Hinter vielen Fassaden in Hamburg blüht das Leben in Hinterhöfen: Dort leben und arbeiten viele Menschen, sind kreativ und gesellig. Doch manche der Höfe sind bedroht.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Eine Stadt – das ist weit mehr als ein bloßer Ort zum Wohnen, es ist ein Ort des Zusammenlebens. Und hinter so mancher trister Häuserfassade blüht in Hamburg das Leben in Hinterhöfen. Einige sind Treffpunkte für die Nachbarschaft, auf anderen haben Kunstschaffende günstige Ateliers gefunden, wieder andere sind Gewerbehöfe, auf denen sich Handwerksbetriebe angesiedelt haben. Doch diese Orte der Kreativität und des
Zusammenlebens sind keine Selbstverständlichkeit – immer wieder sind Höfe davon bedroht, verdrängt zu werden. Aber mehr als alle Worte sagen vielleicht auch die Bilder, die wir vor Ort gemacht haben. Bilder von einem bunten Stück Hamburg.

Sillemsalabim

Nadine Faulhaber kommt gerade an, sie hat um die Ecke noch schnell Kaffee besorgt. Vor ihrer Wohnungstür wartet zwischen Blumenkübeln eine verschüchterte Katze. „Die hab’ ich erst seit Kurzem, die ist gerade noch sehr zurückhaltend“, sagt sie lachend und bittet in ihre Wohnung. Seit 2006 gibt es die Künstler*innengemeinschaft im Hinterhof der Sillemstraße 48, wo auch Nadine Faulhabers Wohnung liegt. Insgesamt 16 Menschen wohnen oder arbeiten hier. Unter ihnen eine Illustratorin, Musikerinnen, ein Objektkünstler, Oldtimerschrauber, eine Familie. „Der Hof ist ein Zufluchtsort für uns. Er hat diese besondere Ruhe, diese ­Abgeschiedenheit vom trubeligen Stadttreiben“, sagt Nadine Faulhaber.

„Der Hof ist ein Zufluchtsort für uns.“– Nadine Faulhaber

Wie es mit dem Hof weitergeht ist ­momentan aber ungewiss. Die Mietver­träge vieler Mieter*innen sind im März ausgelaufen, andere enden noch in diesem Jahr. Lediglich Nadine Faulhaber hat zumindest noch bis 2026 einen Vertrag. Der Eigentümer, ein Hamburger Investor, will auf dem Gelände bauen, wie er gegenüber Hinz&Kunzt über ­eine Anwaltskanzlei bestätigt. Allerdings plane er bezahlbare Wohnungen für Familien und keine Luxusobjekte, wie er betont. Mittlerweile sind noch andere Mieter*innen, Renata Palekcic, Till Schwieker und Till Haupt, zum Gespräch in Nadine Faulhabers Wohnung gekommen. „Zu Beginn waren der Hof und die umliegenden Ateliers eine Industriebrache“, erinnert sich Till Haupt: „Vor vielen Jahren war hier ein Postamt, später dann ein Schrottplatz. Die Künstler*innen haben viel Arbeit in den Hof gesteckt, um ihn zu dem zu machen, was er ­heute ist.“ 

Aber was ist das Besondere am Hof? „Er steht für etwas“, sagt Till Haupt. Überall in der Stadt verschwänden Orte für Künstler*innen. Hinterhöfe wie der in der Sillemstraße seien ein Möglichkeitsraum, ein Symbol dafür, dass Stadt mehr heißt als Wohnfläche. Sie brauche Räume des Austauschs und des Zusammenlebens. Gerade erst war das mobile Kino „Flexibles Flimmern“ zu Gast, im Sommer veranstalten die Mieter*innen Hoffeste. Dafür, dass Wohnungen ­gebaut werden müssen, haben sie Verständnis: „Aber jeden Quadratmeter zuzubauen ist fatal und kann nicht rückgängig gemacht werden“, so Haupt: „Wenn die Oasen einmal weg sind, kommen sie nicht wieder.“

Viva la Bernie

Auf der Grenze zwischen Altona und St. Pauli, gleich hinter der Bernsteinbar, liegt die Hofgemeinschaft „Berni“. Hier haben sich auf dem Gelände einer alten Lagerfläche Handwerksbetriebe, ein Autoschrauber, eine Töpferwerkstatt und Musiker*innen wie Fettes Brot angesiedelt. Und auch Wohnungen gehören zu dem Hof. „Dieses Miteinander ist nicht selbstverständlich“, sagt Ralf Gauger, der ein Bauunternehmen auf dem Bernie-Gelände betreibt. Im Sommer finden hier Nachbarschaftsfeste statt, im Alltag sorgen die rund 120 Menschen, die auf dem Hof leben und arbeiten, für Betrieb.

„Wir bekommen unfassbare Zustimmung von der Öffentlichkeit.“– Ralf Gauger

Doch 2017 haben zwei Investoren, ihres Zeichens Deutschlandchefs eines internationalen Immobilienkonzerns, das Areal in der Bernstorffstraße 117 gekauft. Obwohl einer der Investoren auf Hinz&Kunzt-Nachfrage beteuert, dass alle Mieter*innen bleiben sollen, fürchten die, dass sie verdrängt werden könnten: „Aber wir bekommen unfassbare Zustimmung von der Öffentlichkeit und auch der Politik“, sagt Gauger. Auch durch eine städtebauliche Erhaltungsverordnung sind den beiden Investoren mittlerweile Grenzen gesetzt, und größere Umbauten auf dem Gelände müssten von den Behörden genehmigt werden.

Für eine langfristige Sicherheit haben sich die Mieter*innen aber zusammengeschlossen und wollen das Gelände zurückkaufen. „Wir wollen mit dem Hof nichts machen, was zu unserem persönlichen Vorteil ist, wir wollen ihn einfach so belassen“, sagt Gauger: „Es geht hier um ein Grundbedürfnis, das heißt Wohnen und vor allem sicheres Wohnen.“ Ihre bisherigen Angebote haben die Investoren aber abgelehnt. Die Mieter*innen wollen dennoch nicht aufgeben: „Wir waren schon immer eine Gemeinschaft, aber seit wir diesen Kampf führen, sind wir noch enger zusammengerückt.“

Gewerbehof Hagen

Etwa 80 Menschen arbeiten in den Backsteinbauten, die den Gewerbehof Hagen in Ottensen umsäumen. Zu den Betrieben, die sich hier über die Jahre angesiedelt haben, zählen eine Getriebewerkstatt, ein Gitarrenbauer, eine Metallwerkstatt, ein Motorradverkauf und auch der Verein Koala, in dessen Suppenküche „La Cantina“ Langzeitarbeitslose eine Beschäftigung und Nachbarn sowie Obdachlose mittags und abends eine warme Mahlzeit finden.

Die Gewerbetreibenden wie Metallbauer Jan Hempel genießen das Mit­einander: „Wenn mir etwas fehlt, gehe ich zu dem Kollegen, der mir den richtigen Schraubenschlüssel leiht, das ist großartig.“

„Das ist ’ne schöne bunte Mischung hier auf dem Gewerbehof.“– Jan Hempel

Doch auch der Gewerbehof Hagen und damit die Existenzen der Mieter*innen sind bedroht. Denn die Hofzufahrt gehört zum Nachbargrundstück. Weil die unterkellerte Einfahrt offenbar einsturzgefährdet ist, wurde sie vom Baudezernat für Fahrzeuge geschlossen und von den neuen Eigentümer*innen, einem Ehepaar, das im Nachbarhaus unter anderem Ferienwohnungen vermietet, mit einem Betonklotz versperrt. Sie wollen, dass der Eigentümer des ­Gewerbehofs eine eigene Einfahrt baut – mitten durch das vorhandene Gebäude. Der würde gerne die bestehende Einfahrt instandsetzen. Der Streit wird vor Gericht ausgetragen.

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Vor allem für die Kfz-­Getriebewerkstatt sei der Betonklotz ein Riesenproblem, erzählt Gitarrenbauer Robin König. Für die Mieter, die von der versperrten Zufahrt weniger stark betroffen sind, sei es vor allem die Unsicherheit, die an den Nerven zehre. Sie sorgen sich, dass ihr Vermieter im Streit irgendwann das Handtuch wirft und den Hof verkauft – mit nicht absehbaren Folgen für die Mieter*innen. Sie haben sich zusammen­geschlossen und versuchen gemeinsam, dafür zu ­sorgen, dass der Hof erhalten bleibt.

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Artikel aus der Ausgabe:

„Lasst euch nicht unterkriegen!“

Das erste Mal erscheint Hinz&Kunzt im April nur digital. Aus dem Inhalt: Was Corona für Obdachlose bedeutet, wieso Hamburger Hinterhöfe bedroht sind, was aus der Harburger Likörfabrik wird.

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Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Studium der Politikwissenschaft in Hamburg und Leipzig. Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.