Audiyou-Wettbewerb : Coras Kopfkino

Was kann passieren, wenn man nirgendwo mehr einen Platz zum Leben findet? Audiyou-Gewinnerin Cora hat sich dazu Gedanken gemacht. Und nicht nur die Jury mit ihrer Geschichte schwer beeindruckt.

(aus Hinz&Kunzt 233/Juli 2012)

Keine heile Welt: Coras Geschichte handelt vom Schicksal eines Obdachlosen im Winter.

„Dit gibs ja nich’, dit is ja der Hammer, wa“, sagt Spinne im breiten Berlinerisch. Der Mann, der bei Hinz&Kunzt am Kaffeetresen steht, hat Tattoos im Gesicht, eine Stimme wie ein Reibeisen und schon viel gesehen im Leben. So jemanden kann man nur schwer beeindrucken. An diesem Nachmittag aber ist Spinne beeindruckt. Sogar sehr. Schuld daran ist ­Cora, 14 Jahre alt, Schülerin der Stadtteilschule Bahrenfeld, Gewinnerin des ersten Preises beim Audio-Wettbewerb von Hinz&Kunzt und Audiyou. Was Spinne und die Jury des Wettbewerbs so beeindruckt hat, ist die Geschichte, die Cora eingereicht hat. In diesem Jahr machten sich die Schüler Gedanken zum Motto: „Miteinander hören: Wer Wie Was Wohnen“. Die Form konnten die Teilnehmer frei wählen: Hörspiele, Interviews, Gedichte, Lieder oder einfach nur Freestyle war möglich.

Coras Geschichte ist zwar kaum drei Minuten lang – aber ihr Nachhall dauert lang. „Keiner will mich“, heißt sie. Das klingt nach Ärger. Und tiefer Traurigkeit. Wenn einen keiner will, was will man dann noch auf der Welt? Cora wirft die Hörer mit dem ersten Satz direkt in die kommende Misere. Mit fester Stimme trägt sie in Ich-Form die Geschichte vor: „Mit 14 fing ich an, regelmäßig die Schule zu schwänzen.“

Mit 17 jagen die Eltern Coras Antihelden aus dem Haus. Seitdem muss die Straße als ­Zuhause herhalten. Arbeit gibt es keine. „Die Leute wollen einfach niemanden mit meinem Lebenslauf.“ Als Pfandflaschensammler und Bettler schlägt er sich durch, bis eine Bewerbung als Plakathalter angenommen wird. „Jetzt reicht mein Geld für eine WG!“ Doch niemand will einen Obdachlosen als Mitbewohner. Und dann kommt der Winter … Coras Geschichte hat kein Happy End, im Gegenteil: „Dieser Winter forderte mehrere Opfer. Dieser Winter forderte unter anderem mich.“ Jurorin Annika Sepeuer sagt: „Das ist ganz berührend geschrieben. Bei diesem Beitrag entsteht Kino im Kopf. Das ist es, was wir uns wünschen.“

Was nicht nur Spinne sich fragt: Wie kann sich ein 14-jähriges Mädchen so gut in einen erwachsenen Obdachlosen einfühlen? Seine Ängste erahnen, seine Demütigungen nachempfinden? Cora zuckt kurz mit den Schultern. Und sagt dann, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, dass sie sich einfach sehr gewundert habe. Darüber, dass jedes Jahr die Zeitungen melden, dass wieder ein ­Obdachloser im Winter erfroren sei. „Da habe ich gedacht, da muss doch noch mehr drüber erzählt werden. Da steht immer nur so wenig.“ Außerdem hatte ihr eine Freundin von einem Obdachlosen erzählt, an dem sie jeden Tag auf dem Weg zur Schule vorbeigegangen sei. Eines Tages war er plötzlich verschwunden.

Ursprünglich wollte sich die ganze Klasse bei Audiyou beteiligen. „Aber dann hat außer mir niemand mitgemacht“, sagt sie. Trotzdem war es nicht leicht, die Geschichte vorzutragen und sich dabei gleichzeitig aufzunehmen. „Das Aufnehmen war eine Katastrophe. Ich habe bestimmt 20 Versuche ­gebraucht. Am Ende konnte ich es auswendig“, sagt Cora.

Wird es denn künftig noch mehr Audiobeiträge von ihr geben? Jetzt, wo sie bei dem Wettbewerb das digitale Equipment dazu gewonnen hat? „Puh, ich weiß es nicht“, sagt sie. Sie hat ja noch so viele andere Sachen, die sie interessieren. Und die ordentlich Zeit in Anspruch nehmen. Vor allen Dingen eins: Sport. Die 14-Jährige schwimmt nicht nur regelmäßig, sondern macht auch Judo und Selbstverteidigung. Und dann ist da ja noch ihr Yorkshireterrier, um den sich die Schülerin kümmert. Über ihren ersten Preis aber freut Cora sich sehr, ­„gerechnet habe ich damit nicht“. Wenn Spinne das hören würde, er wäre beeindruckt.

Der Wettbewerb und die Gewinner

Bereits zum dritten Mal haben die Internet-Plattform Audiyou und Hinz&Kunzt Schüler um selbst gemachte Audiobeiträge gebeten. Ganze Klassen (Stufe sechs bis acht) haben mitgemacht, aber auch einzelne Schüler und Schülerinnen wie Gewinnerin Cora. Insgesamt gab es 35 Beiträge. Die Jury bestand aus Hörspiel­sprecher Sascha Draeger, Radiojournalistin Annika Sepeuer, Lehrerin Regina Grabbet und Hinz&Künztler Reiner Rühmke.

Platz zwei wurde zwei Mal vergeben, beide Male an Teilnehmer der Gesamtschule Alter Teichweg für „Der obdachlose Traum“ und „Verschiedene Welten“, die vom Leben zwischen Arm und Reich erzählen.

Auch Platz drei gab es zwei Mal: Er ging an die Gretel-Bergmann-Schule für „Der alte Mann“. Dieser verliert wegen Alkohol erst seine Frau und dann die Hoffnung. In „Das Leben nimmt seinen Lauf“ von der Stadtteilschule ­Eidelstedt muss ein Mann nach einem Unfall sein Leben neu ordnen. Zudem gab es Sonderpreise für Hörspiel („Das verlassene Haus“ von der Stadtteilschule Walddörfer), Musik („Hört gut zu“ von der Schule Stübenhofer Weg) und Technik („Generationenübergreifend wohnen“ von den Geschwistern Jurek und Antka). Alle Teilnehmer erhielten eine Urkunde.

Ein herzlicher Dank geht an die Sponsoren Sound Service GmbH und Diesterweg Verlag für die Bereitstellung der Preise und an die ­Audiyou-Macherin Stephanie Landa.

Text: Simone Deckner
Foto: Kathrin Brunnhofer 

Mehr über Audiyou im Internet unter www.audiyou.de
Gewinnerbeiträge anhören unter www.hinzundkunzt.de/audiyou2012