Spitzenköche für Hobbyköche

Johann Lafer und Co. haben Rezepte gestiftet, um mit einem Kochbuch Kindern in Malawi zu helfen.

Wir von Hinz&Kunzt sind ja große Koch- und Köchefans (siehe unsere drei Sonderhefte Hamburger KochKunzt, Hamburger Schokoladenseiten und Hamburger Naturkost)

TNT Post Kochbuch Spitzenköche für Hobbyköche_TitelseiteDeswegen finden wir diese Idee gut: „Spitzenköche für Hobbyköche“ – ein Kochbuch mit 52 Rezepte aus aller Welt von Meisterköchen wie Johann Lafer, Alfons Schuhbeck und Steffen Henssler oder Molekularmeister Ferran Adria.

Der Erlös aus dem Verkauf der Bücher geht an das UN World Food Programme. Pro verkauftem Buch können in Malawi 40 Mahlzeiten für Kinder zubereitet werden.

Das Kochbuch gibt es exklusiv und versandkostenfrei im Internet bei www.buecher.de und www.spitzenkoeche.org für 9,95 Euro.

Mütter hinter Gittern

Richter kritisiert harten Kurs im Strafvollzug

(aus Hinz&Kunzt 118/Dezember 220)

Hochschwangere kommen wegen kleiner Delikte ins Gefängnis – und müssen während der Haft entbinden. Junge Mütter, die Geldstrafen nicht bezahlt haben, werden von ihren Babys getrennt und eingesperrt. Horst Becker, Vorsitzender Richter am Landgericht und ehemaliger Leiter der Gnadenabteilung, hält diese neue Praxis in Hamburg für unangemessen und herzlos.

Marianne K.* hatte sich gefreut auf ihr Baby. Trotz allem. Denn die junge Frau ist drogenabhängig. Sie wird substituiert, kann aber noch nicht ohne eine Zusatzdroge leben. Aber sie hat Unterstützung: vom Jugendamt und von IGLU, die sich um drogenabhängige Mütter und ihre Kinder kümmern. Für die Zeit nach der Geburt war alles geplant. Das Baby sollte in einem Kinderschutzhaus leben, Marianne in der Nähe. Sie wollte es immer besuchen, bis sie soweit wäre, sich alleine um ihr Kind zu kümmern.

Auch Bea W.* ist drogenabhängig und wird substituiert. Auch sie entband im Oktober. IGLU und das Jugendamt halten sie für so stabil, dass sie – betreut – mit ihrem Baby zusammenleben kann.

Die Kinder kamen – wie häufig bei drogenabhängigen Müttern – zu früh auf die Welt und litten unter Entzugserscheinungen. Im Kinderkrankenhaus Altona, das spezialisiert ist auf diese Symptome, mussten sie stationär behandelt werden. Die Mütter besuchten sie. Eine Phase, die für die Mutter-Kind- Bindung entscheidend ist.

Noch in dieser Zeit wurden beide Frauen bei einer Personenkontrolle festgenommen. Gegen beide lag ein Haftbefehl vor – weil sie Geldstrafen nicht bezahlt hatten. Nicht bezahlen konnten. Obwohl sie frisch entbunden hatten und obwohl ihre Babys noch im Krankenhaus waren, wurden sie im Oktober – nur wenige Tage nacheinander – ins Untersuchungsgefängnis gebracht.

Inzwischen sind beide Frauen in den Frauenknast Hahnöfersand überstellt worden. Noch im UG stellten sie ein Gnadengesuch, die erst Ende November positiv entschieden wurden.

„Ich kann mich nicht entsinnen, dass eine Frau, deren Baby bei uns stationär behandelt wurde, einfach verhaftet worden wäre“, sagt Dr. Michael Bentfeld vom Kinderkrankenhaus Altona. Schließlich sei man doch dabei gewesen, gemeinsam Perspektiven zu entwickeln, auch wenn die Situation an sich schon schwierig sei.

Fast zeitgleich wurden drei hochschwangere Frauen in Untersuchungshaft genommen. Während ihrer Haftzeit entbanden sie und saßen dann mit ihren Babys im Knast. Eine von ihnen war auf frischer Tat beim Dealen erwischt worden, die andere hatte wiederholt Diebstähle begangen. Eine konnte ebenfalls ihre Geldstrafe nicht bezahlen, wie Kai Nitschke, Sprecher der Justizbehörde, bestätigte. Weil sie keinen festen Wohnsitz hatten, bestand nach Meinung des Haftrichters Fluchtgefahr.

Regelrecht „gefährlich“ findet IGLU-Mitarbeiterin Birgit Meyer die Situation der Frauen, die während ihrer Untersuchungshaftzeit entbunden haben und ihre Babys mit in die Zelle nehmen durften. „Natürlich ist das besser, als von den Babys getrennt zu werden“, sagt sie. „Aber die Behandlung von Säuglingen, die einen Entzug durchmachen, erfordert ganz besondere Bedingungen.“

Immerhin so besonders, dass es in Hamburg nur drei Kliniken gibt, die auf diese Behandlung spezialisiert sind, bestätigt Dr. Bentfeld. „Die Babys sind sehr empfindlich. Sie brauchen aufwändige medikamentöse und pflegerische Betreuung. Das kostet sehr viel Kraft“, so der Arzt. „Bis hin zu den Lichtverhältnissen muss alles stimmen – und sie brauchen viel Ruhe.“

„Ich erwarte ja gar nicht, dass den Frauen ihre Strafe erlassen wird, aber man könnte sie doch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben“, so IGLU-Mitarbeiterin Birgit Meyer.

Natürlich gab’s auch früher schon werdende Mütter im Knast. Nur ging man damals anders mit dem Problem um. „Selbstverständlich haben wir werdende Mütter vor der Entbindung entlassen, und selbstverständlich mussten werdende Mütter oder Mütter mit Kleinstkindern nicht in den Knast“, sagt Horst Becker, ehemaliger Leiter der Gnadenabteilung und der Sozialen Dienste der Justiz. Die Gnadengesuche seien innerhalb von ein bis drei Tagen, manchmal noch am selben Tag entschieden worden. „Wir haben immer eine Lösung gefunden, die sich am Wohl des Kindes orientiert hat, und zwar immer im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft und der Strafanstalt.“ In Hamburg habe die Gnadenabteilung übrigens nicht anders gehandelt als in anderen Bundesländern.

Worauf die Richter allerdings penibel achteten: „Dass Mutter und Kind nach der Strafunterbrechung oder der einstweiligen Einstellung der Strafvollstreckung intensiv sozialpädagogisch betreut werden.“ Wie heute auch habe es sich „meist um randständige Frauen“ gehandelt, die ihre Geldstrafen nicht zahlen konnten oder eine kurze Freiheitsstrafe wegen Bagatell- oder Beschaffungskriminalität verbüßen mussten.

Seine Entscheidungen habe er nie bereut. „Ich habe nie gehört, dass wir eine Fehlentscheidung getroffen haben“, sagt der 53-Jährige. Der jetzige Senat reagiere selbst in diesen Fällen mit gnadenloser Härte. „Dass jetzt bereits Kleinkinder zu Opfern der Strafvollstreckung werden, zeigt, wie wenig Herz der Senat für Kinder hat.“

Der jetzige Vorsitzende der Großen Strafkammer 7 ist froh, dass er im April die Leitung der Gnadenabteilung niedergelegt hat. „Ich konnte das alles nicht mehr mitmachen.“ Gnade, so seine Meinung, „gibt es in Hamburg nur noch auf dem Papier“.

Birgit Müller

* Name geändert

Einer für den anderen

Kabarettisten-Julklapp für Flüchtlingskinder

(aus Hinz&Kunzt 118/Dezemer2002)

Julklapp ist eine schöne Sache, weil es einen zwingt, sich ernsthaft mit seinen Mitmenschen zu beschäftigen. Man zieht einen Zettel, auf dem zum Beispiel der Name der Kollegin steht, und muss sich plötzlich fragen, worüber die sich zur Weihnachtsfeier denn wohl freuen würde. Dieser Gedanke inspirierte auch Lisa Politt von „Herrchens Frauchen“.

Gemeinsam mit einem Dutzend Kabarettisten-Kollegen veranstaltet sie in diesem Jahr eine Art Kunst-Julklapp. Im Vorfeld des Abends zieht beispielsweise der Sänger und Songwriter Eddy Winkelmann den Namen der legendären Prinzessin von Barmbek, Andrea Bongers, und muss ihr ein Lied schreiben, das sie dann vortragen kann. Frau Bongers wiederum könnte die heikle Aufgabe zufallen, dass sie ein Stück für den Polit-Kabarettisten Thomas Ebermann vorbereiten muss. „Ich mache alles, aber singen bestimmt nicht“, hat der, ebenso wie sein Kollege Rainer Trampert, schon mal vorsorglich angekündigt. Was er stattdessen zum Besten geben wird, wer welchen Zettel mit wel-chem Namen gezogen hat, und was sich Stefan Gwildis möglicher-weise für Gunter Schmidt ausgedacht hat, bleibt die Überraschung des Abends.

Fest steht, dass am Ende eine kabarettistische Revue mit dem Titel „Ein Stück in ihren Schuhen“ entstanden ist. Der Titel leitet sich von der alten Indianer-Weisheit ab: „Beurteile nie einen anderen, bevor Du nicht einen Tag in seinen Mokassins gelaufen bist.“ Das wollen die beteiligten Künstler nicht nur für ihre eigene Arbeit in Anspruch nehmen, sondern durchaus politisch verstanden wissen, denn mit dem Erlös ihrer Julklapp-Revue werden jugendliche Flüchtlinge in Hamburg unterstützt.

Wie es ist, in deren Schuhen zu laufen, kann sich vermutlich kaum jemand vorstellen: Unter traumatischen Bedingungen sind sie Krieg und Hungerkatastrophen entronnen, um dann, „getrennt von ihren Familien in einer Bürokratie zu landen, die ihnen misstrauisch und ablehnend begegnet“, sagt Gunter Schmidt von Herrchens Frauchen. Nicht nur, dass die Kinder ständig von Abschiebung bedroht sind, es fehle ihnen auch im Alltag an allem, was sonst als Selbstverständlich-keit im Leben eines Jugendlichen gilt: Bildung, ein sicheres Zuhause und ab und an eine neue Jeans.

Die unbegleiteten Flüchtlinge haben, sagt Gunther Schmidt, per Gesetz nur das Recht, zwei Jahre zur Schule zu gehen. „Für Schulbücher bekommen sie gerade mal 15 Euro pro Jahr.“ Auch eine Arbeitserlaubnis, die sie bräuchten, um eine Lehre zu machen, würden sie in der Regel nicht bekommen.

Im vergangenen Jahr haben „Herrchens Frauchen“ und ihre Kollegen mit einer Benefizaktion soviel Geld gesammelt, dass in der Jugend-wohnung der Flüchtlinge ein Computer mit Internetanschluss angeschafft werden konnte – oft die einzige Möglichkeit, mit der Heimat Kontakt aufzunehmen. Gerade jetzt, wo die Sparmaßnahmen im Bund und in der Hansestadt die Situation zusätzlich verschärfen, will „Ein Stück in ihren Schuhen“ nicht nur Geld locker machen, sondern auch dazu beitragen, dass man sich mal wieder ernsthaft mit seinen Mitmenschen beschäftigt.

Sigrun Matthiesen

Der Chef vom Weihnachtsmann

Hein Gas präsentiert: Menschen in der 2. Reihe

(aus Hinz&Kunzt 118/Dezember 2002)

Bambi, Oskar, Bundesverdienstkreuz – immer werden die ausgezeichnet, die sowieso schon im Rampenlicht stehen. In unserer Serie stellen wir „Menschen in der 2. Reihe“ vor. Diesmal: Weihnachtsmann Werner Killian.

Der Jüngste der Familie versteckt sich hinter seiner Mutter. Seit Wochen freut er sich auf den berühmten Besuch. Aber als der leibhaftig im Wohnzimmer steht, ist er für den Jungen nur ein fremder, bärtiger Mann, der zu allem Überfluss einen riesigen Sack aufhält. Dem großen Bruder ist es zu verdanken, dass es keine Tränen gibt. Der geht schon zur Schule und hat vor fast gar nichts mehr Angst. An seiner Hand traut sich der Jüngere hervor.

Der Weihnachtsmann, unter dessen weißen Brauen etwas zu junge Augen blitzen, schlägt sein „goldenes Himmelsbuch“ auf. Dort liest er, dass der Kleine zu viele Süßigkeiten isst. Mami lächelt zufrieden – als hätte sie selbst dafür gesorgt, dass der Hinweis ins Himmelsbuch aufgenommen wird. Eltern können grausam sein. Aber als die Geschenke aus dem Sack verteilt werden, ist sowieso alles egal. Der Gescholtene zieht sich in eine Ecke zurück, das Geschenkpapier fliegt in Fetzen durch die Luft, und der Weihnachtsmann ist komplett vergessen.

Nach ein paar Minuten drängt Papi, weil er nur für eine Viertelstunde bezahlt hat: „Der Weihnachtsmann muss gleich weiter, kommt doch noch mal her.“ Schließlich soll der Junior das Tannenbaumbild nicht umsonst gemalt haben. Der Bärtige bedankt sich, lehnt den Schnaps zum Aufwärmen ab – auch Rentierschlitten lenken sich nicht von allein – und ist wieder auf der Straße.

Weihnachtsmann Werner Killian muss sich sputen. Das nächste Kind wartet ein paar Straßen weiter. Die Adresse steht im Himmelsbuch, einem alten in Goldpapier eingeschlagenen Fotoalbum, Killians Tochter hat es mit ein paar Aufklebern verziert. Bei der Adresse ist auch vermerkt, wo vorm Haus die Eltern die Geschenke versteckt haben. Der Weihnachtsmann springt in seinen dunkelblauen Golf und reißt den Bart runter: „Der ist beim Autofahren zu warm, da beschlagen sofort die Scheiben. Aber man muss aufpassen, dass die Kinder nicht am Fenster stehen und das mitkriegen.“ Am 24. Dezember, dem stressigsten Tag im Jahr, fährt er manchmal einen heißen Reifen. Auch wenn die anderen Verkehrsteilnehmer den rasenden Santa Claus irritiert angucken.

Wie er flitzen an diesem Abend 20 weitere Weihnachtsmänner auf minutiös durchgeplanten Touren durch Hamburg. Killian hat sie eingestellt, als das „Weihnachtsmann-Geschäft“ vor ein paar Jahren zu boomen begann. Die „heiße Phase“ beginnt am Mittag. Killian hat einen großen Raum in der Nähe seiner Wohnung gemietet. Alles liegt hier voller Mäntel und Bärte, Rot und Weiß, wohin man schaut. Nur der „Glücksmantel“ vom Chef ist nicht mehr weiß, sondern rosa gefüttert. „Ich habe die Mäntel zum ersten Mal selbst gewaschen, und außgerechnet meiner verfärbt sich!“, ärgert er sich. Das Kostüm bedeutet ihm viel, er trägt es seit 15 Jahren bei jedem Auftritt.

Damals besuchte er nur ein paar Familien in Pinneberg. Heute steht er zwischen seinen 20 Weihnachtsmännern, die überall nördlich der Elbe auf Tour gehen. Seine Frau schminkt im Akkord: das Gesicht braun, die Wangen rot. Auf die Augenbrauen schmiert sie Deckweiß aus dem Farbenkasten der Tochter. Deckweiß verläuft nicht, egal wie viel geschwitzt wird.

Denn beim ersten Auftritt haben alle Lampenfieber, und viele sind zum ersten Mal dabei. Weil Killian seine Männer von der Uni rekrutiert, gehen sie oft nur einmal mit auf Tour. „Wenn ich im nächsten Jahr wieder anrufe, durchwandert der eine gerade eine Wüste, der nächste ist fertig mit dem Studium oder längst in eine andere WG gezogen, und keiner kann mir die Adresse sagen“, so Killian.

Eines fällt auf: Viele der Studenten, die sich hier in Weihnachtmänner verwandeln, sind türkischer Abstammung. Denn als Moslems müssen sie den Weihnachtstag nicht bei ihrer Familie verbringen. Außerdem ist Killian mit den Weihnachtsmännern vom Bosporus sehr zufrieden: „Die türkischen Männer können oft besser mit Kindern umgehen als die deutschen.“

Kurz vor 16 Uhr geht es los, die Weihnachtsmänner verlassen das Haus. Jeder wirft noch einen Blick auf die Zubehör-Check-Liste, die Killian an die Tür gepinnt hat („Bart? Sack? Himmelsbuch?“). Zu oft ist es vorgekommen, dass einer seiner Weihnachtsmänner ohne Sack mit Geschenken vor den Kindern stand.

Jetzt kann Killian nur noch hoffen, dass alles gut geht. Zwar muss vorher jeder seine „Weihnachtsmannschule“ durchlaufen, Videos von gelungenen Darbietungen ansehen und dem Chef ein paarmal den Weihnachtsmann vorspielen. Aber auf die eigentliche Herausforderung wird niemand vorbereitet: das Hamburger Familienleben, das zu Weihnachten an einem dünnen Faden hängt. Hinter jeder Haustür erwartet den Weihnachtsmann etwas anderes. Meist stehen Killian und seine Leute in geschmückten Wohnzimmern, vor herausgeputzten Familien und festlich gedeckten Tafeln.

Aber es ist auch schon vorgekommen, dass ein Vater im Unterhemd und mit einer Dose Bier in der Hand die Tür geöffnet hat. Oder die Mutter ohne Kinder da saß, weil ihr geschiedener Mann die zu Weihnachten nicht rausgerückt hat. Schwierig, da Feststimmung zu verbreiten.

Der Vortrag aus dem Himmelsbuch hat auch seine Tücken. Telefonisch wird mit den Eltern abgesprochen, was das Kind zu hören kriegt. Leicht ist es, wenn nur Kleinigkeiten beanstandet werden sollen: Geh früher zu Bett, schau nicht so viel fern, konzentrier dich mehr in der Schule. Aber manche Familien faxen mehrere Din-A-4 Seiten mit Unarten durch, bei denen eigene Erziehungsbemühungen scheitern. Killian macht nicht alles. Einem kleinen Jungen sollte er Grüße vom kürzlich verstorbenen Vater übermitteln. Da hat er sich geweigert.

Wehe, einer der Weihnachtsmänner verspätet sich. Dann steht in Killians Wohnung das Telefon nicht still. Und irgendeine Tour geht jedes Jahr schief. Ein Himmelsbuch bleibt liegen, der Sack wird vergessen, das Auto gibt den Geist auf. Oder der Verkehr macht der Zeitplanung einen Strich durch die Rechnung. Vor allem wenn es mal schneit.

„In vielen Familien ist Weihnachten genau durchgeplant. Erst kommen die Großeltern, dann geht’s in die Kirche, danach kommt der Weihnachtsmann, und dann wird gegessen. Da darf nichts durcheinander geraten“, so der 43-Jährige. Den wüsten Anrufen mit Kinderweinen im Hintergrund entgeht der Chef der Weihnachtsmänner, weil er selbst unterwegs ist. Bis er heimkommt, haben sich die Gemüter wieder beruhigt.

Den Spaß an der Arbeit hat Werner Killian nie verloren: „Wenn man ins Wohnzimmer kommt, steht man oft in einem richtigen Blitzlichgewitter, da fühlt man sich wie ein kleiner Star. Und alle freuen sich auf dich, das ist schon toll.“

Obwohl es der arbeitsreichste Tag im Jahr ist – mit seiner Tochter feiert er auch noch, „kurz, aber intensiv“. Sie ist sechs und glaubt an den Weihnachtsmann. Zwar weiß sie, dass ihr Vater ihm zur Hand geht, weil es so viel zu tun gibt. Aber der, der jedes Jahr bei der Bescherung zu ihr kommt, ist der Echte. Dafür hat sie den Beweis, schließlich sitzt Papa auf dem Sofa.

Marc-André Rüssau

(K)ein Tag wie jeder andere

Weihnachten auf der Platte

(aus Hinz&Kunzt 118/Dezember 2002)

Es wird wohl so sein wie immer am 24. Dezember. Morgens herrscht eine riesen Hektik in der City. Gegen Mittag verschwinden die Menschen. Ruhe senkt sich über die Straßen. Zurück bleiben die, die dort „wohnen“. Hinz & Künztler erzählen.

Für mich ist Weihnachten ein Tag wie jeder andere“, behauptet Motte. Und wie der 53-Jährige das so sagt, sieht er auf einmal irgendwie wehmütig aus. Klar, da kochen sein Kumpel Peter und er was Besonderes. Gulasch und Rotkohl beispielsweise, und klar, da wird der Platz vor C&A geschmückt mit einem Tannenzweig und Teelichtern. „Aber sonst“, Motte schüttelt entschieden den Kopf, „sonst ist alles wie immer.“

Babsi steht in der Küche ihrer Einzimmerwohnung in der Ritterstraße. Der Duft des Puters, der im Backofen schmort, breitet sich in der ganzen Wohnung aus. Die Hinz & Kunzt-Verkäuferin hat es geschafft. Seit drei Jahren hat die 47-Jährige wieder eine Wohnung. Mehr als fünf Jahre hat sie vorher zusammen mit ihrem Freund „Platte“ gemacht – vor dem Briefmarkengeschäft in der City. Babsi beobachtet den Puter, bereitet die Kartoffeln und das Rotkraut vor. Neben ihr steht eine Büchse Bier. Nicht die erste an diesem Morgen. „Ich bin schon froh, dass ich nur noch Bier trinke“, sagt sie. Auch an Weihnachten will sie das durchhalten. Ob sie’s schaffen wird? Mitte Dezember hat ihre Mutter Geburtstag. Da fährt Babsi immer zu ihr nach Bremen. Und von dem Moment an sitzt ihr die Familie im Nacken – mental. Ihre beiden Jungen sind Anfang 20. Mit dem Ältesten telefoniert sie – manchmal.

„Weihnachten ist dazu da, sich dicht zu saufen und die drei Tage schnell zu vergessen“, sagt Peter. Der 48-Jährige kommt vom Dorf, aus einer Großfamilie. Eigentlich, so hat der Katholik gelernt, war Weihnachten „das Fest der Besinnlichkeit und der Familie“. Wunderschön sei das gewesen. Mit Großeltern, Eltern und Geschwistern saßen sie rund um den Tisch. Peter lächelt. „Da wurde getafelt, nur vom Feinsten.“ Dann verdüstert sich sein Gesicht. Im Dezember 1999 starb seine Frau an Leukämie. „Dahingesiecht ist sie, überall diese Schläuche – da hab ich angefangen, mir die Kante zu geben.“ Peter macht eine wegwerfende Handbewegung. „Seitdem mache ich Platte, und seitdem hat Weihnachten keine Bedeutung mehr für mich.“ Um die bösen Gedanken zu verscheuchen, zeigt er auf Motte, mit dem er Platte macht. „Er kriegt ne Dose Bier und ich ne Flasche Schnaps.“ Peter lacht – eine Spur zu laut.

„Weihnachten ist das Fest der Heuchler“, sagt Rolf bitter. „Da gehen alle einmal im Jahr in die Kirche, und das wars.“ Natürlich kriegen auch Obdachlose an jenem Tag mehr als sonst. Oft sind es dieselben Menschen, die sonst grußlos an ihm vorübergehen, die ihn plötzlich ansprechen, ihm ein schönes Fest wünschen. Das verletzt Rolf. „Da ist plötzlich das Herz offen, sonst nicht.“ Zu viel will der 42-Jährige aber nicht über Weihnachten nachdenken. Das macht ihn traurig. Vier Kinder hat er. Kontakt hat er keinen mehr zu ihnen. Seine Stimme wird etwas weicher. „Früher haben wir zusammen gefeiert, richtig mit Gedichte aufsagen und allem drum und dran. Und wir sind in den Michel gegangen, wenn Heinz Rühmann dort gelesen hat.“

„Na ja“, sagt Motte und wiegt bedächtig den Kopf. „Weihnachten, das schlägt schon auf die Stimmung.“ Er will es gar nicht, aber plötzlich schieben sich andere Bilder vor sein inneres Auge. „Meine Frau“, sagt er und schluckt. „Der Tannenbaum – meine Töchter – wie sie fröhlich auf ihre Trommeln schlagen und um den Baum laufen.“ Vor zwölf Jahren starb seine Frau. Damals ging es mit ihm bergab. Seine Töchter sieht er kaum noch. Neulich war er kurz in Berlin zur Einschulung seiner Enkelin. Aber Weihnachten, da will er mit seiner Familie nichts zu tun haben. „Die leben ihr Leben, ich leb meins.“ Lieber den Kontakt nicht zu eng werden lassen. „Sie sollen nicht erfahren, dass ich auf der Straße lebe“, sagt Motte leise.

Der Puter ist fertig. Der Duft – einfach großartig. „Das Rezept stammt noch von meiner Omi“, sagt Babsi. Der Puter muss verpackt werden, die Kartoffeln, das Rotkraut. Die Soße darf nicht auslaufen. Jetzt aber schnell. Schließlich soll das Mahl warm auf die Platte kommen. Die Wahlverwandtschaft wartet schon: Motte, Peter, Rolf und die anderen. „Auch wenn ich jetzt eine Wohnung hab“, sagt sie. „Ich lass die doch nicht im Stich!“ Babsi lächelt, wenn sie an das Straßenmahl denkt. „Oft sind wir zehn Leute und mehr.“

Ganz egal ist Weihnachten ihm doch nicht, sagt Peter. Er hat sogar Einladungen. „Aber da fühle ich mich bloß geduldet.“ Auf der Straße dagegen ist er irgendwie zu Hause. „Wir sind ja auch so eine Art Großfamilie.“ Deshalb freut er sich auch schon auf Babsi und die anderen – und auf den Puter.

Die Kerze muss unbedingt angezündet werden, sagt Rolf. Nicht nur wegen der Feierlichkeit. „Für die gestorbenen Kollegen.“ Einen Moment lang schweigt er. „Besinnlichkeit auf Platte ist auch möglich. Zumindest solange man nicht allein ist. Und das sind wir ja zum Glück nicht.“

bim/abi/mar

Tanzen gegen die Armut

Jugendliche aus Kolumbien zum Workshop auf Kampnagel

(aus Hinz&Kunzt 117/November 2002)

Álvaro Restrepo ist Kolumbiens bekanntester Tänzer. Statt international Karriere zu machen, hat er sich entschlossen, Kinder und Jugendlichen aus Cartagenas Elendsviertel im zeitgenössischen Tanz zu unterrichten. Jetzt tritt ein Teil der Truppe auf Kampnagel auf.

Santiago wischt sich den Schweiß mit dem rechten Arm von der Stirn. Lächelnd nimmt er den Beifall der anderen entgegen, die ihn für sein Solo feiern. „Immer hatte ich Hunger“, heißt es da, und die Kette und der Bilderrahmen, mit denen er tanzt, sind Symbole für eine gefesselte Jugend. Eine Jugend, die sich nicht entfalten darf.

Santiago stammt aus Kolumbien, aus Cartagena de las Indias, und begann vor fünf Jahren, seinen eigenen Körper und dessen Ausdrucksfähigkeit zu entdecken. „Der Tanz hat mein Leben und mein Denken verändert“, sagt der 19-Jährige mit den kurzgeschorenen dunklen Locken. „Ich habe gelernt, nicht nur meinen eigenen, sondern auch den Körper der anderen zu respektieren.“

Keine Selbstverständlichkeit in einem von Bürgerkrieg, Selbstjustiz und Wirtschaftskrise geprägten Land. Und Cartagena, wo Santiago geboren ist, gilt landesweit als die Stadt mit der höchsten Flüchtlingsquote. Jeder siebte der rund 700.000 Einwohner ist auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in der Karibikstadt gestrandet – vor allem Frauen und Kinder, die sich oft ohne jede Hilfe eine neue Existenz aufbauen müssen.

Die meisten von ihnen leben im Barrio Nelson Mandela, dem riesigen Flüchtlingsviertel der Hafenstadt. Das Geld für die Schuluniform, die Hefte und Stifte ist da oft nicht drin. „In Nelson Mandela müssen viele Kinder zum Unterhalt der Familie beitragen“, erzählt Yorneis, ein Kollege von Santiago. „Sie verkaufen in den Straßen Essen oder Kaugummis.“ Respekt vor dem Körper ist da eher selten. Das Leben ist oft reiner Überlebenskampf – vor allem bei den Straßenkindern.

Diese Kinder und Jugendliche sind es, die das von Álvaro Restrepo gegründete Colegio del Cuerpo (Schule des Körpers) besuchen und dort zum Tanzen animiert werden. „Der gemeinsame Tanz ist wie eine Ruhepause von Elend und Angst für die Kinder“, sagt Santiago.

Das Colegio ist ein einzigartiges Projekt in Kolumbien und allein dem Engagement von Álvaro Restrepo zu verdanken. Der kleingewachsene Mann genießt einen exzellenten Ruf in der internationalen Tanzszene. Trotzdem hat er sich gegen eine Karriere und für den Aufbau seiner Schule entschieden. Für Restrepo kein Widerspruch, denn für ihn gehört „die soziale Arbeit zu den zentralen Aufgaben eines aktiven Künstlers“.

Schon als junger Mann arbeitete er in Bogotá mit Straßenkindern. Dann entdeckte er den Tanz, brach sein Studium der Philosophie und Literatur in Bogotá ab und studierte in New York zeitgenössischen Tanz. Doch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ließ den 44-Jährigen nie los, und als er 1991, nach zehn Jahren im Ausland, nach Kolumbien zurückkehrte, kam er mit dem festen Ziel, in Cartagena seine eigene Schule aufzubauen.

Einige Jahre sollte es allerdings noch dauern, bis der Traum in Erfüllung ging. Für die Anschubfinanzierung sorgte der Bürgermeister, für Räume eine private Stiftung, und über einen Kooperationsvertrag mit einer großen Schule, dem Colegio Inem, kamen die Schüler. „480 waren es am Anfang, das war 1997. Mit 90 von ihnen haben wir begonnen, systematisch zu arbeiten“, erinnert sich Wilfram Barrios, die rechte Hand Restrepos.

Aus nahezu allen Stadtvierteln Cartagenas kommen die insgesamt 20 Schüler, die nahezu alle seit fünf Jahren am Colegio zeitgenössischen Tanz lernen. Zu ihnen gehört auch Santiago, der von einer internationalen Tanzkarriere träumt und nur zu gern in Europa bei einer Kompanie anheuern würde. „Wenn ich professionell tanzen will, habe ich in Kolumbien keine Chance, denn moderner Tanz ist dort weitgehend unbekannt“, gibt sich Santiago realistisch.
Der ausdrucksstarke Tänzer stammt aus einer Mittelklassefamilie. Sein Vater ist Lithograph, die Mutter arbeitet als Verwaltungsangestellte im Gesundheitssystem. Damit kommt er aus besseren Verhältnissen als viele seiner Tanzkollegen aus der „Grupo Piloto Experimental“.

Yorneis stammt hingegen aus ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater ist Arbeiter, seine Mutter Hausfrau. Erst als sie eine Vorführung des Colegio besuchten, begriffen sie, was ihr Junge hier lernt und was es ihm bedeutet. „Vorher haben sie mich immer gefragt, ob ich heute Cumbia oder Vallenato getanzt habe“, sagt Yorneis lachend. Doch mit den beliebten kolumbianischen Populärtänzen hat der sympathische 16-Jährige genauso wenig am Hut wie die übrigen Mitglieder der Kompanie.

Rund 100 Kinder aus Nelson Mandela sind es, die einmal pro Woche gemeinsam mit Restrepo und seinen Schülern tanzen. Weitere 100 kommen aus anderen Armenvierteln der Stadt. „Es ist in einem Land wie Kolumbien besonders wichtig, den Körper als eigenes Territorium zu entdecken und zu entfalten. Inneren Frieden zu finden ist die Vorraussetzung, um Frieden innerhalb der Gesellschaft zu säen“, sagt der mager wirkende Mann mit der schmucklosen Nickelbrille.

Pasión, Leidenschaft, gehört für ihn zum Tanzen. „Ohne Leidenschaft und Begeisterung ist das Leben nur die Hälfte wert“, sagt Restrepo, der aus den Kindern und Jugendlichen seinen Enthusiasmus schöpft: „Für mich sind sie menschliche Diamanten, die nur ein wenig Hilfe brauchen, um zu strahlen. Poliert man sie nicht, dann entwickeln sie sich vielleicht wie so viele, die in den Krieg ziehen oder in die organisierte Kriminalität.“

Klar ist Restrepo, dass nicht alle Schüler Profi-Tänzer werden können. Aber für einige ist es eine reale Perspektive. Die Kooperation mit dem Tanzzentrum im französischen Angers ist deshalb besonders wichtig. Zwei bis drei Jahre sollen sich die Mitglieder der „Grupo Piloto“ nach ihrem Schulabschluss in Frankreich weiterqualifizieren. Die einen als Tänzer, die anderen als Choreograph, Theatertechniker oder Kostümschneider. Aber auch Schnupperkurse in Tanztherapie, Dokumentation oder Presse kann sich Restrepo gut vorstellen.
Knut Henkel

Konto für jedermann

Schuldnerberater starten neue Kampagne

(aus Hinz&Kunzt 117/November 2002)

Gerade wer Schulden mit sich herumschleppt, benötigt ein Girokonto – jede Bareinzahlung ist teuer. Doch immer wieder kündigen oder verweigern Geldinstitute Betroffenen eine Bankverbindung, aufwändig ist die Betreuung und nicht lukrativ. Deshalb startet die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) eine Kampagne. „Die Banken bagatellisieren das Problem“, so die Schuldnerberater. Zwar erklärten die Geldinstitute bereits 1995 in einer „freiwilligen Selbstverpflichtung“, auf Wunsch jedem Bürger ein Konto auf Guthabenbasis einzurichten. Doch sieht die Praxis oft anders aus. Nun sammeln die Berater bundesweit Fälle, um ihrer Forderung „Recht auf Girokonto“ Nachdruck zu verleihen.

Auch in Hamburg mehren sich Klagen über die Geschäftspolitik der Banken. Seitdem Anfang des Jahres die Pfändungsfreigrenzen angehoben wurden, kommen „vermehrt Ratsuchende, denen das Konto gekündigt wurde“, so Maj Zscherpe, Leiterin der städtischen Öffentlichen Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle (ÖRA). Sie will ebenfalls Fälle sammeln und notfalls eine gerichtliche Grundsatzentscheidung für Hamburg herbeiführen.

„Die Situation ist keineswegs so aussichtslos, wie viele Betroffene befürchten“, erklärte die Sozialbehörde. Menschen mit geringem Einkommen hilft die ÖRA kostenlos (Holstenwall 6, Tel. 42843-3071 oder –3072). Rat gibt auch die Verbraucherzentrale (Termine unter Tel. 24 83 20).
Wer den Weg scheut, wendet sich an die Beschwerdestelle seiner Bank oder an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Graurheindorferstr. 108, 53117 Bonn) und bittet, an die Selbstverpflichtung zu erinnern. Kontodaten und Kündigungsschreiben sollten beigelegt werden.

Gut, Mensch!

Auszeichnung für einen Polizisten

Selbst der motivierteste Mensch braucht hin und wieder Anerkennung. Deshalb verleiht Hinz & Kunzt jetzt zweimal jährlich den „Gut, Mensch!“ für außergewöhnliches soziales Engagement. Erster Preisträger ist der Bürgernahe Beamte Peter Stapelfeldt.

(aus Hinz&Kunzt 117/November 2002)

Als wir im Mai den Max-Brauer-Preis bekamen und wochenlang auf Wolke sieben schwebten, wurde die Idee geboren: Wir wollen selbst Menschen ehren, die sich für andere engagieren. Vorschlagsberechtigt ist jeder Leser oder Verkäufer. Die Qual der Wahl hat dann der Beirat. H&K-Herausgeberin Annegrethe Stoltenberg verleiht die Auszeichnung. Geld gibt’s nicht, dafür eine kleine Anstecknadel – ein Mini-Stein aus hellgrauem Granit auf einer kleinen Silberplatte.

Natürlich ist es immer schwierig, aus einer Vielzahl von engagierten Menschen einen auszusuchen. Da gibt es etwa das 16-jährige Mädchen aus Osdorf, das eine alte Frau beherzt aus ihrer brennenden Wohnung gerettet hat. Oder die ältere Dame, die jeden Monat aus Schenefeld in die Innenstadt reist, um – anonym – Briefumschläge mit etwas Geld für Verkäufer abzugeben. Oder die vielen Ehrenamtlichen, die auf Hamburgs Straßen und in Suppenküchen den Armen beistehen.

Doch die Wahl fiel diesmal auf einen Polizisten – für ein Obdachlosenprojekt sicher außergewöhnlich. Der Beirat entschied sich für den Bürgernahen Beamten der City, Peter Stapelfeldt. Vor allem deswegen, weil sich gerade die Obdachlosen in „seinem“ Revier für den 55-jährigen Hauptkommissar stark gemacht hatten.

„So einen wie ihn gibt’s nur einmal!“, sagt Norbert, der in der City Platte macht. „Er ist etwas ganz Besonderes!“, sagt Fred. Er und seine Kumpels trafen sich bei Hinz & Kunzt, um zu erzählen, was sie alles mit „unserem City-Grünling“ erlebt haben. Viele BüNaBes habe er in seinem Leben draußen kennen gelernt, sagt Stefan (27), aber so einen habe er noch nicht erlebt: Der Mann versuche immer zu helfen. „Mit Hotte ist er zum Sozialamt gegangen und hat ihm geholfen, neue Papiere zu bekommen“, so Stefan. „Einen anderen, der seine Papiere verloren hatte, begleitete er zur Bank und sorgte dafür, dass er an sein Geld kommt“, erzählt Elke. Stapelfeldt sei es gewesen, der sich dafür eingesetzt habe, dass in der City ein Dixieklo und ein Container für Gepäck aufgestellt worden seien, sagt Spinne.

Als Stefan neu in die City kam, stellte sich Stapelfeldt sogar bei ihm vor. „Mit Handschlag!“ Dann allerdings fügte der Hauptkommissar hinzu: „Wenn du hier Scheiße baust, erfahr ichs als erster. Also, sags mir lieber gleich.“ Denn „ein Weichei“ ist Stapelfeldt nicht. „Der redet Hochdeutsch!“, sagt Tommy anerkennend. Und damit meint er nicht nur, dass Stapelfeldt die deftige Ausdrucksweise beherrscht. Wenn er beispielsweise einem seiner Kunden auf den Kopf zusagt, dass er „breit wie ein Biberschwanz“ sei. Nein, Hochdeutsch, das geht noch anders: Neulich, da hat Tommy mal wieder einen über den Durst getrunken und ordentlich Randale gemacht. Stapelfeldt sei gekommen und habe gesagt: „Wenn du so weitermachst, fährst du Taxi.“ „Da wusste ich Bescheid“, sagt Tommy. „Taxi – das heißt nur eins: ein paar Stunden in den Knast.“ Also beschloss er: „Klappe halten.“
Bei einer anderen „Party“ hatten die Männer und Frauen am Mönckebrunnen sich „ziemlich doll ausgebreitet“, Passanten wurden schon sauer. Der BüNaBe rückte an, „sagte nur ganz cool: ,Alles, was um die Bänke herum liegt, wird in zwei Minuten beschlagnahmt – und weggeschmissen.'“ Und schwuppdiwupp – in weniger als zwei Minuten hatten die Partygäste aufgeräumt.

„Wenn du ihn nicht belügst oder verarschst, ist er immer fair und ehrlich zu dir“, sagt Norbert. Eine Erfahrung, die die meisten Obdachlosen in ihrem Leben selten gemacht haben. „Der Mensch steht bei ihm im Mittelpunkt“, fügt Norbert hinzu. „Er gibt einem immer eine Chance.“ Gerade neulich, da verbrachte der 33-Jährige wieder geraume Zeit hinter Gittern. Als er rauskam, musste er zweimal die Woche zur Bewährungshilfe. Immer wieder sei Peter Stapelfeldt zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, wie es mit der Bewährungshilfe laufe. „Aber der wollte mich nicht kontrollieren, den hat das wirklich interessiert.“ Und in einer Sache ist sich Norbert ganz sicher: „Wenn ich nicht hingegangen wäre – der hätte mich eigenhändig hingebracht.“

Die Obdachlosen aus der City haben auch einiges gelernt von ihrem „City-Grünling“: Verantwortung beispielsweise. Norbert leint seinen Hund jetzt immer an – „meistens jedenfalls“, räumt er nach einigem Zögern ein. „Wir können nicht einfach Müll hinterlassen und rumkrakeelen, das stört ja auch die anderen“, sagt Elke. Vor Peter Stapelfeldt ist es ihr und den anderen „schon peinlich“, wenn ihr Platz mal wieder voll liegt mit Bierdosen. „Wir haben uns Müllsäcke besorgt und den Kram freiwillig eingesammelt.“

Übrigens: Nicht nur bei den Obdachlosen genießt der Hauptkommissar mit den drei Sternen Sympathie und Respekt: „Peter Stapelfeldt ist ein Mensch, der sein Herz auf dem rechten Fleck hat und es dennoch versteht, sich bei seinen Kunden den nötigen Respekt zu verschaffen“, sagt City-Manager Henning Albers, der immerhin die Geschäftsleute in der Innenstadt repräsentiert. „Wenn es so etwas wie eine Traumbesetzung gibt, dann ist es die mit Peter Stapelfeldt als Bürgernahem Beamten in der City.“ Dem können wir Hinz & Künztler nichts mehr hinzufügen.

Birgit Müller

Zur Person: Hauptkommissar Peter Stapelfeldt ist seit 1973 auf dem Polizeirevier 12. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Nicht immer sei er so sozial eingestellt gewesen, räumt der 55-Jährige ein. Erst mit seiner Tätigkeit als Bürgernaher Beamter habe er die Menschen in seinem Revier besser kennen gelernt, die Armen wie die Reichen.

Mit einem Bein draußen

Im Moritz-Liepmann-Haus bereiten sich Gefangene auf die Freiheit vor

Ein Gefängnis mitten im Stadtteil, eine Anstalt, die kaum einer kennt. Im Moritz-Liepmann-Haus in Altona verbringen Strafgefangene die letzten Monate vor ihrer Entlassung. Wird Justizsenator Roger Kusch das Haus erhalten?

(aus Hinz&Kunzt 116/Oktober 2002)

Der zweigeschossige Bau in der Alsenstraße ist nur ein paar Schritte vom Musical-Theater „Neue Flora“ entfernt. Das Grundstück hat keine Mauer, keine meterhohen Zäune, keine Scheinwerfer. Das Moritz-Liepmann-Haus (MLH) gibt sich diskret. Noch nicht mal ein Schild am Eingang weist darauf hin, dass es sich um die Justizvollzugsanstalt XIII handelt.

Im Haus leben 38 Männer und 7 Frauen. Sie haben zum Teil Jahre in anderen Anstalten hinter sich und sind für die letzten Monate ihrer Haft ins MLH gewechselt, um sich auf die Entlassung vorzubereiten. Wichtigste Bedingung dort: Die Insassen müssen sich Arbeit suchen. Ziel ist „ein nahezu an die Freiheit angepasstes Leben noch während der Haft“, wie es in einem Info-Blatt heißt. Oder wie ein Insasse formuliert: „Man sitzt mit einem Bein schon draußen.“

Freigang für den Job gibt es zwar auch in anderen Hamburger Gefängnissen. Doch das MLH hat den Vorteil einer zentralen Lage: Die S-Bahn Holstenstraße ist in Sichtweite. Insassen erreichen ihre Arbeitsstellen wesentlich leichter, als wenn sie sich von Vierlande oder Glasmoor auf den Weg machen müssen. Das MLH ist außerdem die einzige Einrichtung in Hamburg, die ausschließlich für den Übergang zwischen Haft und Freiheit konzipiert wurde. Bei der Eröffnung 1972 war es bundesweit ein Modellprojekt.

Vorausgegangen war die Erfahrung, dass in den ersten sechs Monaten nach der Entlassung eines Häftlings das Rückfall-Risiko am größten ist. So entstand die Idee, mit Integration noch während der Haftzeit zu beginnen und dafür ein spezielles Haus zu schaffen. Ein mutiger Schritt, getragen von der Aufbruchstimmung jener Zeit. Selbst die konservative „Welt“ stellte zur Eröffnung des MLH zufrieden fest: „Auf dem Wege zu einem modernen Strafvollzug ist Hamburg wieder einen Schritt vorangekommen.“

Benannt ist das Haus nach dem Strafrechtsprofessor Moritz Liepmann, der von 1919 bis 1928 an der Universität Hamburg lehrte und führender Kopf in der Reform des Strafvollzugs war.

Zwischen sechs und zwölf Monaten sind die Insassen im MLH. Sie leben in Ein- bis Drei-Bett-Zimmern, die sie mit eigenen Dingen ausstatten dürfen, die sie aber auch selber sauberhalten müssen. Die Regeln im Haus sind strikt: kein Alkohol, keine Drogen – was durch unangekündigte Kontrollen überwacht wird.
Das Verlassen des Hauses und die Rückkehr werden auf Zeitkarten festgehalten. Pünktlichkeit ist angesagt, „mal sehen“ gibt’s nicht. Wer nach der Arbeit noch Ausgang haben will, muss in der Regel erst ins Haus zurückkehren, um sich dann wieder abzumelden. Dass die rund 20 Mitarbeiter den Insassen ständig mit Fragen auf den Leib rücken, gehört zum Prinzip der Anstalt („Wo sind Sie gewesen? Was haben Sie erreicht?“). Einzel- und Gruppengespräche sind Pflicht, ebenso die Teilnahme an den monatlichen Vollversammlungen. Rund zwei Drittel der Insassen halten durch und werden in die Freiheit entlassen. Die übrigen müssen zurück in reguläre Anstalten, weil sie Vereinbarungen nicht einhielten oder sogar neue Straftaten verübten.
Über die Aufnahme ins Haus entscheiden je zwei Vertreter des MLH und der „entsendenden“ Haftanstalt. Nicht genommen werden Sexualstraftäter – eine Regelung, die schon seit Eröffnung des Hauses gilt. Grund: Eltern, deren Kinder auf die benachbarte Grundschule gingen, hatten das Projekt zunächst mit Skepsis verfolgt.

Arbeit finden die Insassen zum Beispiel bei Zeitarbeitsfirmen oder in gewerblichen Jobs. Arbeitgeber schätzen offenbar, dass die Anstalt mit in der Pflicht ist: Wenn ein Arbeitnehmer zum Beispiel nicht erscheint, können sie sich ans MLH wenden. Wie in anderen Anstalten auch müssen Gefangene, die Geld verdienen, einen Teil für die Zeit nach der Entlassung zurücklegen. Sie müssen außerdem einen Beitrag zu den Haftkosten leisten und, falls erforderlich, Unterhalt be- und Schulden abzahlen.

Seit Justizsenator Roger Kusch (CDU) alle Justizvollzugsanstalten auf den Prüfstand gestellt hat, ist die Zukunft des MLH jedoch ungewiss. Hardliner Kusch ist kein Freund von offenem Vollzug, setzt auf Wegschließen und muss für zusätzliche Haftplätze, die im Großgefängnis Billwerder geplant sind, Geld und Personal mobilisieren. Könnte dafür eine „weiche“ Einrichtung wie das MLH geopfert werden, die wegen der sozialpädagogischen Begleitung personalintensiver ist als geschlossener Vollzug? Die Leitungsstelle im MLH ist bereits seit zehn Monaten vakant. Die Neubesetzung wurde nach dem Regierungswechsel gestoppt.
Eine Schließung des Moritz-Liepmann-Hauses steht überhaupt nicht zur Debatte“, sagt Behördensprecher Kai Nitschke. Die Leitungsstelle sei derzeit zwar nicht ausgeschrieben, solle aber wieder besetzt werden („im Augenblick funktioniert das auch so ganz gut“). Die zusätzlichen Haftplätze in Billwerder seien „Zukunftsmusik“, Auswirkungen auf das MLH gebe es nicht, zumal das Klientel – in Billwerder geschlossener Vollzug, im MLH offener Vollzug – völlig unterschiedlich sei.

Die Sorge, das MLH könne geschlossen werden, hat immerhin die 17 Hamburger Strafvollstreckungsrichter auf den Plan gerufen (also jene Richter, die sich mit Anträgen und Beschwerden von Gefangenen befassen). Sie gaben im August ein einhelliges Votum für das Haus ab: Die Anstalt erbringe „vorbildliche Leistungen“ bei der Resozialisierung und sei „in der Palette der Hamburger Anstalten unentbehrlich“, so die Richter in einem Schreiben an das Strafvollzugsamt.

Das Moritz-Liepmann-Haus – vielleicht Hamburgs unauffälligstes Gefängnis. Die einzigen Gitter befinden sich vor den Fenstern des Kassenraums im Erdgeschoss. Sie sollen nicht Ausbrüche verhindern, sondern Einbrüche.

Detlev Brockes

Letzte Filiale Reeperbahn

Die Haspa an der Reeperbahn regelt für alle die Geschäfte – und manchmal auch mehr

(aus Hinz&Kunzt 116/Oktober 2002)

In kaum einer Straße wird so viel Geld umgesetzt wie auf der Reeperbahn. Die Banken haben dennoch die Flucht ergriffen. Nur noch eine Filiale regelt hier Finanzgeschäfte persönlich: die Hamburger Sparkasse.

Reichtum ist relativ. „Soll ich Ihnen mal mein Zahngold zeigen?“, fragt die alte Frau den Filialleiter nicht zum ersten Mal. Carsten Maywald, ganz Diener seiner Kundin, nickt ergeben. Gemeinsam gehen sie zu den Schließfächern, und die Witwe zeigt stolz das Schächtelchen mit ihrem Vermögen: „Mein Mann hat gut für mich gesorgt!“, sagt sie wie jedes Mal.

In die HASPA-Filiale an der Reeperbahn kommen alle: die Immobilienbesitzer wie die Bordellbetreiber, die Einzelhändler wie die alten Mütterchen, die Arbeitslosen wie die Sozialhilfeempfänger, in Spitzenzeiten bis zu 500 Menschen am Tag. „Eine sehr vielschichtige Kundschaft“, sagt Maywald, seit 25 Jahren in der Filiale und seit drei Jahren deren Leiter. Seinen Beruf hat der 48-Jährige in einer Zweigstelle in Blankenese gelernt. Dorthin zurück würde er nie gehen: „Hier ist es sicher nicht leichter – aber ich fühle mich pudelwohl. Ich mag es, wenn das Leben pulsiert!“

Nachdem die Commerzbank kürzlich ihre Zweigstelle geschlossen hat, betreibt die Haspa die einzige Filiale an der Reeperbahn. Andere Geldinstitute wie die Dresdner Bank, die Deutsche Bank oder die BfG (heute: SEB) haben schon vor Jahren das Weite gesucht.
Banken-Kritiker sehen darin eine Entwicklung nach US-amerikanischem Vorbild: Mit ihren immer genaueren Controlling-Systemen können die Geldinstitute mühelos feststellen, wo sie wie viel mit ihren Kunden verdienen. Ergebnis: der Rückzug der Banken aus den Vierteln, in denen viele Menschen mit wenig Geld leben und die deshalb nicht lukrativ erscheinen.

Dass die Armut auf St. Pauli – 13,3 Prozent Sozialhilfeempfänger und etwa noch mal so viele Arbeitslose – der Grund sein könnte für die Abwanderung der Geldinstitute, das will Maywald „so nicht stehen lassen“: Kleinere Zweigstellen würden „immer mal“ geschlossen. „Und die Großbanken haben sich nicht nur hier zurückgezogen, sondern zum Beispiel auch an der Hoheluftchaussee.“ Zudem, meint Maywald, auch Menschen mit geringem Einkommen könnten für Banken interessante Kunden sein, wenn sie sich „vertragskonform“ verhielten: „Das kann sich ja entwickeln.“

Der Morgen des Filialleiters ist ruhig verlaufen. Ein Angestellter fragte nach einem 10.000-Euro-Kredit, er will sich ein neues Auto kaufen. Ein Selbstständiger suchte Rat, wie er den Bau eines Einfamilienhauses finanzieren könnte, er wird wiederkommen mit den nötigen Unterlagen. Ein im öffentlichen Dienst Beschäftigter hat sein Aktiendepot aufgefrischt, „der kauft jetzt zu niedrigen Preisen nach“, weiß der Experte.

Nicht immer geht es so friedlich zu in der Filiale gegenüber dem Spielbudenplatz. Wenn die Ämter am Monatsende Geld überweisen an die Armen, „gibt’s schon mal Aufregung“, berichtet Maywald. Dann müssen die Mitarbeiter im Ansturm der Ungeduldigen, die sehnlichst die Überlebenshilfe erwarten, auch mal Schimpfkanonaden hören wie: „Ihr sitzt doch auf dem Geld! Zahlt das endlich aus!“

Maywalds Frau für alle Fälle heißt Bärbel Schultze. Die 56-jährige Kundenberaterin ist auf St. Pauli aufgewachsen und auch schon 24 Jahre in der Filiale tätig, sie kennt das Quartier und seine Schwierigkeiten. „Für den Stadtteil wird nicht genug getan“, meint die resolute Bankangestellte, weshalb „viele Menschen mit wenig Einkommen“ zu ihr kommen, die „Beratung und Betreuung brauchen“. Oft, erzählt sie, „wissen die Leute nicht, wo sie anpacken sollen, um aus der Geldmisere rauszukommen“.

Ein älterer Herr mit viel Gold an den Handgelenken sucht das Gespräch. „2000 Euro kostet der Spaß!“, ruft er Bärbel Schultze zu. Der offenbar nicht schlecht gestellte Rentner ist schockiert angesichts der Reparaturkosten für seinen Mercedes. „Das kriegen wir schon hin!“, beruhigt ihn die Bankangestellte. „Kommen Sie morgen noch mal!“

Am Vormittag hat sie bereits einem Arbeitslosen aus der Patsche geholfen. Der ehemalige Verlagsmitarbeiter hatte mit seiner Kreditkarte immer weiter Geld abgehoben, obwohl sein Konto längst in den Miesen war – wohl auch aus Frust angesichts von 60 erfolglosen Bewerbungen um einen neuen Job. „Das ist einer, der immer wieder auf die Beine kommt“, sagt Bärbel Schultze – und hat die Schulden in ein ratenweise abzuzahlendes Darlehen umgewandelt.

Die zahlreichen Gewerbetreibenden vom Kiez – rund 1000 der 7500 Konten sind Geschäftskonten – sind meist einfach zu versorgen, so Carsten Maywald. Viele bringen ihre Einnahmen täglich und holen sich Wechselgeld, „da bauen sich Kontakte viel besser auf.“ Kurz wird die unsichtbare Mauer sichtbar, die sich auch durch die menschlichste Bankfiliale zieht: Die „sehr schöne Beratungszone“ im ersten Stock, jener Ort, an dem „diskrete Atmosphäre“ herrscht, lernt ein schlichter Guthabenkonto-Besitzer „höchstens zur Eröffnung“ kennen.

Schwierig gestalten sich die Darlehensgespräche auf St. Pauli. Oft muss der Filialleiter Nein sagen angesichts von „Schnapsideen“ und unsicheren Einkommensverhältnissen. Das fällt ihm nicht immer leicht: „Es gibt immer Fälle, bei denen du denkst: Dem würd ich’s gönnen! Aber die Vorschriften?
Wer nur von Rente, Stütze oder Mini-Jobs lebt, kann auf einen Kredit kaum hoffen. Im besten Fall schickt ihn Maywald ins „Start-up-Center“ der Bank, wenn die Geschäftsidee pfiffig erscheint. Es bleibt den Bankmitarbeitern die Hilfe zum Überleben, und die kann ebenso bedeutsam wie zeitaufwändig sein: Wenn etwa der alte Mann mit der kleinen Rente auch beim dritten Mal nicht begreift, dass ihn eine Sammelüberweisung viel billiger käme als acht einzelne Transaktionen, dann ist Geduld gefragt. Zumal der Rentner am Ende entscheidet: „Nein, ich will das so wie bisher!“ „Ich versuche allen Kunden gerecht zu werden“, sagt Maywald, und einer wie er meint das auch so.

Vor einigen Wochen allerdings wurde seine Toleranzgrenze doch überschritten: Ein offenbar geistig Verwirrter überfiel mit einem Gaspistolen-Imitat die Bank, die direkt im Blickfeld der Davidwache liegt. Da übernahm der Chef persönlich die Verfolgung – und ermöglichte den Polizisten die schnelle Festnahme.

Ulrich Jonas