„Wir holen das Dorf in die Stadt“

Der alternative Stadtentwickler Stattbau wird 25 Jahre alt. Anfangs half die Gesellschaft Hausbesetzern aus der Hafenstraße, heute berät sie alle, die gemeinschaftlich wohnen wollen – von ehemaligen Obdachlosen bis zu jungen Familien.

(aus Hinz&Kunzt 211/September 2010)

Tobias Behrens klopft weißen Staub von seinem Jackett. Er hat eine Baustelle besichtigt und dabei eine Wand gestreift. „Ich bin aber froh, nicht immer nur im Büro zu sitzen“, sagt Behrens. „So bin ich direkter an den Projekten dran.“
Projekte – das ist so ein Lieblingswort von Behrens. Seit 1993 ist er Geschäftsführer von Stattbau. Er und seine neun Kollegen – Architekten, Soziologen, Stadtplaner – entwickeln alternative Wohnprojekte für alle, denen der Markt nichts Passendes bietet: Hausgemeinschaften, Obdachlose, Jugendliche, psychisch Kranke. Stattbau saniert alte Häuser oder baut neue. Das jüngste Projekt ist der Umbau eines dreistöckigen Hauses in Bahrenfeld. Früher waren hier Apartments für Bauarbeiter, ab Oktober finden die Holstenpunx in dem Gebäude ein Zuhause: 16 ehemals obdachlose Jugendliche, die seit Sommer 2008 in zwei leer stehenden Häusern nebenan gewohnt haben (siehe Hinz&Kunzt 207/Mai 2010). Die Holstenpunx helfen bei den Bauarbeiten und bringen ihre eigenen Ideen ein. Wohnen nach Maß für junge Menschen, die sonst sicher keinen Ort für ihr Projekt gefunden hätten.

Tapeten abreißen und Wände durchbrechen: Mit großem Einsatz helfen die Holstenpunx mit, aus einem alten Haus am Holstenkamp ihr neues Zuhause zu machen. Bei ihrem Wohnprojekt hilft ihnen Stattbau.
Tapeten abreißen und Wände durchbrechen: Mit großem Einsatz helfen die Holstenpunx mit, aus einem alten Haus am Holstenkamp ihr neues Zuhause zu machen. Bei ihrem Wohnprojekt hilft ihnen Stattbau.

Alternatives, gemeinschaftliches Wohnen ist seit 25 Jahren das Spezialgebiet von Stattbau. Die GmbH, 1985 gegründet, ging aus einem Projekt von Mieter helfen Mietern hervor.Seit Beginn wird sie von der Stadt gefördert. Die erste große Aufgabe wartete in der Hafenstraße: Stattbau vermittelte zwischen der Stadt und den autonomen Hausbesetzern und setzte am Ende die Sanierung der umkämpften Häuser um. Ein heikles Unterfangen. „Das ist bis heute so, es gilt immer, unendlich viele Interessen unter einen Hut zu bringen“, sagt Behrens. Allerdings sei die Umsetzung der Projekte mit den Jahren schwerer geworden. Es gäbe kaum Grundstücke, ständig entstünden neue Lärmschutz- oder Energieverordnungen. „Durch diesen Dschungel muss man eben durch, da braucht es Experten wie uns, die nicht so schnell aufgeben.“
Die autonomen Besetzer der Hafenstraße wollten durch das gemeinsame Wohnen einen Teil ihrer politischen Utopie umsetzen. Heute ist alternatives Wohnen in allen Gesellschaftsschichten gefragt. „Alternatives Wohnen ist nichts Linkes mehr“, sagt Behrens. „Wir bauen für junge Familien, für CDU-Mitglieder, für Senioren oder Schwule und Lesben.“ Die Kunden von Stattbau suchen das Leben in der Gemeinschaft und wollen ihre Nachbarschaft selbst aussuchen. Das Miteinander erhöht die Lebensqualität. Gemeinschaftliches Wohnen liegt im Trend, weil immer mehr Menschen alleine leben oder nur ein Kind bekommen. „Nachbarschaft und Quartier werden gerade für Singles und Alleinerziehende immer wichtiger“, sagt Behrens. Auch wenn der Trend zum Leben in der Stadt anhält, wollen viele Menschen dennoch dörfliche Strukturen: bekannte Gesichter mit ähnlichen Lebenslagen direkt nebenan. Stattbau macht’s möglich, sagt Behrens. „Wir holen das Dorf in die Stadt.“

Text: Hanning Voigts
Foto: Mauricio Bustamante

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