Dokumentation – „Ü100“
In der ersten Hinz&Kunzt-Ausgabe gab es eine Reportage über den damals rund neunzigjährigen Stummfilm-pianisten Willy Sommerfeld. Ich sehe mich in der Erinnerung als hoffnungsvollen Jungjournalist, der damals mit der Bahn nach Berlin reiste, Sommerfelds Apartment in Tiergarten suchte und an der Wohnungstür etwas
unbeholfen in wache Augen schaute. Die Fragen hatte ich mir sauber auf-geschrieben. Er kannte sie vorher, der alte Routinier. Alt? Nein, alt sei er noch nicht. Aber er spiele oft für ältere Leute so ab 65 aufwärts. Das fand ich damals liebenswert verschroben und so sollte
es wohl auch klingen. Heute weiß ich: Willi Sommerfeld spielte noch fast 13 Jahre am Klavier im Berliner Arsenal Kino, bevor er 2007 mit 103 Jahren starb. Und ich bereue noch heute, das Angebot, nach dem abendlichen Auftritt noch gemeinsam eine Flasche Wein zu trinken, ausgeschlagen zu haben. „Im Alter ärgert man sich am meisten über die Dinge, die man nicht gemacht hat. Ich habe da nicht viel zum Ärgern“, war so etwas wie ein letzter Satz von Sommerfeld, bevor ich mich mit gefühlt zwei
Litern Filterkaffee im Körper wieder Richtung Hamburg begab. Eigentlich hätte ich längst auf das eigentliche Thema dieser Kolumne kommen sollen: „Ü100“ – eine Leinwanddoku über Menschen, die bereits ihren hundertsten Geburtstag hinter sich haben. Die Filmemacherin und Journalistin Dagmar Wagner porträtiert dabei ganz unterschiedliche Menschen.Herausgekommen ist dabei ein starkes Stück geballte Lebenserfahrung und die mögliche Erkenntnis, dass man eben doch erst wirklich alt ist, wenn man von allem genug hat. Er habe keine Angst vor dem Tod, sagte Sommerfeld damals Es wäre nur ärgerlich, nicht mehr all die neuen Dingen erleben zu dürfen, die täglich dazukämen. Dann setzte er sich an sein altes Klavier und spielte, was ihm gerade einfiel. Es war etwas Fröhliches, daran erinnere ich mich noch.
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