Fördern ohne Kuscheln

Der Verwaltungsrechtler Till Steffen ist der erste grüne Justizsenator in Hamburg und der jüngste, den die Stadt je hatte

(aus Hinz&Kunzt 186/August 2008)

Dass der neue Justizsenator ein Grüner ist und Till Steffen heißt, war für viele CDU-Politiker offensichtlich schon lange gut vorstellbar. Im Dezember 2006 trafen wir einen engen Mitarbeiter des damaligen Justizsenators Carsten Lüdemann (CDU). Angesprochen darauf, dass der Kusch-Nachfolger zwar viel umgänglicher wirke, aber gerade dabei sei, das deutschlandweit schärfste und fachlich umstrittenste Strafvollzugsgesetz auf den Weg zu bringen, entfuhr es ihm: „Ach, das wird schon nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird, wo doch der nächste Justizsenator Till Steffen heißen könnte …“

„Ich bin nicht angetreten, damit sich die Gefangenen wohlfühlen“

Justizsenator Lüdemann (CDU) plant neues Strafvollzugsgesetz: Resozialisierung als oberstes Ziel ist passé, offener Vollzug ist out, Hand- und Fußfesselung beim Ausgang wird normal

(aus Hinz&Kunzt 167/Januar 2007)

Sein Vorgänger Roger Kusch (CDU) hatte sich mit allen zerstritten: mit Richtern, Staatsanwälten, Vollzugsbeamten und Notaren. Zehn Monate nach Amtsantritt von Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) haben sich fast alle wieder lieb. Der 43-jährige jungenhafte Jurist gilt als ausgesprochen umgänglich. In Sachen Strafvollzug fährt er den harten Stil von Roger Kusch allerdings weiter.

„Wettbewerb der Schäbigkeit“

Richterschelte für die Justizbehörde und Senator Carsten Lüdemann

(aus Hinz&Kunzt 169/März 2007)

Der Ton wird wieder schärfer zwischen Richtern und Justizbehörde. Das wurde bei einer Tagung des Forum Straffälligenhilfe deutlich. Horst Becker, Vorsitzender Richter am Landgericht, war einer der Kritiker. Er geht sogar so weit, von der „Renitenz der Vollzugsbehörden“ zu sprechen oder gar vom „Wettbewerb der Schäbigkeit“. Offiziell geht es darum, dass die Haftanstalten und somit die Justizbehörde Urteile der Gerichte einfach nicht umsetzen. In Wirklichkeit geht es aber nicht nur um „diesen eklatanten Rechtsbruch“ (Becker), sondern um die Wende im Hamburger Strafvollzug.

Zurück in die Zelle

Vorzeigegefängnis Moritz-Liepmann-Haus soll geschlossen werden: Bewohner kämpfen für seinen Erhalt

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Seit 33 Jahren bereitet das Moritz-Liepmann-Haus (MLH) Gefangene auf ein Leben in Freiheit vor. Nun kommt das Aus: Justizsenator Roger Kusch will die Einrichtung in der Alsenstraße in Altona-Nord zum 15. Februar schließen. Die Insassen sollen in die JVA Glasmoor und die Sozialtherapeutische Anstalt Altengamme verlegt werden.

Ursprünglich sollte der Standort erst Ende 2005 aufgegeben werden. „Wir wollen so vorher schon Einspar-potenziale verwirklichen“, sagte der Sprecher der Justizbehörde, Ingo Wolfram.

Das MLH gilt seit seiner Eröffnung 1972 als Pionierprojekt eines modernen Strafvollzugs. Vorausgegangen war die Erfahrung, dass ehemalige Häftlinge in den ersten sechs Monaten nach ihrer Entlassung besonders rückfallge-fährdet sind. So kam man auf die Idee, in einem besonderen Gefängnis bereits zum Ende der Haftzeit den Alltag zu proben.

Die „Bewohner“ – wie die Insassen im MLH genannt wer-den – müssen sich eine Arbeit außerhalb des Hauses suchen. So können sie sich an einen geregelten Tagesab-lauf gewöhnen. Das ist zwar auch sonst gängige Praxis im offenen Vollzug. Doch das MLH ist im Gegensatz zu anderen Gefängnissen zentral gelegen: Die S-Bahnstation Holstenstraße ist in wenigen Minuten zu erreichen.

Außerdem geht die Freiheit im MLH weiter: Nach ihrer Arbeit dürfen die Bewohner täglich bis zu acht Stunden außerhalb des Gebäudes verbringen. Zu ihren Zimmern besitzen sie einen eigenen Schlüssel. Sie können Besucher mit auf ihr Zimmer nehmen. Und die Fenster haben keine Gitter. Doch Einschränkungen gibt es natürlich auch: Nach der Arbeit müssen sich alle Bewohner zurückmelden, bevor sie ihre Freizeit nutzen können. Um 23.30 Uhr müssen sie spätestens wieder da sein. Außerdem dürfen die Insassen keine Drogen oder Alkohol konsumie-ren. Wer eklatant gegen die Regeln verstößt, wird wieder in den Knast zurückverlegt, aus dem er kommt. Das Konzept des Hauses geht auf: Gefangene verzichten sogar auf eine vorzeitige Entlassung, nur um ins MLH wechseln zu können.

Richy Edel ist wütend über den Plan des Justizsenators. Der Insassenvertreter des MLH befürchtet, die gewon-nenen Freiheiten könnten in anderen Gefängnissen wieder eingeschränkt werden. „In Glasmoor sind drei Stunden Freizeit das Maximum“, so der 38-Jährige. „Und Besuch dürfen wir nur noch einmal pro Woche empfan-gen – in einem Raum mit 20 anderen Gefangenen.“ Durch den längeren Fahrtweg und die schlechtere Verkehrsanbindung sieht er die Arbeitsplätze der Bewohner bedroht. „Wir dachten, die Abmachung, dass wir hier unsere restliche Zeit verbringen können, wäre für beide Seiten bindend, nicht nur für uns“, sagt Edel.

Behördensprecher Wolfram versucht, zu beschwichtigen: „Wir sind dabei, gemeinsam mit dem Beirat des Moritz-Liepmann-Hauses für jeden Bewohner eine Lösung zu finden.“ Auch vorzeitige Entlassungen seien im Gespräch, soweit dies rechtlich möglich sei.

Till Steffen von der GAL kritisiert das Vorhaben des Justizsenator dennoch. Zwar würden den jetzigen Bewohnern Zugeständnisse gemacht. Aber: „Mit der Schließung des Moritz-Liepmann-Hauses fährt die Behörde den offenen Vollzug zurück“, so der justizpolitische Sprecher. „Das wird zu großen gesellschaftlichen Problemen führen.“ Denn so lernten die Häftlinge nicht mehr, selbstständig zu handeln und wären mit der plötzlichen Freiheit überfordert. Das Konzept des MLH werde in den anderen Gefängnissen nicht zu realisieren sein, erklärt Steffen. „Es wird ersatzlos wegfallen. Das ist unverantwortlich.“

Behördensprecher Wolfram wehrt ab: „Die Angebote des MLH können auch in anderen Einrichtungen fortgeführt werden.“ Eines jedoch ist klar: Mit dem Moritz-Liepmann-Haus wird eine Vorzeigeeinrichtung des Hamburger Strafvollzugs geschlossen.

Philipp Ratfisch

Hamburger Appell

Herr Justizsenator Kusch, kehren Sie zu einer Strafvollzugspolitik nach Gesetz und Vernunft zurück!

(aus Hinz&Kunzt 146/April 2005)

Namhafte Fachleute haben den Hamburger Appell unterzeichnet, den Hinz&Kunzt erstmals veröffentlicht. Sie fordern Justizsenator Dr. Roger Kusch auf, seine Strafvollzugspolitik wieder an „Gesetz und Vernunft“ auszurichten.

„Bloßes Wegsperren ist gefährlich!“

Hamburger Appell an Justizsenator Roger Kusch: Weitere Strafvollzugsexperten fordern den Erhalt des offenen Vollzugs und der Sozialtherapie

(aus Hinz&Kunzt 147/Mai 2005)

Noch wäre es nicht zu spät: Die Sozialtherapeutischen Anstalten in Hamburg könnten noch an Ort und Stelle erhalten werden. Der offene Vollzug könnte wieder ausgedehnt werden. Hamburgs Knäste könnten dezentraler bleiben, statt sie alle zu Großgefängnissen zusammenzufassen. Und vielleicht könnten – mit dem nötigen Fingerspitzengefühl – die Mitarbeiter wieder mehr ins Boot geholt werden. Aber leider prallt die Kritik der 16 Strafvollzugsexperten, die sich in der April-Ausgabe mit dem Hamburger Appell an Roger Kusch richteten, an diesem ab. Der Justizsenator hüllt sich in Schweigen. Jedoch stellte Behördensprecher Ingo Wolfram eine Stellungnahme für die Juni-Ausgabe in Aussicht. Indessen haben sich zahlreiche Experten aus Hamburg und dem Bundesgebiet dem Hamburger Appell angeschlossen.

„Es ist ein Riesenkampf, ein normales Leben anzupeilen“

Warum Resozialisierung für die öffentliche Sicherheit so wichtig ist – zwei ehemalige Gefangene erzählen

(aus Hinz&Kunzt 148/Juni 2005)

Bessere Entlassungsvorbereitung, Erhalt des offenen Vollzuges und der Sozialtherapeutischen Anstalten – das sind die Hauptforderungen des Hamburger Appells an Justizsenator Roger Kusch. Dass Resozialisierung nicht Verhätschelung von Häftlingen ist, sondern auch der Sicher-heit der Bevölkerung dient, bestätigen die ehemaligen Gefangenen Faruk S. und Volkert Ruhe.

Nr.10: Schwitzen statt sitzen

Zehn Jahre Hinz&Kunzt – zehn Geburtstags-Forderungen

(aus Hinz&Kunzt 131/Januar 2004)

Darum geht es:

Unsere zehnte und letzte Geburtstagsforderung ist gerade erfüllt worden. Denn bald können Richter ihre Urteile noch weiter differenzieren als bislang. Statt eine Haftstrafe bis zu sechs Monaten auszusprechen oder eine Geldstrafe, können sie den Verurteilte – mit seinem Einverständnis – zu gemeinnütziger Arbeit verdonnern.

Der Hintergrund:

„Schwitzen statt sitzen“ – unter diesem Motto stand der Gesetzesentwurf, der jetzt das Kabinett in Berlin passiert hat. Und schwitzen statt sitzen war schon lange eine Forderung von uns. Denn viele sozial schwache Täter landen im Gefängnis, selbst wenn sie ausdrücklich nicht zu einer Haftstrafe verurteilt wurden. Der Grund: Sie können die Geldstrafe nicht bezahlen.

In Hamburg gibt es heute schon die Möglichkeit, eine Geldstrafe mit gemeinnütziger Arbeit abzuleisten. Immer mehr Menschen machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Im Jahr 2001 wurden in der Hansestadt so 20.540 Hafttage „abgearbeitet“, 2002 schon 22.358 und bis Mitte November 2003 sogar 24.665. Allerdings ist das Prozedere kompliziert: Erst wenn der Verurteilte seine Geldstrafe nicht fristgemäß bezahlt, bekommt er einen Brief, in dem ihm gemeinnützige Arbeit vorgeschlagen wird.

Das Problem war bisher: Viele Täter, die kleinere Delikte wie Schwarzfahren oder Diebstahl begangen haben und ihre Strafe nicht bezahlen können, haben sowieso große Schwierigkeiten, ihr Leben zu bewältigen. Viele sind arbeits- und perspektivlos. Oft sind sie hochverschuldet. Deswegen öffnen einige von ihnen ihre Post gar nicht mehr – aus Angst vor neuen Rechnungen. Diese Menschen landen dann, wenn sie sich nicht bei der Justizbehörde melden und einen Platz für gemeinnützige Arbeit annehmen, automatisch im Knast.

Deswegen war uns immer schon wichtig, dass gemeinnützige Arbeit direkt bei der Urteilsverkündung als Alternativ-Strafe verhängt werden kann. (Allerdings nur mit Einveständnis des Täters. Aufgrund der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus darf man in Deutschland niemanden gegen seinen Willen zur Arbeit verurteilen.)

Straftätern diese Alternative zu bieten, ist nicht nur nett, sondern auch für den Staat eine Entlastung: Erstens sind die Gefängnisse sowieso überbelegt; zweitens bringt der Täter dort nicht wie vom Richter vorgesehen Geld ins Staatssäckel, sondern kostet auch noch: mindestens 90 Euro pro Hafttag und Person. Selbst Justizsenator und Hardliner Roger Kusch (CDU) ist von dem Modell angetan. Immerhin spart die Hansestadt so zwei Millionen Euro pro Jahr.

Die gemeinnützige Arbeit kann allen dienen: dem Staat und dem Täter. Bisher konnte es nämlich passieren, dass ein Täter seine Ersatzfreiheitsstrafe antreten musste, auch wenn er einen Job hatte. Ergebnis: Er verlor womöglich auch noch die Arbeit. Die gemeinnützigen Strafstunden kann er dagegen im Urlaub oder am Wochenende abarbeiten. Und manchmal haben die Täter sogar Glück im Unglück: Die Arbeit gefällt ihnen so gut, dass sie ehrenamtlich bei der Organisation bleiben oder sogar wieder einen ganz normalen Job finden. Besser kann Resozialisierung nicht funktionieren.

Birgit Müller

Mit dieser – erfüllten – zehnten Forderung endet unsere Serie „Zehn Jahre Hinz & Kunzt – zehn Geburtstagsforderungen“.
Hier die Forderungen im Überblick:

Nr. 1: Mehr Betten für kranke Obdachlose.
Die Krankenstube für Obdachlose ist hoffnungslos überfüllt.

Nr. 2: Hausbesuch statt Räumung
Viele Räumungen könnten verhindert werden, wenn säumige Mieter rechtzeitig Hausbesuch und Hilfe bekämen.

Nr. 3: Sozialticket muss bleiben!
Die Sozialbehörde hat Ende 2003 das Sozialticket für rund 38.000 Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose abgeschafft.

Nr. 4: Kundenfreundliches Amt
Sozialhilfeempfänger müssen oft stundenlang warten, bis ihnen geholfen wird. Ihre Sachbearbeiter sind nicht erreichbar und überfordert.

Nr. 5: Konto für jedermann
Wer kein Bankkonto hat, ist in unserer Arbeitswelt nur ein halber Mensch. Außerdem: Bareinzahlungen sind teuer.

Nr. 6: Fördern statt überfordern
Soziale Job-Agenturen sollen Sozialhilfeempfängern Arbeit vermitteln. Die Stütze soll nur bei mangelnder Kooperation gestrichen werden.

Nr. 7: Mehr Sozialwohnungen
Die Zahl der Sozialwohnungen in Hamburg geht drastisch zurück. Verlierer sind Menschen mit geringem Einkommen.

Nr. 8: Innenstadt für alle!
Der öffentliche Raum wird zunehmend privatisiert. Immer öfter werden Bettler und Obdachlose aus den Innenstädten vertrieben.

Nr. 9: Kleinere Unterkünfte
Statt Massenunterkünften fordert H&K kleine Unterkünfte für maximal 20 Menschen. Das erhöht ihre Chance auf Integration, vermindert Konflikte – und spart langfristig Geld.

Härte statt Hilfe

(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)

Justizsenator Roger Kusch verschärft den Strafvollzug. Der Sicherheit in der Stadt hilft das kaum. Nicht nur Gefangene protestieren gegen die Verschärfung, sondern auch namhafte Ärzte und Juristen.

Hinter Gittern rumort es. An einem Montag im Dezember meldeten sich Gefangene der Justizvollzugsanstalt II („Santa Fu“) kollektiv krank und erschienen nicht zur Arbeit. Nach Behördenangaben waren es rund 50, nach Angaben aus der Anstalt weit mehr als 100 Häftlinge. Sie wurden ärztlich untersucht – ohne Befund. Den Rest des Tages mussten die Streikenden in ihren Zellen verbringen.

Kein dramatischer Vorfall. Aber ein Hinweis auf die Unruhe unter Gefangenen. Denn die politischen Vorgaben von Justizsenator Roger Kusch (CDU) verändern den Hamburger Strafvollzug: Die Gangart wird härter.

Junkies im Knast

Drogenkonsum ist Alltag im Knast. Die Justizbehörde geht mit schärferen Kontrollen und Sanktionen dagegen vor, hat den Spritzentausch abgeschafft und fährt das einzige drogentherapeutische Angebot, die Substitution, zurück. „Verstärkter Druck auf die Abhängigen löst keines ihrer Probleme“, sagt dagegen Klaus Behrendt, leitender Arzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen im Klinikum Nord und Geschäftsführer der Hamburger Drogenambulanzen.

„Schwerstabhängige tun alles, um weiter zu konsumieren“, so der Arzt. Sie würden sich zum Beispiel prostituieren und noch höher verschulden, um an Stoff zu gelangen. Spritzen werden laut Behrendt im Gefängnis hoch gehandelt, über Monate verwendet und mit Margarine gangbar gemacht. Sogar angefeilte Kugelschreiberminen dienen demnach als Injektionsnadeln. Durch gemeinsame Benutzung der Spritzen steige das Risiko von HIV- und Hepatitis-Infektionen, so der Arzt. Behördensprecher Kai Nitschke hält dagegen: „Abhängige, die Hilfe brauchen, bekommen sie nach wie vor.“

Großgefängnis Billwerder

Hamburg hat derzeit rund 3.100 Haftplätze. Fast jeder vierte ist im offenen Vollzug, während es im Bundesdurchschnitt nur jeder sechste ist. Diesem Mittelwert wird sich Hamburg bald annähern: In Billwerder entsteht ein Großgefängnis mit etwa 500 zusätzlichen Plätzen – überwiegend geschlossen.

Hintergrund: Der Senat rechnet mit einem „weiterhin starken Anstieg der Gefangenenzahlen“ in Hamburg – aufgrund einer „Intensivierung der Strafverfolgung und der Verhängung von mehr und längeren Haftstrafen“. Billwerder sei „eine kostenintensive Fehlplanung“, sagt dagegen der ehemalige Abteilungsleiter in der Justizbehörde, Gerhard Rehn. „Für viele Gefangene ist geschlossener Vollzug nicht erforderlich.“

Weniger Lockerungen

Ausgang und Urlaub werden eingeschränkt. Im Jahr 2001 gab es rund 6.800 Bewilligungen, in den ersten neun Monaten 2002 waren es nur noch 3.789. Als Erfolg des neuen Kurses verbucht die Justizbehörde, dass Ausgang und Urlaub weniger missbraucht werden, Gefangene also pünktlich in die Haftanstalten zurückkehren. Die Statistik zeigt allerdings, dass Missbräuche seit 1996 kontinuierlich abnehmen – also auch schon unter Kuschs Vorgängern.

Geplant ist außerdem, Telefonate von Häftlingen stärker zu kontrol-lieren, ihre Bewegungsfreiheit im Knast zu begrenzen und Besuchs-zeiten zu kappen – auch, um Personal zu sparen. Diese Maßnahmen sorgen vor allem in „Santa Fu“ für Unruhe, wo bisher relativ groß-zügige Regeln gelten.

Gnade eingeschränkt

Erklärtes Ziel des neuen Senats war es auch, die angeblich „ausufernde Gnadenpraxis“ (Koalitionsvertrag) einzudämmen. In Hamburg hatte sich über Jahre eine für Gerichte, Staatanwaltschaft, Justizvollzugsanstalten, Polizei, Rechtsanwälte und soziale Einrich-tungen gut funktionierende Gnadenpraxis entwickelt. So konnte im Einzelfall bei besonderen Härten schnell geholfen werden. Im Septem-ber wurde die Gnadenabteilung, die vorher beim Landgericht angesie-delt war, zur Staatsanwaltschaft verlegt. Behördensprecher Kai Nitschke begründet dies mit „höherer Effizienz“. Böse Zungen behaupten, dass jetzt alle positiven Entscheidungen Roger Kusch vorgelegt werden müssen. Nitschke bestreitet das vehement.

Ob ein Haftbefehl vollstreckt oder aus bestimmten Gründen, wie beispielsweise bei einer schweren Krankheit, ausgesetzt wird, darüber entscheiden im Vorwege die Vollstreckungsdezernenten der Staatsan-waltschaft. Unter der rot-grünen Regierung galten Schwangerschaft und Mutterschaft bei geringen Strafen als Härtefall oder als Gnaden-grund. Das scheint sich geändert zu haben. Alleine im Oktober und November saßen insgesamt fünf junge Mütter im Knast, teils mit, teils ohne ihre Säuglinge (H&K 118).

Neue Grundorientierung

„Haft darf kein Luxusurlaub sein“: Mit solchen Äußerungen macht Senator Kusch Stimmung für mehr Härte gegenüber Gefangenen. „Ziel des Strafvollzugs ist Resozialisierung und Behandlung“, sagt dagegen der Hamburger Kriminologie-Professor Klaus Sessar. Der offene Vollzug solle die Regel sein, so schreibe es das Gesetz vor. Weil der Justizsenator in die entgegengesetzte Richtung marschiert, werfen ihm Sessar und andere Juristen „Abkehr von den gesetzlichen Grundlagen“ vor.

Mehr Sicherheit?

Macht Kuschs harte Linie Hamburg sicherer? Nein, meint das „Forum Hambur-ger Strafvollzug und Straffälligenhilfe“, dem neben Behrendt, Rehn und Sessar weitere Juristen, Ärzte und Gewerkschafter ange-hören. Wer nur auf Verwahrvollzug setze und Wiedereingliederung gering achte, schaffe nicht mehr, sondern weniger Sicherheit, so das „Forum“. Denn die Gefangenen würden „aggressiver und lebensun-tüchtiger entlassen, als sie es vorher waren“. Ein riskanter Kurs – denn fast jeder „Weggesperrte“ gelangt eines Tages wieder in die Freiheit.

db/bim