Hartz-IV-Detektiv Onno Viets

Krimi-Lesung mit Frank Schulz

Der Hamburger Krimi-Autor Frank Schulz hat einen der schrägsten Detektive der Literaturgeschichte geschaffen: den sympathischen Hartz-IV-Detektiv Onno Viets. Am Dienstag liest Schulz aus seinem aktuellen Roman im Nochtspeicher.

Hart im Nehmen

Krimiautorin Renate Kampmann über ihr Praktikum in der Rechtsmedizin, die Schwächen von Donna Leon und Hilfen für Gewaltopfer

(aus Hinz&Kunzt 158/April 2006)

Es gibt Krimiautoren, die können kein Blut sehen. Auf dem Papier haben sie keine Probleme damit, ihre Opfer möglichst grausam um die Ecke zu bringen, aber eine echte Leiche haben nur die wenigsten von ihnen je gesehen. Renate Kampmann ist aus anderem Holz geschnitzt. Mehrere Wochen lang ist die Hamburger Autorin jeden Tag in der Rechtsmedizin des UKE angetreten, hat den Ärzten dort bei ihrer Arbeit zugesehen und so gelernt, was ihre Romanfigur Leonie Simon als Rechtsmedizinerin wissen muss. Das erfordert gute Nerven und einen robusten Magen. „Man kann vorher schlecht sagen, wie es einem mit der ersten Obduktion geht“, sagt Renate Kampmann. „Aber ich wusste, dass ich relativ hart im Nehmen bin.“

Dabei wirkt die zierliche Dunkelhaarige alles andere als cool und abgebrüht. Schon vor dem Klingeln öffnet sie uns die Tür zu ihrem unauffälligen Einfamilienhaus im Hamburger Osten. Ihr Händedruck ist warm und kräftig, ihre Stimme leise. Schwer zu glauben, dass diese freundliche Person ihr Geld mit Mord und Totschlag verdient. Schon viele hat die 53-Jährige ins Jenseits befördert, sei es als Erfinderin der RTL-Serie „Doppelter Einsatz“, als Drehbuchautorin für Bella-Block- oder Donna-Leon-Krimis und als Autorin der drei Romane mit Leonie Simon: „Die Macht der Bilder“, „Im Schattenreich“ und „Fremdkörper“.

Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen. Während der Schulzeit entdeckte die Dortmunderin ihre Liebe zum Theater. Nach dem Umweg über einen ordentlichen Beruf als Fremdsprachenkorrespondentin landete sie endlich als Dramaturgie-Assistentin bei Peter Zadek in Bochum: „Das war das anstrengendste und verrückteste Jahr meines Lebens, ein Sprung ins kalte Wasser. Da habe ich viel Wissen mitgenommen und bin erwachsen geworden.“

Kurz steckt ihr Mann, der Schauspieler Klaus Mikoleit, den Kopf ins makellos aufgeräumte Wohnzimmer, bevor er wieder in sein Arbeitszimmer verschwindet. Sein Engagement am Thalia war der Grund, warum Renate Kampmann Mitte der Siebziger mit an die Elbe kam. „Hamburg, das war Liebe auf den ersten Blick“, erinnert sie sich. Und daran, dass es für sie am Theater keine Arbeit gab. Sie jobbte als Sekretärin, bekam schließlich beim NDR den Fuß in die Tür und kapierte: „Ich muss studieren, um in gewisse Berufe zu kommen.“

Ärztin wäre sie gern geworden, aber dann studierte sie doch Germanistik und Geschichte. Auf Umwegen kam sie schließlich als Producerin bei Studio Hamburg unter. Dort entwickelte sie die Serie „Doppelter Einsatz“ und wurde notgedrungen zur Autorin. „Der Auftrag für die Serie hing bei RTL vom Prototypen ab“, erzählt sie und kommt so in Fahrt, dass das Ruhrgebiet kräftig durchklingt. „Ich hatte zwei Autoren empfohlen bekommen, doch was die lieferten, war maximaler Megaschrott!“ Sie feuerte die beiden, und in nur zwei Tagen schrieb sie das Pilotbuch. „Das war mein Anfang“, sagt sie lachend.

Nach drei Staffeln „Doppelter Einsatz“ stieg sie 1995 aus dem Seriengeschäft aus und wechselte als Autorin „in die freie Wildbahn.“ Drehbücher für diverse TV-Formate folgten, darunter auch Adaptionen der Bestseller-Krimis von Donna Leon, deren Commissario Brunetti in Venedig ermittelt. Damit tat sie sich wider Erwarten schwer: „Als Konsument liest man über manches hinweg, aber Donna Leon ist eine ganz schwache Autorin für Krimidrehbücher. In Romanen kann man mogeln, aber wenn ich etwas in ein visuelles Medium übertrage, muss es überprüfbar sein. Und sie mogelt ganz furchtbar!“ Bei dem Thema verdoppelt sich die Sprechgeschwindigkeit, ihr ganzer Körper gerät in Bewegung. Doch dann rettet sie elegant die Ehre der Kollegin: „Ihren Status als Bestsellerautorin hat sie zu Recht, sie kann wunderbar Figuren, Situationen erschaffen und gute Dialoge schreiben.“

In Renate Kampmanns Krimis stimmt alles. Bis zu drei Monate Recherche stecken in jedem ihrer Bücher, die mehrwöchige Hospitanz in der Rechtsmedizin, die sie 1998 vor ihrem ersten Buch absolvierte, nicht eingerechnet. Dort musste sie sich vorher ärztlich untersuchen lassen, was sie sehr amüsierte: „Die Patienten, mit denen ich da zu tun hatte, waren eh mausetot, die konnte ich nicht mehr anstecken!“ Zu absolutem Schweigen musste sie sich verpflichten und dazu, keine Regressforderungen zu stellen, falls sie sich bei der Arbeit mit Tbc, Hepatitis oder Aids infizieren sollte. Trotzdem trat sie dort ohne Bedenken an: „Das klingt ein bisschen makaber, aber ich hab mich darauf gefreut!“ Wirklich nahe ging ihr nur eine Situation: „Wir hatten den plötzlichen Kindstod eines zehn Monate alten Säuglings zu untersuchen. Der Vater wollte das Kind noch mal sehen. Seinen Schmerz zu erleben war furchtbar.“

Wenn sie ihre herbe, sachliche Rechtsmedizinerin Leonie Simon ermitteln lässt, sind beim Schreiben die medizinischen Details das Schwierigste: „Deshalb gehe ich schon relativ früh zu meinen Leuten ins Institut, damit ich keinen Anfangsfehler im medizinischen Bereich mache und alles neu aufdröseln muss.“ Auch zwischendurch und zum Schluss lässt sie den Medizinplot gegenlesen.

In Renate Kampmanns Krimis ist Leonie Simon die Leiterin der rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle für Opfer von Gewaltverbrechen, eine tatsächlich existierende Hamburger Einrichtung, bei der die Autorin Gründungsmitglied ist und für die sie vehement Partei ergreift. „Rechtsmediziner sind dazu ausgebildet, Verletzungen gerichtsverwertbar zu dokumentieren. Das ist wichtig, damit sich Täter nicht rausreden können“, erklärt sie. Doch für Opferschutz sei immer weniger Geld da: „Wenn man sagt, dass wir eine sehr stark täterorientierte Justiz haben, wird man leicht in die rechte Ecke geschoben, was der reine Blödsinn ist“, ärgert sie sich. „Aber man darf doch über die Täter die Opfer nicht vergessen!“ Dafür, das ist sicher, wird sie mit ihren Büchern weiter streiten.

Misha Leuschen

Krimi-Autorin Carmen Korn

„Schwarze Hefte“-Autorin mag die menschlichen Abgründe

(aus Hinz&Kunzt 120/Februar 2003)

Während Carmen Korn Morde plant, hat sie ihre Familie im Blick. Das bedingt die Architektur: Die Fünf-Zimmer-Altbau-Wohnung in Uhlenhorst ist hell, hoch und offen. Von ihrem Schreibtisch hat Carmen Korn freie Sicht ins Esszimmer und gleich weiter in die Küche. Sohn Paul büf-felt am langen Tisch englische Grammatik, Tochter Maris (15) isst Spaghetti. „Kann ich den Killer haben?“, fragt der Zehnjährige. Killer sind immer bei seiner Mutter zu finden. Auch die gegen Tinte.

Geboren wurde Krimiautorin Carmen Korn in Düsseldorf, in Köln ist sie aufgewachsen, einige Zeit hat sie in München gelebt und ist dann vor 28 Jahren dem Mann, mit dem sie heute noch zusammen ist, nach Hamburg gefolgt. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so lange hier bleiben würde“, sagt sie, „aber ohne Not wechsele ich diese Stadt nicht mehr. Schließlich sind die wichtigsten Dinge in meinem Leben in Hamburg passiert.“ Das war zunächst mal der „Stern“. Sieben Jahre war Carmen Korn dort Redakteurin, Ressort Unterhaltung: „Mein journalistisches Traumziel.“

Wichtig war auch die Geburt ihrer Kinder. Sie sind der Grund, warum Carmen Korn vom „Stern“ wegging – als „späte Mutter“ wollte sie mehr Zeit mit ihnen. Seither schreibt sie zu Hause. Die Frage, ob man einen morbiden Charakter braucht, um sich gerne Verbrechen auszudenken, amüsiert sie. „Hat nicht jeder eine Dunkelkammer, in die er manchmal verschwinden muss?“ Carmen Korn lächelt verschwörerisch. „Gerade wenn man so ein braves Familienleben führt.“

Manchmal, gibt die 50-Jährige zu, nervt sie die offene Altbauwohnung, in der man sich nie richtig zurückziehen kann. Wo immer Lärm aus der Küche zum Schreibtisch dringt. Krimis schreiben als Ventil gegen Aggression. Zugleich hat sie Angst um das Familienidyll. Deswegen bezeichnet sie ihre Bücher als „prophylaktische Buße“: „Was erst mal weggesagt wurde, kann doch nicht mehr in den eigenen kleinen Frieden dringen.“

Als Carmen Korn 1989 das erste Mal aus ihrer Dunkelkammer zurückkam, brachte sie „Thea und Nat“ mit. Die Geschichte einer Frau, die sich von ihrem Freund trennen will, aber aus Mitleid bei ihm bleibt, weil er durch einen von ihr verschuldeten Unfall scheinbar an den Rollstuhl gefesselt ist. Das war kein Krimi, Korn lotete nur ein bisschen die seelischen Abgründe der Menschen aus. „Jetzt werden Sie erleben“, sagte ihr der Journalist Wolf Schneider, „dass Sie ein gutes Buch geschrieben haben und sich keiner dafür interessiert.“ Er irrte. Das Buch hatte gute Presse, und Carmen Korn schaffte, was nur wenigen Debütanten vergönnt ist: Sie verkaufte die Filmrechte. „Thea und Nat“ lief im ZDF.

Mit den Krimis ging es so richtig erst durch einen Anruf von Volker Albers los. Der Herausgeber der „Schwarzen Hefte“ des Hamburger Abendblatts suchte eine Autorin. Carmen Korn schrieb „Der Tod in Harvestehude“. Dafür bekam sie den „Marlowe“-Preis für die beste deutschsprachige Krimigeschichte: „Mein erster und einziger Preis bisher, vorher hab ich noch nicht mal bei den Bundesjugendspielen was gewonnen.“

Verliehen wird der Preis von der Raymond-Chandler-Gesellschaft in Ulm. Carmen Korn sah sich im Rampenlicht, wählte sorgfältig die Garderobe aus – umsonst, die Verleihung fand im kleinen Kreis in der Ulmer Universität statt. Und dotiert war der Preis leider auch nicht. Aber der Vorsitzende der Gesellschaft hielt eine so rührende Laudatio, dass Carmen Korn sie heute noch hervorholt, wenn sie von Selbstzweifeln geplagt wird.

Seither ist Carmen Korn aufs Krimigenre abonniert. Die Schwarzen Hefte „Barmbeker Blues“, „Die Liebe in Hohenfelde“ und „Schlafende Ratten“ folgten. Und auch ihr neues Buch „Tod eines Pianisten“, dessen Skript fertig auf dem Schreibtisch liegt, ist wieder ein Krimi. „Am meisten Spaß habe ich daran, mir die Figuren auszudenken“, verrät die Autorin, „mich interessiert vor allem die Psychologie von Täter und Opfer.“ Wie und ob der Täter gefasst wird, ist nebensächlich – Carmen Korn ist keine Freundin der klassischen „Whodunit“-Geschichten.

Ein bisschen bringt sich die Autorin auch immer selbst ein. So haben viele ihrer Figuren mit Musik zu tun, zum Beispiel als Komponisten oder gescheiterte Sängerinnen. „Musik spielt in meinem Leben einfach eine große Rolle“, sagt die Autorin. Das Klavier ihres Vaters Heinz steht in ihrem Arbeitszimmer. Bis zu ihrem fünften Lebensjahr saß sie unter diesem Klavier und hörte ihrem Vater beim Komponieren zu. Einige seiner Schlager, wie „Mit 17 hat man noch Träume“, hört man heute noch im Radio. Während eines einjährigen Londonaufenthaltes versuchte sie sich in Jazzclubs selbst als Sängerin.

Nur ein Problem hat die Besucherin der Dunkelkammer. „Ich produziere nur sehr ungern Leichen!“, sagt Carmen Korn. Viel lieber würde sie ohne auskommen. In den meisten ihrer Lieblingskrimis wird auch nicht gestorben: „Denken Sie nur an Georges Simenons Bücher außerhalb der Maigret-Reihe – da muss kein Mord passieren, und trotzdem läuft es einem eiskalt den Rücken herunter.“

Da kam ein Angebot vom Erika Klopp-Verlag gerade recht. Einen Kinderkrimi solte die Marlowe-Preisträgerin schreiben, für das Alter von zehn bis zwölf, einzige Auflage: Es darf kein Mord vorkommen.

Als „Der Mann auf der Treppe“ fertig war, gab sie das Manuskript Maris und Paul zum Lesen: „Damit keine Klopse drin sind.“ Außerdem berieten die Kinder Carmen Korn bei Sprache und Musikgeschmack der Protagonisten – zufällig handelte es sich hier auch um ein Geschwisterpaar. Paul war richtig stolz auf das Buch, das Carmen Korn ihm und seiner Schwester gewidmet hat. Er gab jedem Freund, der bei ihm zu Besuch war, ein Belegexemplar mit: „Hier, lies mal, das hat meine Mutter geschrieben.“

Marc-André Rüssau