Diary Slam : Scham und Schrecken sind passé

Beim Diary Slam lesen Mutige aus ihren alten Tagebüchern. Die Abende im Altonaer Aalhaus sind so beliebt, dass die Hamburger Erfinderinnen des Formats im März sogar ein Buch mit den besten Einträgen herausbringen.

(aus Hinz&Kunzt 240/Februar 2013)

Noch ist Platz auf dem Sofa: Nadine Wedel freut sich über neue Diary Slammer.

„26.12.1999. Ich hab’s geschafft: Ich habe einen Freund“, trägt Nadine Wedel vor. Erste Liebe, Schwärmereien für Stars, Ärger mit den Eltern – fünf Tagebücher hat Nadine vollgeschrieben, seit sie zehn Jahre alt war. Beim Hamburger „Diary Slam“ lesen sie und andere Mutige vor Publikum aus ihren Aufzeichnungen. Am Ende wird ein Sieger gekürt.

Gemeinsam mit Freundin Ella Carina Werner hat Nadine (30 Jahre), Projektmanagerin beim Murmann-Verlag, die Veranstaltungsreihe erfunden. Sie ist selbst schon mehrmals mit ihren Texten aufgetreten. Die Scham und den Schrecken von damals hat sie überwunden.

Mit ein paar Jahren Abstand kann Nadine herzlich darüber lachen, was sie ihrem Tagebuch anvertraute – und mit welchen Worten. „Ich habe mich damals für den Mittelpunkt der Welt gehalten. Dabei habe ich ein ganz normales Teenagerleben in der Provinz geführt.“ Darüber wollen die Zuhörer in der Altonaer Bar Aalhaus mehr wissen. Wie Nadine ihre Beziehung mit Onur schildert, quittieren sie mit mitfühlendem Gemurmel oder johlendem Jubel – je nach Beziehungsstatus. „Letztlich lachen alle auch ein bisschen über sich selbst“, glaubt Nadine. Aus den eigenen Tagebüchern lesen oder anderen dabei zuhören – das habe zum einen etwas Komisches, zum anderen sei es auch sehr befreiend.

Seit dem ersten Diary Slam im Juli 2011 findet der Tagebuch-Leseabend ein mal monatlich statt, ist jedes Mal gut besucht. Das große Interesse hat den Erfinderinnen Mut gemacht für ein entsprechendes Buchprojekt. Im März erscheint voraussichtlich „Ich glaube, ich bin jetzt mit Nils zusammen: Das Beste aus wieder ausgegrabenen Jugend-Tagebüchern“ – eine Collage aus mehr als 50 Tagebüchern, durch die Nadine und Ella Carina sich über Monate gewühlt haben. „Das Buch ist wie der Slam so richtig zum Mitfühlen“, sagt Nadine.

Übrigens: Nadines Beziehung mit Onur beansprucht in ihrem Tagebuch zwar ganz schön viele Seiten – hat im echten Leben aber gerade mal drei Tage gedauert. Der Eintrag vom 29.12.1999: „Und schon ist alles wieder vorbei.“

Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante

Diary Slam, immer am letzten Donnerstag im Monat im Aalhaus, Eggerstedtstraße 39. Nächster Termin: Do, 28.2., 20.30 Uhr, Eintritt frei. „Ich glaube, ich bin jetzt mit Nils zusammen“ erscheint voraussichtlich im März, Verlag S. Fischer/Scherz, 14,99 Euro